28. September 2011

Schweinshaxen und Schwule –
Scharia und Katechismus


Ja, wie passt jetzt das zusammen? Eben nicht. Ich musste daran denken nach den Demonstrationen gegen den Papst. Ob einer jetzt keine Schwulen mag oder keine Schweinshaxen, die Frage ist, wie und ob er das anderen aufzwingt.
XX Religionen waren nie nur Glauben, sie waren immer auch Ver­hal­tens­vor­schrif­ten. Die leiteten sie aus ihrem Glauben ab, aus ihrer Tradition – wie auch immer, nur »demokratisch« im Sinn, dass sich die Gläubigen ihre Mo­ral­vor­schrif­ten aussuchen konnten, mehrheitlich oder sonstwie, das gibt eine Religion nicht her. Man kann sich daran halten oder nicht, man kann diese oder alle Religionen ablehnen, für sich oder grundsätzlich, aber von einer bestimmten Religion zu verlangen, dass sie sich einem anpasst, das geht weniger. Höchstens lässt sich von innen heraus die Begründung einer Regel anzweifeln, wiederum für sich oder für alle. Beispiel: Ist das Zölibat nur Gewohnheit, Überlieferung, oder hat es gute (biblische) Gründe?
XX Doch ich will nicht zum zweihundertsten Mal auf einzelne Regeln eingehen, vom Schweinefleischverbot bei den Muslimen bis zum Sonntagsgebot bei den Katholiken. Für eine weltliche Gesellschaft ist entscheidend, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft ihre kirchlichen Vorschriften den staatlichen überstülpen will.

Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt. – Ein Zitat aus der Papstrede vor dem Bundetag.

Die Freiheit eines Christenmenschen, die hier inzwischen jedermann empfindet (nicht nur Luther) , sollte uns bei allen möglichen Meinungsverschiedenheiten nicht gegen die katholische Kirche aufbringen, sondern höchstens gegen einen Islam, der vielerorts seine Scharia einführen möchte.

Brüchiger Religionsfriede im größten muslimischen Land der Welt, NZZ-Artikel.

Was passiert, wenn Kirche und Staat nicht getrennt sind, zeigt sich in Ägypten. NZZ-Artikel »Aufstand der ägyptischen Christen. Kopten fordern von ihrer Kirche Scheidungsrecht oder gar ein ziviles Personenstandsrecht

Drei schöne, kurze Gespräche im Deutschlandfunk über frühe Frömmigkeit darf ich hier zum Nachhören empfehlen:
Über diese Seite (Beitrag Nr. 23) zu
»Die Narren Gottes« - Teil-1, Sendezeit: 27.09.2011 09:45, Autor: Zander, Hans Conrad, Programm: Deutschlandfunk, Sendung: Tag für Tag, Länge: 07:50 Minuten
und über diese (Beiträge 17, 20) zu
»Die Narren Gottes« - Teil-2, Sendezeit: 28.09.2011 09:42, Autor: Zander, Hans Conrad, Programm: Deutschlandfunk, Sendung: Tag für Tag, Länge: 10:50 Minuten
und
»Die Narren Gottes« - Teil-3, Sendezeit: 29.09.2011 09:45, Autor: Zander, Hans Conrad, Programm: Deutschlandfunk, Sendung: Tag für Tag, Länge: 07:05 Minuten

25. September 2011

YOUCAT – Jugendkatechismus der katholischen Kirche
AD 2010

»Die Österreichische Bi­schofs­kon­fe­renz er­teil­te dem Werk am 3. März 2010 das Nihil obstat.« – Und ich hab’ diese Imprimatur gar nicht mit­be­kommen! Dass es über­haupt noch einen Ka­te­chis­mus gibt in der Kir­che, Re­geln, das wird lieber ver­schwiegen in diesem gött­li­chen Frei­zeit­park der Lie­be, wo Gott sich vor­stellt mit: »Hi, ich bin hier im Jammer­tal, einem Unesco-Welt­kul­tur­erbe, Gott, euer Ani­ma­teur für die Zeit bis zur Ab­reise. Ihr dürft Vati zu mir sagen!«
XX Nein, ganz so locker geht’s im neuen Youcat, 13 Euro, nicht zu. »Der Jugendkatechismus behandelt in jugendgemäßer Sprache das Ganze des katholischen Glaubens, wie er im ›Katechismus der Katholischen Kirche‹ (KKK von 1997) vorgelegt wurde, ohne die dort gegebene Vollständigkeit anzustreben«, heißt es in der Gebrauchsanleitung. Gute, schlichte Sprache macht den Inhalt noch lange nicht schlicht und einfach.
XX »Darf die Eucharistie auch an nichtkatholische Christen gespendet werden?« – so fragt zum Beispiel Kapitel 222 auf Seite 132. Antwort: »Die heilige Kommunion ist Ausdruck der Einheit des Leibes Christi. … Es wäre ein Widerspruch, würde die Kirche Menschen, die den Glauben und das Leben der Kirche (noch) nicht teilen, zur Kommunion einladen. Die Glaubwürdigkeit des Zeichens der Eucharistie würde Schaden leiden. [1398–1401 (im KKK)
XX Für mich sind das unverständliche Defensivbehauptungen. Mit dem »Leib Christi« ist hier wohl nicht Christus sondern die Kirche gemeint, und nur, wer zu dieser Einheit gehört, darf mitessen. Niemand prüft die Ausweise. Die wenigsten der Gläubigen, die zum Altar gehen, haben höchstens lässliche Sünden oder sind die empfohlene Stunde lang davor nüchtern geblieben (Kapitel 220). Eine »Glaubwürdigkeit des Zeichens« soll wichtiger sein als der Leib Christi für Andersgläubige? Wieso litte da ein Zeichen, wo sollte wohl der Lack abgehen? Kleingläubige Überheblichkeit ist das, aber immerhin: Der Youcat spricht es an.
xx Ich will mich schnell im Original schlau machen – dank Internetlink ein Katzensprung – und finde etwa (hier als Zitate einkopiert):
• „Nehmet und esset alle davon“: die Kommunion (als unfreiwillig ironische Überschrift)
• 1388 Es entspricht dem Sinn der Eucharistie, daß die Gläubigen, falls sie die Voraussetzungen erfüllen, jedesmal kommunizieren, wenn sie an der Messe teilnehmen.
• 1400 Die aus der Reformation hervorgegangenen, von der katholischen Kirche getrennten kirchlichen Gemeinschaften haben „vor allem wegen des Fehlens des Weihesakramentes die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt" (UR 22). Aus diesem Grund ist für die katholische Kirche die eucharistische Interkommunion mit diesen Gemeinschaften nicht möglich. (Doch kein Wort darüber, warum die nicht einseitig bei uns mitessen dürfen.)
1401 Wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs eine schwere Notlage dazu drängt, spenden katholische Priester die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung erlaubt auch den übrigen nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehenden Christen, die von sich aus darum bitten, sofern sie bezüglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind [Vgl. [link] CIC, can. 844, § 4].

Man sieht, die Sache ist verkorkst. Da hilft kein Youcat dagegen.
XX Hintertürchen und windelweiche Aussagen auch anderswo. Wobei man immer bedenken muss, dass wir uns hier auf Erden überlegen, was wohl der unendliche Gott am Jüngsten Tag in welche Waagschale wird werfen wollen. Ob er da immer auf das Urteil eines Diözesanbischofs wartet?
XX Ich suche gleich einmal ordentlich nach Sex – und feue mich, dass nicht wie sonst von Geschlechtsverkehr die Rede ist, was mich sprachlich immer an Nahverkehr erinnert: Sex vor der Ehe, 407. Nach ein paar mitfühlenden Worten über »kein größeres Geschenk als sich selbst« und einer Randbemerkung Johannes Pauls des II.: »Seinen Körper einem anderen Menschen schenken symbolisiert das volle Sichschenken an diesen Menschen«, kommt’s dann: »Weil die Liebe so groß, so heilig und so einmalig ist, bittet die Kirche die jungen Menschen eindringlich, mit der Aufnahme voller geschlechtlicher Beziehungen so lange zu warten, bis sie verheiratet sind.« – Bittet eindringlich? Gehen wir den Hinweisen auf KKK 2350 und 2391 nach:
2350 Die Brautleute sind aufgefordert, die Keuschheit in Enthaltsamkeit zu leben. Sie sollen diese Bewährungszeit als eine Zeit ansehen, in der sie lernen, einander zu achten und treu zu sein in der Hoffnung, daß sie von Gott einander geschenkt werden. Sie sollen Liebesbezeugungen, die der ehelichen Liebe vorbehalten sind, der Zeit nach der Heirat vorbehalten. Sie sollen einander helfen, in der Keuschheit zu wachsen.
2391 Manche, die zu heiraten beabsichtigen, beanspruchen heute eine Art Versuchsrecht. Wenn auch der Wille zur Heirat fest ist, besteht doch die Tatsache, daß verfrühte geschlechtliche Beziehungenkeineswegs die Aufrichtigkeit und die Treue der zwischenmenschlichen Beziehungen von Mann und Frau zu gewährleisten noch sie vor allem gegen Laune und Begierlichkeit zu schützen vermögen“ (CDF, Erkl. „Persona humana“ 7). Die leibliche Vereinigung ist nur dann moralisch zu rechtfertigen, wenn zwischen dem Mann und der Frau eine endgültige Lebensgemeinschaft gegründet worden ist. Die menschliche Liebe läßt den bloßenVersuch“ nicht zu. Sie verlangt eine endgültige und ganze gegenseitige Hingabe der beiden Partner [Vgl. FC 80].

Da bleiben wir wirklich lieber bei der »eindringlichen Bitte« der Kirche und … ––––––––––––––––––––– · –––––––––––––––––––––
Youcat-Erstauflage 700 000 Exemplare
Ausführliche Youcat-Kritik beispielsweise hier

21. September 2011

Papstrede im Parlament –

– unerwünscht von denen, die von der politischen Korrektness schon zur politischen Intoleranz fortgeschritten sind.

Rund hundert Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei hatten angekündigt, der Rede des Papstes im Bundestag am 22. September fernbleiben zu wollen. – Quelle Tagesschau

Mehr als zwei Drittel der Deutschen, die sich gegen den katholischen Glauben entschieden hätten, würden »stigmatisiert«.
Der Papst sei der »letzte absolute Monarch« in Europa und trage mit seinen Auffassungen, etwa zu Frauenrechten und Empfängnisverhütung, die Mitschuld »an der bisher global nicht gestoppten Aids-Epidemie sowie an der Unterdrückung, Ausbeutung und Stigmatisierung von Millionen Menschen«.Quelle RP-online

Eine Religion, die ein bestimmtes Verhalten fordert, unterdrückt freilich die Freiheit mit moralischen Mitteln – vom Kopftuch bis zum kondomlosen Verkehr. Darüber kann man im Einzelnen streiten.
xx Diese Suppe haben wir uns selbst eingebrockt: Wenn – vor allen von den Kirchen – immer bloß propagiert wird, Jesus sei lieb und nett, und der verlangt außer Liebe nichts von uns, warum sollten wir uns »verbiegen«?
xx Die politische Korrektheit geht inzwischen so weit, dass ein deutscher Landeshäuptling zu seinen sexuellen Neigungen sagen kann: »… und das ist gut so!« – wo uns das doch gar nichts angeht. Sagte aber wer, er möge Schwule nicht, würde er ausgebuht oder boykottiert. Und nicht jeder hält Aids für eine rein gesellschaftliche Herausforderung, zu der man rote Maschen trägt und Benefizkonzerte sponsert, sondern für eine Seuche, an der einer fast immer selbst Schuld ist. Darf man’s wagen »Lustseuche« zu sagen? Oder ist das tabu? Meinungen mag es da viele geben – sie zu sagen, darüber zu reden ist in unserer wenig belastbaren Konsensgesellschaft verpönt.
xx Schließlich: Die Befürworter einer strikten Trennung Staat-Kirche mögen doch bitte alle kirchlichen Staatsfeiertage abschaffen, dann werden wir schon sehen, wie »Bundestagsabgeordnete der SPD« darauf reagieren. (Wir haben einfach viel zu viele Abgeordnete, ne!)
xx Musste ja mal gesagt werden.

Ein saftiger Kommentar der katholischen »Tagespost« hier.
Zeitlos humorig: Vatikanische Übersetzungsfehler
Da gehts unter anderem um den neuen Youcat-Katechismus
Hier der off. kath. Katechismus, z. B. Keuschheit als Tugend unter dem Einfluss der »Kardinaltugend der Mäßigung«. – Aber viell. weiß eh keiner mehr, was Tugend heißt.

Da fällt mir ein. Ein Mailfreund hat mir mal »Lust« auf Katholisch zusammengestellt, mal sehen, ob ich das hier hereinkopiert kriege. Jedenfalls vielen Dank ihm! Also ich hatte ihm zum Thema Lust und Freude, kirchlich, geschrieben: »… Das Christentum ist eigentlich eine fröhliche Religion. Die Erlösung hat stattgefunden, ›Christus ist wahrhaft auferstanden‹. Freuen wir uns darüber!« Darauf er: »Hierzu kann ich nur Ja und Amen sagen. Ich habe bei kurzer Recherche unter www.stjosef.at > Kirchliche Dokumente aus dem Katechismus der Katholischen Kirche folgende Worte zum Stichwort ›Lust‹ gefunden:

Kontext ''Welcher Ruhm, welche Lust wird es sein, wenn du zugelassen wirst, um Gott zu schauen, wenn du der Ehre gewürdigt wirst, mit Christus, deinem Herrn und Gott, die Freude des ewigen Heils und Lichts zu genießen ...‚ mit den Gerechten und Freunden Gottes im Himmelreich dich der Wonne der verliehenen Unsterblichkeit zu freuen!'' (Cyprian, ep. 58, 10,1).
Kontext 2351 Unkeuschheit ist ein ungeregelter Genuß der geschlechtlichen Lust oder ein ungeordnetes Verlangen nach ihr. Die GeschlechtsLust ist dann ungeordnet, wenn sie um ihrer selbst willen angestrebt und dabei von ihrer inneren Hinordnung auf Weitergabe des Lebens und auf liebende Vereinigung losgelöst wird.
Kontext 2352 Masturbation ist die absichtliche Erregung der Geschlechtsorgane, mit dem Ziel, geschlechtliche Lust hervorzurufen. ''Tatsache ist, daß sowohl das kirchliche Lehramt in seiner langen und stets gleichbleibenden Überlieferung als auch das sittliche Empfinden der Gläubigen niemals gezögert haben, die Masturbation als eine in sich schwere ordnungswidrige Handlung zu brandmarken'', weil ''der frei gewollte Gebrauch der Geschlechtskraft, aus welchem Motiv er auch immer geschieht, außerhalb der normalen ehelichen Beziehungen seiner Zielsetzung wesentlich widerspricht''. Der um ihrer selbst willen gesuchten geschlechtlichen Lust fehlt ''die von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe realisiert'' (CDF, Erkl. ''Persona humana'' 9).
Kontext ''Als Tobias und Sara in der Kammer allein waren, erhob sich Tobias vom Lager und sagte: Steh auf, Schwester, wir wollen beten, damit der Herr Erbarmen mit uns hat. Und er begann zu beten: Sei gepriesen, Gott unserer Väter ... Du hast Adam erschaffen und hast ihm Eva zur Frau gegeben, damit sie ihm hilft und ihn ergänzt. Von ihnen stammen alle Menschen ab. Du sagtest: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein ist; wir wollen für ihn einen Menschen machen, der ihm hilft und zu ihm paßt. Darum, Herr, nehme ich diese meine Schwester nicht aus reinerLust zur Frau, sondern aus wahrer Liebe. Hab Erbarmen mit mir, und laß mich gemeinsam mit ihr ein hohes Alter erreichen! Und Sara sagte zusammen mit ihm: Amen. Und beide schliefen die Nacht über miteinander'' (Tob 8,4-9).
Kontext Lust:
Kontext ''Der Schöpfer selbst ... hat es so eingerichtet, daß die Gatten bei dieser [Zeugungs]funktion Lust und Befriedigung des Leibes und des Geistes erleben. Somit begehen die Gatten nichts Böses, wenn sie diese Lust anstreben und sie genießen. Sie nehmen das an, was der Schöpfer ihnen zugedacht hat. Doch sollen die Gatten sich innerhalb der Grenzen einer angebrachten Mäßigung zu halten wissen'' (Pius XII., Ansprache vom 29. Oktober 1951).
(http://overkott.dyndns.org/kkk-suche.htm)
xx Das kommentiert mein Gesprächspartner – kein Katholik übrigens – dann weiter so: »Ich sehe neben den vielen theologischen Schätzen des römischen Teils der Kirche die tiefe und fundierte Ethik als ein wunderbares ›Pfund‹ an, mit dem sie auch tatsächlich wuchert. Aus meiner Sicht ist meistens nur in den Augen allzu ›Liberaler‹ die Ethik der Römisch-Katholischen Kirche zu ›konservativ, restriktiv, traditionell‹. Es stehen dagegen m.E. tiefe und sinnvolle Gedanken dahinter, die zumeist sowohl theologisch, als auch psycho- und soziologisch unterfüttert sind - mir ist das sehr sympathisch, denn man merkt die hohe Bildung der Autoren und Artikel.«
xx Sollte sich noch jemand für einen Katechismus interessieren, empfiehlt er den »Inbegriff der christlichen Lehre. Ein biblisch-apostolisches Glaubensbuch« von Heinrich Wilhelm Josias Thiersch.

