25. Oktober 2020

Vorgestern Abend hab’ ich noch etwas »Skyfall« geguckt, James Bond. Gestern am Samstag, 25.Oktober 2020 dann die Premiere von »Faust« in der Oper hier in Bonn, so zehn Minuten zu Fuß von mir.  

Mephisto. Aus der Bilderserie der Oper.
Für mich war dieser erste coronagerechte Faust ein Ohren- und Augenschmaus, eine Freude zum Schwelgen wie schon davor Emilio Kagels »Staatstheater« dort. Wenig Zuschauer natürlich, auf Abstand wie in den Kirchen auch, angenehm, dann nur ein Akt, eine Stunde und ein Bisschen, die Bühne immer offen – zum Lüften. Wir schwelgten in Melodien und Erinnerungen, happy Melodys und deutsche Standardworte, Metaphern, wie »Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.« (https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-476-02737-5_15). »Mit Musik von Ludwig van Beethoven, Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Charles Gounod, Robert Schumann, Gustav Mahler, Franz Liszt, Johann Friedrich Reichardt und Arrigo Boito« steht im Programm; nur Mozart missing.
   Mephisto (Vincenzo Neri) sang und war kraftvoll-agil, der Alte (Ludwig Grubert) spielte noch älter als ich, schwach und scheinbar lustlos. Alle anderen sind mir, der ich mir null Namen merken kann, gleich (egal nicht). Hinter Glas das Saxophon vor Tobias Marc Rüger klang heraus. Oft weiß ich nicht, wer jetzt was ist oder sein soll, drei Gretchen, fünf Helenen, zwei Kaiser und ein fünfköpfig weibliches Euphorion*) entnehme ich jetzt erst dem Programmheft. Macht nichts. Bonns Bühne hatte sich wieder viel einfallen lassen, Donald-Duck-Figuren zur Abwechslung, viel Rauch – der uns inzwischen Æerosole assoziiert – und schöne Musik aus allen alten Erinnerungen. Die eiligen Rückprojektionen von Strafrechtsparagraphen blieben mir unverständlich, ich kannte nur § 175, und der ist gestrichen und kam auch nicht vor. Eine einzige Einblendung war »links«, wenn ich recht gesehen habe, aber das gehört sich heut für Intellektuelles.
   Ein Sehnsuchts-Faust, den hoffentlich auch Jüngere, Ungeduldigere genießen, obwohl das Publikum, soweit ich sehen konnte, klassisch und schon eher älter war. Super Ideen wieder, etwa die wallenden blonden Perücken, die multifunktional mal oben, mal als Bart, mal auf der Brust wie ein Logo bei allen auf der Bühne auftauchten. Faust hatte den längsten. Schlaff hing er herum. Passt. Nur alte Klempner haben heute noch so viel Hanf; muss einem einfallen. Und ich durfte wieder einmal meine Phantasie laufen lassen, Träume, meine Freude!
   Der Star war Irina Klewitz, die aus Russland stammende Leiterin des Jugend- und Kinderchors der Oper, die willensstarke, wahnsinnig fleißige musik-geschickte Ekaterina (»Kat«) Klewitz (https://www.theater-bonn.de/de/ueber-uns/mitarbeit/ekaterina-klewitz/16). Sie dirigierte vom Orchestergraben. Mehr dazu später.
   Den Faust, schon gar nicht die zwei von Goethe, habe ich nie verstanden. Ich bin (oder wurde) Techniker, da konnte ich den Ausführungen unseres Deutschlehrers nie wirklich folgen, nicht nachdenken darüber. (Nachdenken ist bei mir immer ein Weiterdenken.) Gestern Abend im Bonner Faust, da war’s mir einfach nur schön. Ich weiß zwar wie jeder deutsch Gebildeter, wohin uns das Ewig-Weibliche zieht, verbal – doch wo auf Google-Maps »hinan« ist, nicht. Diese Metaphern haben sich überholt, ja, sie sind im Zeitalter der politisch korrekten Sprache samt Gendergerechtigkeit obsolet. Desto schöner für mich Alten. Mir ist Goethes Faust ein Monument, wie vielleicht Castel del Monte (https://de.wikipedia.org/wiki/Castel_del_Monte), bewundernswert, pompös, wichtig und wuchtig, aber verschlossen; nichts zum Verstehen. Macht nichts. Ist so. In ferner Vergangenheit wie vielleicht der dies iræ. Dass uns Weibliches wohinzieht, ist meines modernen Erachtens inzwischen nachgerade sexistisch, frau sollte sich wehren gegen dieses Ansinnen; überhaupt ist es, wenn schon, dann Sex, der uns umtreibt, männlich, auch bei Faust. Und darüber red’t man nicht. Ich auch nicht, bittesehr.
   Also der Jugendchor, der »Kinder- und Jugendchor des Theaters Bonn« (https://www.theater-bonn.de/de/ueber-uns/orchester-choere/kinder-und-jugendchor) ist inzwischen eine Institution und fast wie eine Familie. Das zeigte sich nach dem vielen Applaus; da bekam der Chor den heurigen Preis des Fördervereins zugesprochen, dreitausend Euro auf großem Scheck, und Bühne und Saal wurden kurz zum Familienfest. Ein wunderbarer Abschluss.
   Meine Tochter hat mich dann draußen noch umarmt, so froh waren wir, dabeigewesen zu sein. Und in der Familie darf man das, sogar gesundheitsamtlich!

Szene aus Faust in Bonn, aus der offiziellen Bilderserie der Oper
https://www.theater-bonn.de/de/programm/faust/186756

*) Euphorion ist kein Jubelhochsitz, pardon, sondern ein Sohn Fausts: https://de.wikipedia.org/wiki/Euphorion_(Mythologie)

Links

• Ekaterina Klewitz am Klavier und Tobias Marc Rüger, Saxophon, improvisieren vierzig Sekunden zu Schuberts Winterreise https://youtu.be/-Q7m2ChNV10 

• Link hierher https://bit.ly/fj31Iyeil
  = https://blogabissl.blogspot.com/2020/10/vorgestern-abend-hab-ich-noch-skyfall.html

PS. Korrekturen und Kommentare willkommen! Ich bin ja wirklich nicht vom Fach, gell.

Besucherzaehler

Keine Kommentare: