30. Juni 2008

Bad Godesberg, 30. Juni 2008, vormittags – Liberalismus

Ich sitze im Kaffeehaus*), draußen, genieße den kühlen Morgen. Kinder spielen im Stadtpark, gepflegte Blumenrabatten leuchten herüber. Direkt vor mir die Koblenzer Straße; die gebührenpflichtigen Parkplätze bleiben jeweils nur Sekunden frei. Radfahrer, alte Leute, im Park Rollwagenspaziergängerinnen und türkische Familien mit Kinderwagen. Denn: Carla hat Ferienkurs in der nahen Zirkusschule, ich habe Pause.

Beim Zeitunglesen ein Artikel über die »Freiburger Schule«, die »Ordoliberalen«, die vor sechzig Jahren die soziale Marktwirtschaft mit begründeten+), und einer über die Hayek-Tage in Freiburg#). Es gibt sie noch, die liberalen Denker. Nur populär sind sie nicht. Es gehört Mut dazu, nicht regulieren zu wollen. Unsere Gesellschaft wird immer einmischiger, staatsrufender, gerechtigkeitsfordender. Und obwohl die Politik diesem Trend populistisch immer weiter nachkommt, wird sie von Jahr zu Jahr unbeliebter. Von uns »Alten« entfernt sie sich weiter und weiter. »Dies ist nicht mehr mein Staat«, sagte mir jüngst ein alter Freud. Ich selbst schwanke zwischen pessimistischem und zornigem Missmut. Es ist kein Durchkommen. Mauern aus Filz. Die Leute wollen sich überall einmischen, der Staat soll es richten, und dann tut er das doch nicht. Als sei der Zusammenbruch des Kommunismus’ – der sich selbst »real existierenden Sozialismus« genannt hat – nicht Beweis genug für die Unsinnigkeit menschlicher Planwirtschaft. Jeder Techniker liebt seit der Erfindung des Schwimmerventils in der Klospülung sich selbst regulierende Systeme. Bloß: Die Leute sind keine Techniker. Sie wollen an den Knöpfen drehen, an allen Hähnen herumstellen, meist an denen der anderen. Eisenbahn statt Autobahn, Schienen- statt Individualverkehr, Regeln für alles und jedes.

Wie wird diese Politik wieder flott? Wie lässt sich dieser Staat einschränken auf das Nötigste? Auf dass er wieder agieren kann, dort, und nur dort, wo es ihn braucht, bei Recht und Ordnung im eigenen Land. Ich erlebe ihn fast täglich, allein schon am miserablen Schulsystem hier, hoffnungslos staatsmonoplisiert. Da wird »Chancengleichheit« als wichtiger erachtet als Bildung. Freizeit statt Fleiß. Soziale Harmonie soll Differenzierung durch Leistung ersetzen. Genauso im Großen: »Soziale Gerechtigkeit« ist wichtiger als Produktion, Wachstum, Wirtschaft. Das wird nie was. Leider, vielleicht, bald schon mag die große Krise kommen, dann gehen wir bombastisch-sozial unter in Gerechtigkeit – und halten es immer noch für ungerecht. Eine DDR-Nostalgie haben wir ja auch schon.

Damit zurück zu Carla. Ihre Zirkusschule müsste für heute rum sein.

*) Baguetterie Sami, Koblenzer Str. 65, 53173 Bonn-Bad Godesberg, Inh. Madhat Abou Hassira – Zweitsprache arabisch, drinnen läuft im Fernsehen NRJ.

+) Das Gedankengut der Ordoliberalen. Überblick über Personen, Ideen, Texte, Ziele und Wirkung der Freiburger Schule, von Indira Gurbaxani, Buchbesprechung von Nils Goldschmidt, Michael Wohlgemuth (Hrsg.): Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2008, 780 Seiten, € 40,90, NZZ 27. 6. 8 (int. 30. 6., meine Datei NZZOrdoliberale) … Dass Wettbewerb am Markt effizient mit sozialen Zielen verknüpft werden kann, findet sich in der ordnungspolitischen Vorstellung bei Alfred Müller-Armack ebenso wie bei Alexander Rüstow oder Wilhelm Röpke. …

#) Der hohe Preis der Freiheit, Die Hayek-Tage zu Zwangsabgaben und Zwangsvorgaben, Von Michael Wolgemuth, NZZ 30.6.8 (meine Datei NZZHayekGesellschaft) … Der Staat verlangt einen immer höheren Preis für Leistungen, zu denen längst nicht mehr nur der Schutz von Freiheit, Sicherheit und Eigentum seiner Bürger gehört. An den Hayek-Tagen in Freiburg i. Br. wurde erörtert, ob dieses Angebot seinen Preis noch wert ist.

26. Juni 2008


im Landschulheim Marquartstein
Alle Fotos hier im Web

Vielleicht wendet sich die Wiedersehensfreudigkeit in ein paar Jahren wieder zum Besseren. Heuer jedenfalls überwogen die Abstinenzen. Mir hat das leid getan. Wir haben 1961 am Landschulheim Marquartstein in »(13a)« Oberbayern Abitur gemacht, waren davor dort mehr oder weniger lange in einer der beiden Parallelklassen, siehe www.Joern.De/Mstein.htm, und sind inzwischen rechnerisch alle im Rentenalter.