PS. Die Papstrede samt Fußnoten hier, die ARD-Übertragung hier. Eine gut druck- und lesbare Kopie auf drei Seiten gerne von mir, Fritz@Joern.De. Zum in seiner Rede angesprochenen Positivismus in der Wikipedia: »Die [Rechts-]Setzungen erwiesen sich in der Rechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts als problematisch, als nach dem Zweiten Weltkrieg Richter sich für Rechtssprüche aus der Zeit des Nationalsozialismus verantworten mussten.« – Ausführlicher unter »Rechtspositivismus«, Dualismus von Recht und Moral.
xx Entscheiden unsere Abgeordneten nach ihrem eigenen Gewissen? Wohl nicht. Entscheiden sie demokratisch nach der Meinung der vermeintlichen Mehrheit? Wohl nicht, zumal die Bild-Zeitung die Mehrheit darstellen will und das auch tut. Entscheiden Sie für ihr eigenes Fortkommen? Sie versuchen das. Man bedenke die Entscheidungen über Atomlaufzeitenverlängerung und -ausstieg, um die »Rettung« des Euro.

15. September 2011

XX Absätze mit Einzug statt Durchschuss im Blog

Typographisch trennt man Absätze entweder durch eine Leerzeile, dann »Durchschuss« genannt, oder schöner durch »Einzug«: Das erste Wort des Absatzes beginnt etwas weiter rechts in der Zeile. Wie in einem guten Buch.
XX In Blogger ist mir das nie gelungen. Man kann angeblich mit einer eigenen <div> arbeiten, wobei man dann einmalig in der Blogger-Vorlage zum Beispiel .p2 p { text-indent: 25px; } einfügen muss und dann im Blog-Text selbst um den Text mit den einzuziehenden Absätzen herum <div class=p2>, dann all den Text mit all den Absätzen, hernach abschließen mit </div>. Bei mir hat das nicht geklappt.
XX Eine andere Möglichkeit wäre, im HTML-Kode des Blogs (»Html bearbeiten«) zu Absatzbeginn zum Beispiel drei &nbsp; einzufügen. Das geht und funktioniert, bis man ein erstes Mal wieder normal »verfasst« – dann frisst mein Blogger-Editor unweigerlich und schwuppdiwupp all die schönen &nbsps weg. Ich nenne den Kode übrigens and need blank space, heißen tut diese erzwungene Leerstelle richtig no break space.
XX Noch bequemer wären erzwungene Sonderleerstellen als Einzelbuchstaben, Kode 00A0, was ich mir unter AltGrLeertaste gelegt habe und fleißig überall verwende, sogar in Word (wo man sich den Kode jedes Zeichens mit AltC zeigen lassen kann. Rückkonvertieren geht auch). Pech: Selbst die 00A0-Zeichen frisst der Blogger-Editor weg, wandelt sie in normale Leerstellen um, und die zieht HTML bekanntlich zu höchstens einer zusammen. Also wieder nichts.
XX Alle diese Verfahren gehen nicht.
XX Was mache ich also in meiner Verzweiflung? Wenn nichts mehr geht: Tippex! Ich setze zu Absatzanfang XXleer, und dann markiere ich diese XXleer und wähle für sie als Textfarbe weiß. – Und suche weiter nach einer Möglichkeit, das ordentlich zu machen. Die Leerstelle nach den XX – es können auch mehr Xe oder andere Zeichen sein – ist da, damit sich spätere Wortsuchen nicht mit Wörtern mit XX herumschlagen müssen. Sei nett zu deinem Google.
XX Hier und in der kurzen Erbauungsgeschichte meines Großvates hab’ ich’s mal probiert. Wenn man sich diese unsichtbaren Xe samt Leerstelle in die Zwischenablage kopiert, so klappt das Einfügen vor jedem Absatz einigermaßen rasch. – Auf geht’s also zu einem schöneren Schriftsatz im Blog vom Blogger!

Noch ein paar Gedanken zum »Rüberheben« von Texten in den Blog hinein. Generell nie direkt aus Word copy-pasten! Denn da kommt HTML-Gesülze mit, dass es einer Blogsau graust, sowas gibt’s gar nicht. Erst als reinen Text auskopieren, und den dann übertragen. Notfalls im Blog über »Html bearbeiten« bereinigen.
XX Speziell wieder zurück zu den Absatzeinzügen: Was gut gehen müsste, wäre, diese Abstandhalter zu Absatzbeginn <span style="color: rgb(255, 255, 255);">XX </span> vorher einzueditieren. Man beachte die Leerstelle nach den XX. Sagen wir, Ihre Absätze sind durch zwei aufeinanderfolgende Absatzmarken gekennzeichnet (sonst müssen Sie die Suche modifizieren). Dann suchen-ersetzen Sie die durch eine Absatzmarke und <span style="color: rgb(255, 255, 255);">XX </span> und kopieren das Resultat in Ihren Blog ein, aber nur im Html-bearbeiten-Modus. In Word machen Sie Absatzmarken (¶) und dergleichen sichtbar mit »¶ einblenden/ausblenden«, Sie suchen danach, indem Sie die Suche »erweitern« und dann auf »Sonstiges« gehen. Die »Absatzmarke« ist gleich die erste Wahl, ^p; nicht den »¶ Absatzbuchstaben« nehmen.
XX Noch was: Deutsche Wörter können lang sein, Browser nicht Silbentrennen. Wenn Sie sich die Mühe machen und in Wörtern wie Donaudampfschifffahrtskapitänsmützenkordel im HTML-Kode an möglichen Trenn­stellen &­shy; (soft hyphen) einfügen, à la Do&shy;­nau&shy;­dampf&shy;­schiff&shy;­fahrts&shy;­ka&shy;­pi&shy;­täns&shy;­mützen&shy;­kor&shy;­del, dann trennt sich auch die allerlängste Do­­nau­­dampf­­schiff­­fahrts­­ka­­pi­­täns­­mützen­­kor­del­fa­bri­kan­ten­tochter.

12. September 2011





In Gottes Namen:
Im Namen Gottes
eine szenische Lesung
von Peter-Adrian Cohen
11. September 2011,
Werkstatt des Theaters Bonn
mit anschließender Diskussion



Gestern Abend, passend zum Gedenktag, die szenische Lesung im Bonner Theater, fünfzig Zuhörer vielleicht, danach die öffentliche – und ganz offene – Diskussion mit dem Autor und Vertretern der christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubengemeinschaften. Gleichzeitige Afführungen in New York (Judson Memorial Church) und Cambridge, Massachusetts, (Central Square Theater), aus Termingründen am Vortag Uraufführung in Zürich.

Das »Stück« geht unter die Haut. Inspiriert durch Helen Whitneys Film Faith and Doubt at Ground Zero sprechen hier aber nicht die Bilder sondern direkt und nur die Menschen: Gedanken, Wortfetzen, O-Töne und Plädoyers der Betroffenen, teils original, teils ausgedacht, nachgedacht. Professionell vorgetragen von sechs Schauspielern. Eine Ohrenweide, wenn das damals nicht so schlimm gewesen wäre. Es ging um die Erleidenden, nicht um die Täter, von denen man annahm, sie hätten gedacht, das Fürchterliche im Namen Gottes zu tun.

Es geht um das Hadern mit Gott, wie schon bei Hiob, um das Böse und das »Warum ich?« Darauf gibt es bekanntlich keine Antwort, für den Frömmsten nicht. So sehr mich der Inhalt ergriff, so fand ich die Rahmenüberschriften dennoch aufgesetzt, gliedernd zwar, aber nicht ausgefüllt.

Da geht es bei Hiob schon kräftiger zu: Hiob 1,13Des Tages aber, da seine Söhne und Töchter aßen und Wein tranken in ihres Bruders Hause, des Erstgeborenen, 14 kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten, und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide, 15 da fielen die aus Saba herein und nahmen sie und schlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts; und ich bin allein entronnen, dass ich dir's ansagte. (1. Mose 10.7) (1. Mose 10.28) (1. Mose 25.3)
16 Da er noch redete, kam ein anderer und sprach: Das Feuer Gottes fiel vom Himmel und verbrannte Schafe und Knechte und verzehrte sie; und ich bin allein entronnen, dass ich dir’s ansagte. 17 Da der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machte drei Rotten und überfielen die Kamele und nahmen sie und schlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts; und ich bin allein entronnen, dass ich dir’s ansagte. (1. Mose 11.28) 18 Da der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, 19 Und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß auf die vier Ecken des Hauses und warf’s auf die jungen Leute, dass sie starben; und ich bin allein entronnen, dass ich dir’s ansagte.
20 Da stand Hiob auf und zerriss seine Kleider und raufte sein Haupt und fiel auf die Erde und betete an (1. Mose 37.34) 21 und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt. (Prediger 5.14) (1. Timotheus 6.7) 22 In diesem allem sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott. (Luther-Bibel)

Wiedereinmal musste für’s Böse der Holocaust herhalten, sozusagen als summum pravum, diabolicum. Und wieder einmal löste sich alles in Liebe, in sich haltenden Händen. Der Autor lässt sich hinreißen von den, wie er sagt, »außergewöhnlichen Menschen«. »Gott ist die Liebe«, auch das wurde wieder gesagt in der Diskussion, und ich kann mir nicht helfen, das hilft mir nicht. Du bist meine Zuversicht, Herr, meine Hoffnung von Jugend an (Psalm 71,5) – das ja, aber nicht die Erklärung für Unrecht, Unglück, Trauer und Tragik. Da lasse ich mir den Herrn (unchristlich?) außen vor.

Die Glaubensvertreter bemühten sich dann noch, Relevantes beizusteuern, Dr. Hossein Pur Khassalian, iranischstämmig, »Urologe, nicht Theologe«, wie er sympathisch sagte, fand die Sicht der Attentäter nicht berücksichtigt und litt unter Vereinfachungen, zwei Juden erzählten als Hintersinn Geschichtchen von damals wunderbar erretteten Juden, Pfarrer Blanke wusste auch keine Antwort, nur, dass Gott sich mit den Leidenden solidarisiert. Ein Trost.

– · –

Radio-Interview mit dem Autor Peter-Adrian Cohen (schweizerdeutsch) hier
Seine Antwort auf die Frage, wo da der Herrgott war, ist rekursiv: »Die Antwort ist, die Frage immer und immer und immer wieder zu stellen.« »Kann man in dieser Welt leben, ohne gläubig zu sein und ohne zum Fundamentalisten zu werden?« – »Der Widerspruch im Universum ist kein Konstruktionsfehler, keine Schadstelle, er ist Ansporn zur Kreativität. Wer immer das Universum geschaffen hat, der hat sich doch etwas dabei gedacht …« – Dann erzählt Peter Cohen, wie er als Zürcher Mittelschüler mit 17 nach Amerika »in die Prärie« gekommen ist, ein Stipendium bekam für Princeton, dort seinen Bachelor machte, und dann in Harvard den Master in Betriebswirtschaft. Nach seinem Bestseller “The Gospel According to the Harvard Business School” konnte er sich mit fünfzig leisten, nur mehr für’s Schreiben zu leben.

Internet-Interview mit Peter-Adrian Cohen (englisch) hier

PS. Hören Sie hier (4' 29") Pfarrer Burkhard Müller, Bonn. Er sprach am 20. September um 6.35 Uhr die Morgenandacht im Deutschlandfunk: Gott straft nicht auf Erden, Gott ist nicht »Herr der Geschichte« – allerdings sieht Pfarrer Müller auch darüber hinweg, dass Gott am Jüngsten Tag dennoch richtet – und straft.










Wie Lissi Guntermann ihrem Onkel Theodor 
das Sterben leicht machte
Erzählung von W. Jörn

In der Friedenskapelle zu Lichtenheim war eine Sonntagsschule, zu der jeden Sonntag eine Anzahl Kinder von Eicheneck herunterkamen. Eicheneck war ein ganz kleiner Ort und bestand nur aus vier Bauernhäusern und einer Tagelöhnerhütte. Aber dieser kleine Ort lag schön an einer Anhöhe, nicht weit von einem Eichenwald, unter dessen knorrigen Bäumen die Kinder oft spielten.
XX Einer der Bauern, die in Eicheneck wohnten, hieß Guntermann und hatte eine einzige Tochter, die Lissi hieß. Sie war eigentlich Elisabeth getauft, aber man nannte sie Lissi, weil dieser Name kürzer war und den Eltern schöner klang als Elisabeth mit dem tiefen a darin.
Lichtenheim, wo die kleine Friedenskapelle am Ende des Dorfes stand, lag an der Innerste, einem Fluss, der aus den Harzbergen kommt.
XX Als Lissi Guntermann sechs Jahre alt geworden war, durfte sie mit den andern Kindern aus Eicheneck jeden Sonntag nach Lichtenheim in die Sonntagsschule gehen. Sie kam in die Gruppe einer Helferin, die den Herrn Jesus sehr lieb hatte und ihren Kindern am liebsten vom Heiland erzählte, wie er unsere Sünden auf sich genommen habe und am Kreuz für uns gestorben sei.
XX So kam es, dass die kleine Lissi auch den Herrn Jesus lieb gewann und viel von ihm wusste. Zu Hause erzählte sie freilich nicht viel davon, weil der Vater nicht viel sprach, und die Mutter immer beschäftigt war.
XX Lissi hatte nun einen Onkel, der in Hildesheim wohnte, wo ein Rosenstock steht, der schon tausend Jahre alt sein soll. Denkt nur, ihr Kinder! Wenn ihr einmal nach Hildesheim kommt, dann lasst ihn euch zeigen (auf dem Domfriedhof des Hildesheimer Mariendoms).
XX Onkel Theodor in Hildesheim war Geschäftsreisender und viel unterwegs. Als er wieder einmal in die Nähe Lichtenhelms kam, durch das eine Nebenlinie der Eisenbahn geht, wurde er sehr krank und fuhr nur noch nach Lichtenheim, von wo er sich in einem Wagen nach Eicheneck in das Haus seines Bruders fahren ließ. Er kam sehr, sehr krank in Eicheneck an, und Lissis Eltern machten ihm schnell ein Bett zurecht in der Kammer, die neben dem Stübchen lag, wo sich Lissi gewöhnlich aufhielt.
XX Onkel Theodor hatte Lissi immer sehr gern gehabt und fröhlich mit ihr gespielt, wenn er zu Besuch gekommen war, aber diesmal sah er sie gar nicht an, sondern lag in seinem Bett und klagte über große Schmerzen. Der Arzt kam und sagte nach der Untersuchung zu den Eltern, dass Onkel Theodor eine schwere Lungenentzündung habe.
XX Es kamen nun schwere Tage für die liebe kleine Lissi. Onkel Theodor war unverheiratet, und deshalb lag die Pflege des Kranken ganz in den Händen der Eltern, die gar nicht viel Zeit hatten für den Onkel bei ihrer vielen andern Arbeit. Lissi hörte den Onkel oft klagen in seinen Schmerzen, aber sie getraute sich nicht an sein Bett, zumal er auch manchmal so sonderbar redete.
XX Der Arzt kam öfters und machte jedesmal ein ernstes Gesicht, wenn er wegging.
XX Als nun eines Tages Lissi in ihrem Zimmer war und Onkel Theodor wieder so stöhnend klagte, ließ sie plötzlich ihre Spielsachen liegen und ging mit klopfendem Herzen in das Krankenzimmer. Da lag der liebe Onkel Theodor in seinem Bett und sah so müde und schmerzgequält aus. Lissi ging auf den Zehenspitzen dicht an den Kranken heran, stellte sich am Kopfende des Bettes auf, legte ihren Kopf an die fieberheiße Wange des Onkels und flüsterte ihm zu: »Onkel Theodor, du musst deine Sünden alle auf den Herrn Jesus, das Lamm Gottes, legen!«. Dann ging sie wieder leise, aber eilig aus dem Krankenzimmer fort und an ihr Spiel zurück.
XX Ja, Kinder, so hat wirklich dies liebe Kind zu seinem kranken Onkel gesprochen. Es hatte in der Sonntagsschule gelernt, was der Herr Jesus für die Menschen ist und dachte in ihrem kleinen Herzen, wenn sie es dem Onkel sagen würde, was sie wüsste, könnte es ihm vielleicht helfen in seinen Schmerzen.
XX Onkel Theodor aber war durch die Worte seiner kleinen Nichte in große Aufregung geraten. Er hatte sich bis jetzt noch gar keine Gedanken über Sünde oder Gott gemacht und nur immer mit seinen Körperschmerzen zu tun gehabt. Jetzt waren seine Gedanken mit einem Male in eine ganz andere Richtung gekommen.–
XX Ja, wenn er gar sterben müsste an dieser Krankheit! Er wusste wohl, wie gefährlich sie war. Dann musste er in die Ewigkeit, und Gott würde nach seinem vergangenen Leben fragen. Da kam noch ein ganz anderer Schmerz in seine Seele, als der, der in seinem kranken Körper wühlte. Sünde! Oh, er hatte so viele Sünden!
XX Lissi hörte ihren lieben Onkel jetzt noch heftiger stöhnen als vorher. Sie war ganz traurig und musste immer an den Heiland denken, ob der dem lieben Onkel nicht doch auch helfen könnte.
XX Der Kranke hatte eine schlimme Nacht. Die Angst seines Herzens wurde immer größer, wenn er an sein vergangenes Leben dachte und an die vielen begangenen Sünden. Aber wie hatte doch die flüsternde Kinderstimme gesagt? »Du musst deine Sünden alle auf den Herrn Jesus legen!«. Und nun kam ihm alles in die Erinnerung, was er früher gelernt hatte. Er sah den Herrn Jesus im Geiste auch für ihn am Kreuz sterben in großer Not. Dann war es ihm, als ob der Herr Jesus in wunderbarer Schönheit als der Auferstandene vor ihm stehe und ihn freundlich zu sich einlade. Da tat er, was Lissi ihm gesagt hatte, er sagte dem Herrn Jesus in bitterer Reue alle seine Sünden und legte sie ihm hin mit der heißen Bitte: »Oh, Herr Jesus, reinige mich und hilf mir!«
XX Da kam ein tiefer Friede in das Herz des Kranken, und als Lissi am andern Tag wieder in ihrem Zimmer war, hörte sie nicht mehr so lautes, wehes Stöhnen wie sonst. Sie ging jetzt noch einmal in das Krankenzimmer, als sie wusste, es ist weiter niemand da. Und wieder stellte sie sich auf die Zehenspitzen, legte ihre weiche Wange an den bleichen Kopf des Kranken und fragte leise: »Onkel Theodor, hast du getan, was ich dir gesagt habe?«
XX Da lächelte der Onkel ein klein wenig und sagte, obgleich das Sprechen ihm Mühe machte: »Ja, liebes Kind, und nun ist mir wohl!«
XX Es wurde immer schlimmer mit der Krankheit Onkel Theodors, und nach einigen Tagen standen Lissis Eltern am Bett des Sterbenden. Aber ehe Onkel Theodor heimging in den Himmel, bat er, man möchte ihm »sein Engelein«, wie er Lissi nannte, noch einmal ans Bett bringen. Und als Lissi nun bei ihm stand und den Onkel so traurig ansah, weil er so leiden musste, legte er ihr die Hand auf den Blondkopf und sagte mit abgerissenen Worten: »Gott segne dich, liebes Kind, und vergelte es dir, dass du mir den Weg zum Heiland und zum Frieden gezeigt hast!«
XX Dann ist er still eingeschlafen.
XX Lissi wusste gar nicht, dass sie etwas Besonderes getan hatte, aber ihre Eltern waren tief bewegt.
XX So hat Lissi Guntermann durch ein Bekenntnis zu ihrem Heiland ihrem Onkel das Sterben leicht gemacht.

– · –
Autor dieser erbaulichen Geschichte ist mein seliger Großvater Wilhelm Jörn. Seine Lebensereinnerungen finden Sie auf www.Joern.De/Aehren.htm. Die Geschichte erschien 1927 zusammen mit »Hanne Bodenstein und ihr Bekenntnis« im Christlichen Verlagshaus Stuttgart, wo W. Jörn zahlrecihe Werke veröffentlicht hat. Seit 2011 ist das Heft wieder faksimiliert – also in Fraktur – und wie hier in Antiqua beim Christlichen Verlagsantiquariat Ingold erhältlich. Ich habe es sanft angepasst an die neue Rechtschreibung und gelegentlich auch auf den geänderten Stil. Die Umsetzung (das optische Lesen, OCR, optical character recognition) erfolgte dankenswerterweise vom Christlichen Verlagsantiquariat mit Tessdata. Der Zeichner der originalen Vignette ist mir nicht bekannt. September 2011, Fritz@Joern.De

Link zu diesem Eintrag: http://blogabissl.blogspot.com/2011/09/wie-lissi-guntermann-ihrem-onkel.html

Siehe auch »Hanne Bodenstein und ihr Bekenntnis«, ebenfalls von Wilhelm Jörn, http://blogabissl.blogspot.com/2011/09/hanne-bodenstein-und-ihr-bekenntnis-von.html
 

11. September 2011










Hanne Bodenstein und ihr Bekenntnis
 

Erzählung von W. Jörn

Die liebe Hanne, von der ich zu erzählen habe, lebt nicht mehr in dieser Welt. Sie ist längst in ihre schöne ewige Heimat gegangen. Aber was ich von ihr erfahren habe, hat mich recht bewegt, und ich dachte, es möchte für Kinder und auch für große Leute gut sein, wenn sie Hanne Bodenstein kennen lernten. Darum will ich ihre Geschichte erzählen.
XX Wo der Weg nach der alten Kreisstadt Rumburg durch das Wellengelände führt, liegt an einer Biegung das ganz kleine Dörfchen Ödheim. Hier wuchs Hanne Bodenstein mit noch vier andern Geschwistern heran. Es war damals eine arme, harte Zeit in unserem Vaterlande. Hannes Mutter war früh Witwe geworden und führte mit ihren Kindern ein Leben der Not und Entbehrung. Sie wohnten in einer halbverfallenen alten Scheune und hatten als Bettzeug nichts als alte Lumpen, mit denen sie sich nachts zudeckten. Das war besonders im Winter recht hart, wenn der kalte Wind den feinen Schnee durch die schadhaften Dachziegel trieb. Die Mutter arbeitete schwer um das tägliche Brot bei den Bauern, und die Kinder suchten besonders im Sommer durch Beerensammeln im Wald etwas zu dem kargen Verdienst der Mutter hinzuzuverdienen. Hanne, als die älteste der Geschwister, hütete die Ziegen des Dorfes, wie Rebekka einst die Schafe ihres Vaters gehütet hatte.
XX Aber bei aller Armut war Frau Bodenstein mit ihren Kindern recht froh. Auf dem Gesicht der Witwe lag ein stiller Schein, als wenn jeder Tag bei ihr ein Sonntag sei und sie mit ihren Kindern immer Festtagsessen hätte, statt des harten Brotes, das oft ihre einzige Nahrung ausmachte. Um es gleich zu sagen: Hannes Mutter war reich an Glauben und Liebe zu Gott, ihrem Heilande. Und das machte ihr Leben so licht, wenn sie auch kein leichtes Dasein hatte unter den schweren Zeitumständen.
XX In ihrer Kindheit hatte Frau Bodenstein eine feine christliche Erziehung genossen und besonders viele schöne christliche Lieder und Abschnitte aus der Bibel gelernt. Und dieser edle Gedächtnisschatz war im Herzen der Jungfrau und späteren Mutter zu Geist und Leben geworden und gab ihrem Leben nun einen so köstlichen Inhalt, dass sie bei ihrer Armut viel glücklicher war, als mancher reiche Bauer des Dörfchens.
XX Weil die Kinder sahen, wie wahrhaft glücklich die Mutter war und wie sie es so gut mit ihnen meinte, nahmen sie auch gerne die Unterweisungen der Mutter an und lernten in der Schule und besonders zu Haus, was rechte Christenkinder lernen müssen. Und welche stille Macht ging von den schönen Liedern aus, die Hannes Mutter mit den Kindern sang! Dazu zeigte das Wort Gottes, das viel gelesen wurde, seine herzerneuernde Kraft. Dabei betete die Mutter viel für ihre Kinder.
XX Hanne hatte ihr junges Herz besonders weit aufgetan, um die Gottesliebe darin wirken zu lassen. Sie wandelte schon ganz auf dem Wege der Mutter. Treue Arbeit, Lieder zu Gottes Ehre und ein inniges Gebetsleben waren ihre Lust. Sie befolgte treulich das Gotteswort: »Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend!« Dabei hatte sie inniges Mitempfinden für andere, ohne viel an sich selbst zu denken. Als sie einmal in einer besonders stürmischen Nacht mit Mutter und Geschwistern auf dem ärmlichen Lager zu schlafen versuchte, bemerkte sie, wie die kleine Charlotte ihre Decke fester um sich wickelte. Der Wind heulte aber auch zu schauerlich um die alte Scheune und blies seinen kalten Atem durch die vielen schadhaften Stellen des Gemäuers.
XX Da dachte Hanne an eine alte Tür, die in dem weiten Raume an einer Wand lehnte. Die könnte helfen! Sie stand auf und schleppte die Tür an den gemeinsamen Lagerplatz, der sich an einer Wand hinzog, und stellte sie so gegen die Wand, dass sie den schneidenden Wind davon abhielt, diesen armen Schläfern allzusehr Kühlung zuzufächeln. Als Hanne sich wieder neben der Mutter niedergelegt hatte und sich und die Ihrigen durch die schützende Tür so geborgen fühlte, flüsterte sie der Mutter zu: »Mutter, was machen bloß die Kinder, die keine Tür haben?«
XX Eines Tages hatte sie ihre Herde Ziegen auf der Weide und saß im Schatten eines Baumes am Wegesrain. Sie hatte einen Strickstrumpf in der Hand, an dem die fleißigen Finger hantierten. Ganz in Andacht versunken, sang sie mit ihrer schönen hellen Stimme in den taufrischen Morgen hinaus den herrlichen Gesangbuchvers:
XX Wie bist du mir so sehr gewogen
XX Und wie verlangt dein Herz nach mir!
XX Durch Liebe sanft und stark gezogen,
XX Neigt sich mein Alles auch zu dir.
XX Du teure Liebe, gutes Wesen,
XX Du hast mich, ich hab dich erlesen!
Hanne hatte ganz das nahende Pferdegetrappel überhört. Ein Retter kam die Straße hergeritten, nach seinem Anzug zu urteilen, war es ein Kaufmann, der in Geschäften unterwegs war. Es gab damals noch nicht so viele Eisenbahnen. Darum musste das schnelle Ross helfen, die Menschen von einem Ort zum andern zu bringen.
XX »Heda, Mädel! Hör auf mit deinem Singen und sage mir, wie weit es noch bis Rumburg ist, und ob ich den Weg dahin nicht verfehle, wenn ich diese Straße weiterreite!«, rief der Reisende unserer Hanne zu, die ganz erschrocken aufgesprungen war.
XX Hanne legte ihren Strickstrumpf neben sich auf die Erde und schaute ehrfürchtig, wenn auch freimütig, zu dem fremden feinen Manne auf.
XX »Noch drei Stunden habt ihr, Herr, bis man in Rumburg ist. Der Weg geht immer hier am Bergrücken hin. Unser Dorf heißt Ödheim. Ihr kommt durch Hachhausen und Langdorf, dann könnt ihr von der Höhe schon den Turm der Kirche von Rumburg sehen«, gab Hanne Auskunft.
XX Herr Butzemann, so hieß der Kaufmann, sah mit Wohlgefallen auf das Kind, das so bescheiden und freundlich Antwort gab. Freilich trug Hanne nur ein einfaches Röckchen. Ihr Kopfschmuck waren zwei weizengelbe schwere Zöpfe, und Strümpfe strickte sie wahrscheinlich nur für andere, denn ihre braunen, nackten Füße, mit denen sie auf der weißen Landstraße stand, schienen noch nie Bekanntschaft mit Schuhen gemacht zu haben.
XX »Wie heißt du, Mädchen, und wie alt bist du?«, fragte Herr Butzemann, dem es besonders der helle, klare Blick Hannes angetan hatte. Dies Kind war so ganz anders als viele andere, die der Reisende mit ihren stumpfsinnigen Gesichtern auf seinen Wegen angetroffen hatte.
XX »Hanne Bodenstein heiße ich und bin zwölf Jahre alt«, sagte die junge Ziegenhirtin, indem sie sich nach ihrer Herde umschaute, ob da auch alles in Ordnung sei.
XX »Bis auf dein frommes Singen bist du ein wackeres Kind«, meinte der Reiter, griff in die Tasche und warf Hanne ein kleineres Geldstück zu. Dann sprengte er in gewaltigen Sätzen davon.
XX Hanne nahm langsam das Geldstück vom Boden auf. Was mochte der Fremde damit gemeint haben, wenn er sagte: »Bis auf dein frommes Singen«?
XX Aber es blieb ihr nicht lange Zeit zum Nachdenken. Als sie sich wieder mit ihrer Arbeit niedersetzen wollte, schaute sie noch einmal dem weitertrabenden Reiter nach. Da bemerkte sie auf der Straße einen schwarzen Gegenstand, der vorher nicht dort gelegen hatte. Hanne lief auf die Stelle zu und hob eine ziemlich dicke schwarzlederne Brieftasche auf, die der Kaufmann verloren haben musste.
XX Wie ein flinkes Reh lief die barfüßige Hanne dem Reiter nach, indem sie schreiend ihren Fund in die Höhe hielt. Diesmal achtete die Hirtin selbst nicht einmal auf ihre Ziegen, die sich ebenfalls in Galopp setzten, als sie ihre Hüterin so springen sahen.
XX Herr Anton Butzemann wurde bald aufmerksam auf die Jagd, die auf ihn gemacht wurde. Er sah sich um und fasste in demselben Augenblick, als er die Brieftasche in der Hand des Kindes erblickte, an seine Tasche. Mit einem scharfen Ruck hielt er sein Pferd an. Ganz weiß war er im Gesicht geworden, denn seine Tasche war leer, in der er eine Brieftasche, mit einem kleinen Vermögen darin, gehabt hatte.
XX »Herr, ist das ihre schwarze Tasche? Sie lag auf dem Wege, als ihr von mir fortgeritten wart«, sagte Hanne, die schnell bei dem Reiter war, der eben sein Pferd herumgeworfen hatte.
XX »Ja, Kind, das ist die meine!«, rief Butzemann herzklopfend und hielt schon wieder sein Eigentum in der Hand, das er jetzt sicher in der Tasche barg.
XX Dann fing er an, Hanne auszufragen nach ihren Verhältnissen zu Hause. Dabei wurde der Wunsch in seinem Herzen immer größer, dies Kind in seine Familie zu bekommen.
XX Endlich gab er dem Mädchen seinen Namen an und die Stadt, in der er wohnte, mit der Aufforderung, zu ihm zu kommen, er wolle für sie sorgen. Acht funkelnde Goldstücke ließ er noch in der Hand des Kindes mit dem Auftrage, das der Mutter zu bringen, und ritt dann gedankenvoll weiter.
XX Hanne war es wie einer Träumenden. Langsam ging sie zurück und brachte ihre Ziegen wieder zusammen. Sie freute sich, ihrer geliebten Mutter soviel Geld heimbringen zu können, aber es war dabei wie ein leiser Schmerz in ihrer Seele. Der Fremde hatte ihr gesagt, sie solle zu ihm kommen. Und Hanna Bodenstein ahnte, dass sie gehorsam sein müsse, aber ihr war bei allem so bange.
XX Als die erstaunte Mutter abends alles erfuhr, stiegen Lobgesänge und Dankgebete zu Gott auf. Dann wurden wirklich Mutter und Tochter eins, das Anerbieten des Herrn Butzemann anzunehmen.
XX So finden wir denn Hanne eines Tages vor der Tür des Kaufmannes in der fremden Stadt. Erfreut begrüßte sie der Hausherr und brachte sie sogleich zu seiner Gattin mit den Worten:
XX »Hier, Liebste, bringe ich dir wieder eine Tochter für unsere heimgegangene Amalie!«
XX Den Kaufmannsleuten war nämlich vor einigen Monaten ihr einziges Töchterchen gestorben. Und dies Töchterchen hatte kurz vor ihrem Tode zu der betrübten Mutter gesagt:
XX »Mutter, wenn ich bei dem Herrn Jesu im Himmel bin, will ich ihn bitten, dass er dir und dem Vater wieder eine fromme Tochter schicke. Aber bitte du den Vater, dass er auch fromm werde und den Herrn Jesus nicht so oft durch Fluchen und Spotten betrübe.«
XX Jetzt verstehen wir, warum Herr Butzemann damals gesagt hatte: »Bis auf dein frommes Singen.«
XX Aber wie froh war die Kaufmannsfrau, die den Herrn Jesus auch innig lieb hatte, für diese neue Tochter, die ihr auf solche Weise zugeführt wurde.
XX Hanne Bodenstein hatte sich durch ihr freundliches Wesen und ihren willigen Gehorsam bald das Vertrauen der Hausgenossen erworben, aber ihr frommer Sinn und ihr schöner Gesang waren dem Hausherrn zuwider. Doch duldete er um seiner Gattin willen die Dinge und blieb nach wie vor gleichgültig gegen Gott und sein Wort.
XX Aber da war eine weitläufige Verwandte in der Familie, Auguste Bannig, die als Haushälterin alles beherrschte, diese konnte das Singen und Beten des frommen Kindes auch nicht ausstehen.
XX »Ich schlage dich noch krumm und lahm!«, schrie sie eines Tages die erschrockene Hanne an, als diese wieder ein Lied vom Heiland vor sich hinsummte. Dabei hatte das Gesicht der Haushälterin einen so finsteren Ausdruck angenommen, dass Hanne schnell davongelaufen war.
XX Der gleichgültige Sinn des Pflegevaters und der Hass gegen alles Göttliche bei der Haushälterin presste der lieben Hanne oft bittere Tränen ab. Dabei litt sie sehr unter Heimweh nach ihrem stillen Ödheim, nach Mutter und Geschwistern. Aber sie hatte aus Gottes Wort gelernt, dass man den Heiland bekennen und ihm treu sein müsse auch unter Schwierigkeiten, wie denn der Herr Jesus auch für uns so unendlich viel getan habe.
XX Es war Frühling geworden nach einem strengen Winter, und Hanne half der Auguste im Garten beim Bestellen der Blumen- und Gemüsebeete. Das Sprießen der Blumen und Bäume, der warme Sonnenschein und der Gesang der Vögel hatten im Herzen Hannes dankbare Freude geweckt, aber auch wieder Heimweh nach ihrem kleinen Dörfchen. Doch machte sie der Gedanke froh, dass Mutter und Geschwister es jetzt besser hatten als früher.
XX »Geh, Hanne, und suche in der Gartenlaube aus den Marienblumenbüscheln einige gute Pflanzen aus und bring sie hierher«, gab die Haushälterin ihr jetzt einen Auftrag.
XX Eilig lief Hanne auf die Laube zu und fing an, unter den Blumen zu hantieren, die dort in Kisten standen. Dabei klang es bald fröhlich von ihren Lippen:
XX Schönster Herr Jesu,
XX Herrscher aller Enden –
In diesem Augenblick stürzte die Haushälterin mit einem erhobenem Spaten auf die Laube zu und schlug zornbebend auf das Kind ein, indem sie kreischend rief: »Ich will dir deine frommen Mucken endlich austreiben!«
XX Wimmernd sank Hanne zusammen. Das Blut floss ihr am zarten Körper herunter. –
XX Ja, Kinder, das liebe Mädchen, von dem ich erzähle, hat wirklich solche Misshandlungen von jener Haushälterin erduldet, dass sie blutend davoneilen musste. Und das um ihrer Liebe zu Jesu willen.
XX Hanne wurde von ihrer Peinigerin auf ihr Schlafzimmer geschickt. Auguste konnte sicher sein, dass die Frau nicht gleich etwas erfuhr, immer noch hatte Hanne solche Vorkommnisse vor der Pflegemutter verschwiegen.
XX Weinend kniete die treue Bekennerin ihres Heilandes nieder, als sie auf ihrem Zimmerchen angekommen war, und schüttete das übervolle Herz vor ihrem Herrn aus. Und was betete das liebe Kind? Für die Haushälterin betete Hanne, dass Gott ihr vergeben und sie selig machen möchte! Aber ihr Gebet wurde diesmal oft von Klagen und Weinen über ihre Schmerzen unterbrochen.
XX Herr Butzemann war zu dieser Zeit gerade im Nebenzimmer beschäftigt. Als er die Laute des Kindes hörte, ging er in das Schlafzimmer Hannes und erschrak nicht wenig über das Aussehen der Misshandelten.
XX »Was ist mit dir geschehen, Hanne, wer hat das getan?«, fragte er erregt.
XX Da erzählte Hanne in kindlicher Aufrichtigkeit, was sich zugetragen hatte. Aber am Schluss bat sie, dass der Haushälterin nichts geschehen möge.
XX »Ich habe«, sagte sie, »den Herrn Jesus gebeten, dass er ihr vergeben und sie selig machen wolle. Ich weiß, er wird es auch tun.«
XX Der Kaufmann stand in tiefer Bewegung vor diesem seltsamen Kinde. Er hatte manche Predigt von tüchtigen Geistlichen gehört, aber so eindringlich war ihm wahres Christentum nie nahegebracht worden als in diesem Augenblick, wo das blutende Kind, Tränen in den Augen, mit zuckenden Lippen bat, der Auguste nichts zu tun..
XX »Du sollst es forthin besser haben, Hanne«, sagte der Pflegevater, »komm, wir gehen zur Mutter!«
XX Erst jetzt erfuhr diese, was ihre liebe Hanne bisher erduldet hatte von der Haushälterin. Aber es gelang den inständigen Bitten des Kindes, die Pflegeeltern davon abzuhalten, Auguste fortzuschicken.
XX Seit dieser Begebenheit war der Kaufmann manchmal sehr nachdenklich.
XX »Warum bin ich so voll Unruhe, und dies Kind hat solchen tiefen Frieden?«, fragte er sich zuweilen.
XX Dann wieder konnte er es nicht begreifen, wie Hanne für die Haushälterin gebetet hatte. Auch sah er, wie offenherzig, freundlich, gehorsam und dienstwillig sich Hanne nach wie vor befleißigte, mit Auguste umzugehen.
XX »Hör mal, Hanne«, sagte er eines Tages, als er für einen Augenblick im Garten auf der grünen Bank saß, und die ehemalige Ziegenhirtin, ein Lied summend, gerade vorbeiging.
XX »Was soll ich?«, gab sie zur Antwort und eilte auf den Pflegevater zu.
Der Kaufmann legte den Arm um die Schultern des Kindes, zog es an sich heran und fragte mit etwas unsicherer Stimme: »Sag einmal, Hanne, betest du auch für mich?«
XX Da schaute das Dorfkind mit den treuen blauen Augen seinen Wohltäter lieb an und sagte: »Oh, mehr als einmal am Tag. Und ich denke, ihr betet auch für mich, dass ich immer eine recht fromme, folgsame Tochter sein möge. Die Mutter tut es auch, das weiß ich!«
XX Dem Kaufmann fing bei diesen Worten des Kindes das Herz seltsam an zu klopfen. Was glaubte Hanne? Er bete für sie? Er, der nicht einmal für sich selbst betete?
XX Er strich dem Kind über den hellen Scheitel und sagte leise: »Du bist ein glückliches, seliges Kind. Der Segen Gottes wird auf dir ruhen. Gott mache mich so selig, wie du bist. Bete auch weiter für mich!«
XX Dann stand er auf und ging gedankenvoll zurück an seine Geschäfte.
XX Aber die Gleichgültigkeit über Gott und göttliche Dinge war aus seinem Herzen gewichen. Die Worte und Gebete Hanne Bodensteins lebten darin. Es packte ihn manchmal so stark, dass ihm das Wasser in die Augen treten wollte, wenn er daran dachte: »Dies Mädchen betet für seine Peinigerin, betet für dich, und du hast noch nie, weder für dich, noch für dies Kind gebetet!«.
XX Endlich konnte er es nicht mehr aushalten. Er fing an zu beten, und Gott gab diesem ehemaligen Flucher und Spötter Gnade zu aufrichtiger Buße und Vergebung seiner Sünden.
XX Welche Freude war das besonders für seine stille, fromme Gattin, die bald merkte, welche große Veränderung mit ihrem Mann vor sich gegangen war. Tiefer Dank gegen den treuen Gott füllte ihre Seele, und oft brachte sie dem gütigen Vater im Himmel Anbetung und Lobpreisung.
XX Aber wie dankbar war sie auch der lieben Hanne, die durch ihr wahrhaft christliches Vorbild das Herz ihres Mannes geöffnet hatte.
XX »Mein liebes Hannekind«, sagte sie eines Tages, indem sie ihr Pflegetöchterchen auf den Schoß zog, »wie bin ich dir doch so dankbar! Dich hat wirklich der Herr Jesus in unser Haus geschickt. Wie bin ich jetzt so froh, dass wir nun alle den Heiland lieb haben!«
XX »Nur für Auguste müssen wir noch beten«, meinte Hanne nachdenklich.
XX »Ja, das wollen wir getreu fortsetzen, bis wir auch hier Erhörung finden«, sagte Frau Butzemann leise und drückte einen Kuss auf die roten Lippen Hannes.
XX Der Kaufmann fing bald an, in der Familie Hausandacht zu halten, und dabei konnte Hanne jetzt nach Herzenslust ihre Lieder singen.
XX Auguste Bannig, die Haushälterin, kam bei dem allem aus dem Staunen nicht heraus. Sie musste wohl oder übel bei den Familiengottesdiensten zugegen sein, aber innerlich stemmte sie sich mit aller Macht gegen die Liebe Gottes, die an ihr arbeitete wie die immer wärmer scheinende Frühlingssonne an der hart gefrorenen Wintererde.
XX »Weiß nicht, was das für neue Moden sind, die jetzt hier eingeführt werden«, brummte sie eines Tages in der Küche, als Frau Butzemann gerade zugegen war, »möchte wissen, was diese Singerei und Beterei für einen Zweck hat. Wer nur unserem früher so verständigen Herrn den Kopf so verdreht hat!«
XX Sie nahm sich als Verwandte allerlei heraus in der Familie, und die oft allzu nachgiebige Hausfrau hatte keinen leichten Stand ihr gegenüber.
XX »Das muss ich dir vielleicht gerade einmal sagen, Auguste, es könnte dir über manche Dinge die Augen auftun«, entgegnete Frau Butzemann, »dem Hausvater ist nicht der Kopf verdreht, er ist jetzt viel klüger als früher, aber sein Herz hat einen starken Stoß bekommen, dass es darin licht geworden ist. Und dieser Stoß rührt mit von deinem Spaten her, mit dem du die Hanne so übel zugerichtet hast.«
XX »Was – was?«, stotterte Auguste, die erschreckt in ihrer Arbeit innehielt und ganz blass die Hausfrau anstarrte.
XX »Ja, komm einmal ein bisschen mit mir in die Stube, ich muss gründlich mit dir über die Sache sprechen«, sagte Frau Butzemann ernst.
XX Beklommenen Herzens ging Auguste Bannig mit der Hausfrau in ihr Zimmer, und hier erfuhr sie alles bis ins Kleinste: Wie Hanne alles so geduldig ertragen habe, wie der Pflegevater sie angetroffen, als sie betend und vor Schmerzen weinend in ihrem Zimmerchen kniete und dann inständig gebeten habe, doch ja der Auguste nichts entgelten zu lassen, für die sie bete.
XX »Das hat meinen Mann im Innersten getroffen, Auguste. Sieh, das ist der rechte Sinn Jesu Christi, der sich in Hannes Herzen offenbarte, « fuhr Frau Butzemann fort, »seit jener Zeit ist mein Mann nachdenklich geworden und hat über sein eigenes Verhältnis zu Gott nachgedacht. Und dann hat ihm Hanne auf seine Frage eines Tages gesagt, dass sie für ihn bete – und endlich hat er selbst zu beten angefangen. Und nun noch eins, Auguste: Hanne betet auch für dich – ich hatte sie letzthin auf meinem Schoß.« Frau Butzemann erzählte dann der Haushälterin den ganzen Vorgang, wobei ihr die Tränen in die Augen traten, als sie von der Sorge des Kindes um das Wohl ihrer Peinigerin sprach.
XX Als Auguste alles erfahren hatte aus dem Verhalten der edlen Hanne gegen sie und gegen die anderen Hausgenossen, sank ihr Kopf tief auf die Brust. Es war ihr alles wie ein Strafgericht. Schlimmer hätten sie harte Scheltworte oder große Körperschmerzen nicht strafen können, als das, was sie jetzt gehört hatte.
XX »Sieh, Auguste«, sagte die Hausfrau dann mit tiefer Bewegung, »der Herr Jesus hat wirklich noch seine Leute in dieser Welt, auf die er zählen kann. Ach und seine Absicht ist ja, uns allen zu helfen von unserer Unruhe, von unserer Sünde, von unserer Hoffnungslosigkeit. Und er will dir auch helfen und gebraucht dazu die liebe Hanne, die, ohne dass sie es weiß, meinem Mann solch tiefer Segen geworden ist.«
XX Auguste stand langsam auf und ging hinaus. Den ganzen Tag tat sie schweigend ihre Arbeit, aber was in ihrem Herzen vorging, weiß nur der gütige und weise Gott allein, der sich aus dem Munde der Unmündigen Lob zugerichtet hat.
XX Aber als Hanne am Abend in ihr Kämmerchen gekommen war und eben von ihren Knien aufstand, um sich zur Ruhe zu legen, kam Auguste zu ihr herein.
XX Was die beiden dort verhandelt haben, will ich nicht erzählen, aber ein schönes Bild steht vor meinen Augen: Auguste sitzt auf dem weiß angestrichenen Stuhl und hat die harten schwieligen Hände gefaltet. Und auf diese harten Hände, die einst die Hanne so grausam geschlagen haben, fallen dicke, schwere Tränen. Und Hanne steht neben der Haushälterin, hat ihre lieben Kinderarme um den Nacken der Weinenden gelegt und ihren Kopf auf ihren Scheitel gelehnt. Und nun höre ich die Worte:
XX »Oh Auguste, wie gut ist unser Herr Jesus Christus, wieviel hat er für uns alle getan! Wie bin ich doch so glücklich, dass du ihn nun auch lieb haben willst!«
XX Die Auguste war nicht von vielen Worten. Aber von dieser Segensstunde an war kein Widerstand gegen Gott und sein Wirken in ihrer Seele mehr. Sie nahm das Wort Gottes, das sie in den Familienandachten hörte, willig und endlich verlangend auf. Und so konnte Gott in ihrem Herzen sein Werk tun. Und Gottes Werk in den Herzen der Menschen ist, dass er uns durch den Herrn Jesus Christus zur Buße und zum Glauben führt, um uns selig zu machen.
XX Hanne Bodenstein hatte durch ihr treues Bekenntnis zu ihrem Heiland viel Licht und Freude in das Kaufmannshaus in der Stadt gebracht.
XX Aber wie groß war für sie selbst immer wieder die Freude, wenn sie ihre herzliebe Mutter und die Geschwister in Ödheim besuchen konnte. Die Mutter hatte jetzt eine freundliche, wenn auch kleine Wohnung und lebte dort wie eine rechte Witwe, die ihre Hoffnung auf Gott setzt und ihre Kinder in der Zucht und Ermahnung zum Herrn erzieht.
XX Wenn Hanne zu Haus war, dann wanderte sie gerne einmal die Straße nach Rumburg zu, wo der fremde Reiter sie nach dem Weg gefragt hatte und wo sie dann mit ihren Ziegen im Wettlauf hinter ihm hergerannt war.
XX Die Zeiten wandeln sich. Es gibt vielleicht heute nicht mehr solche bittere Armut, wie sie sich in den Tagen von Hanne Bodensteins Jugend oft zeigte, denn es wird viel getan, dass die Menschen es äußerlich gut haben. Aber es gibt zu allen Zeiten immer viele Menschen, die arm, ganz arm in ihrer Seele, an ihrem Herzen sind, die bei aller äußeren Bequemlichkeit des Lebens keinen Frieden und keine bleibende Freude haben, solche Menschen wie der unruhige Kaufmann Butzemann und die finstere, harte Auguste Bannig.
XX Wollen wir nicht helfen, diesen Menschen durch ein treues Bekenntnis zu unserem lieben Heiland den Weg zum Frieden Gottes zu zeigen, liebe Kinder?
XX Dann tun wir, was Hanne Bodenstein getan hat.

– · –
Hanne Bodenstein ist 2014 im »Christlichen Versandantiquariat« von Roman und Elisabet Ingold-Gonzalez neu erschienen, zwei Euro, und kam im RZ-Verlag von Rudolf Zilke als Hörbuch heraus, zwei Euro, gelesen von Eduard Wall. Anfragen an Rudolf Zilke, rz-tonstudio@arcor.de

Autor dieser erbaulichen Geschichte ist mein seliger Großvater Wilhelm Jörn. Seine Lebenserinnerungen finden Sie auf www.Joern.De/Aehren.htm. Die Geschichte erschien 1927 zusammen mit »Wie Lissi Guntermann ihrem Onkel Theodor das Sterben leicht machte« im Christlichen Verlagshaus Stuttgart, wo W. Jörn zahlreiche Werke veröffentlicht hat. Seit 2011 ist das Heft wieder faksimiliert – also in Fraktur – und wie hier in Antiqua beim Christlichen Verlagsantiquariat Ingold erhältlich. Ich habe es sanft angepasst an die neue Rechtschreibung und gelegentlich auch auf den geänderten Stil. Die Umsetzung (das optische Lesen, OCR, optical character recognition) erfolgte dankenswerterweise vom Christlichen Verlagsantiquariat mit Tessdata. Der Zeichner der originalen Vignette ist mir nicht bekannt. September 2011, Fritz@Joern.De

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