Als ich jetzt am Freitag, 20. Juni 2008, nach achtstündiger Irrfahrt von Bonn über das ferienbeginnende Hessen um zehn Uhr Abends ankam, stand der Hotelparkplatz voller edler Limousinen. Mein Freund HerneidXvonXdemXKnesebeck hatte im vornehm-reichen und günstig gelegenen Weßnerhof in Pettendorf Zimmer reserviert – war aber zuletzt dann leider selbst nicht gekommen. Nur mein Freund UweXFalck aus Hamburg war mit seiner Frau Ulrike da.

Das Navigationssystem hatte mich auf teils sinnlosen Umwegen präzise hingebracht. Nun stand ich da, umgeben von dicken Autos mit kurzen Nummern, Modell München A acht, und dachte mir: Ei Protz! Dabei saß ich selbst in einem solchigen, und hatte mein eigenes, einen über zehn Jahre alten E-Mercedes, zu Hause gelassen, weil meine vollbeschäftigte Frau das teure Nass zum Tränken ihrer Audi-Pferde von ihrer Firma bezahlt bekommt …

Vielleicht, so räsoniere ich, waren so wenige von uns da, weil sie in ihren jeweiligen Lebensumständen diese Parade der Erfolgreichen, Glücklichen, An- und Aufgeregten scheuten. Man stapft ja doch durch ein Wechselbad der Gefühle bei so einem Treffen. Mich hat prompt das Heimweh erwischt, am Sonntag am Fußsteig zur Burgkapelle (letztes Bild unten): Erst das atemberaubende Gefühl von Heimat, wiedergefundener Heimat, neun Jahre lang täglich beschritten. Minuten später der Verlust: Man geht wieder auseinander. Man gehört hier nicht mehr dazu, es liegt ein ganzes Leben zwischen bescheidener Schulzeit und bescheidenem Rentner mit Zipperlein. Dieses Dazwischen wird freilich je nach Gusto ausgeschmückt oder nicht erwähnt, wird kolportiert, selten systematisch berichtet.

Mitten im Dorf die Achenbrücke steht zwar noch, man kann auch wieder darüberfahren – ich erlebte sogar zufällig ein junges Paar, das die klassische Mutprobe bestand und schwindelfrei über die hohen Bögen balancierte (rechts FeodoraXSophieXWolff – wie immer sind die Bilder klickbar! Der Rest der Bilder dank Henning hier im Internet).

Die Schule ist mehr als je aktiv: 840 Schüler, fast 90 Lehrer (zunehmend weibliche) für die 25 Klassen; 105 im Internat – rund die Hälfte Mädchen, was wir nicht hatten, jedenfalls nicht im Internat, nur extern eben. Sechzig im neuen Tagesheim, wo die Kinder nachmittags bis Viertel vor Fünf betreut werden. (Anders als hier in Nordrhein-Westfalen nennt sich das dann nicht geschönt »Ganztagsschule«.) Das Tagesheim steht dort, wo wir den achteckigen Musikpavillon hatten, und red sails in the sunset sungen. Im der neuen blauen Festschrift »80 Jahre LSH Marquartstein« schreibt der Elternbeirat Prof. Dr. med. HelmutXMilz von der komplizierten Logistik der Busverbindungen. Kann man sich vorstellen!
Zurück zu den zahlreich Fehlenden: Die mir mitgeteilten Gründe hatten mich schon vor der Abfahrt teils bedrückt. Lauter Alte und Kranke oder der Heimat Ferne. Da war Schorschs Mutter gerade frisch operiert worden und lag im Krankenhaus, mein zeitweiser Zimmerkamerad EberhardXNowak nach einem Herzinfarkt 2000 jetzt frisch mit Bypässen versorgt worden, JustusXMüller wurde am Kiefer operiert, GötzXZarges’ Bruder Frank feierte seinen Siebzigsten, HenningXvonXBostell in Köln hatte ein Hausumbaufest in der Familie, »Oma« (KlausXHüttig) war erstmals Opa geworden und in London, VolkerXHopf lebt ohnehin glücklich in Australien, und so weiter, wie auch immer.
Am Freitag, spät und wenig frisch angekommen, bin ich dann leider nicht mehr ins Festzelt gegangen. Ich hätte dort neben den üblichen Verdächtigen noch SchorschXArnold und UteXKellner angetroffen, die sich hernach nie mehr hatten sehen lassen. Blöd. Wie mir »Fage« (»Farge«?) (GunterXHemmel) und die anderen übereinstimmend berichteten, saß eine kleine Gruppe von uns bis lang in die Nacht hinein beisammen. Junge waren wenige im Zelt. Dafür zum Beispiel unser letzter Erzieher und Deutschlehrer HeinoXJahn, der sich dann schon wegen dem Lärm einen zweiten Abend im Festzelt erspart hat. Ich traf ihn dann am Sonntag am Ende der Burgbesichtigung (Hier im Bild in Denkerpose).
Am Samstag war ich dafür dann ordentlich früh wach. Morgenstund hat Gold im Mund, besonders in den Bergen, und wenn man Fotos machen möchte. Uwe und Ulrike saßen noch beim Frühstück, da blickte ich am Neuen Schloss schon hinauf zum Turm und zur wallenden Mstein-Fahne (erstes Bild oben). Ich habe dann noch ein paar Bilder von der steinernen Wendeltreppe gemacht, die im »Fliegenden Klassenzimmer« vorkommt und uns zu Rundläufen und Wäschesackabwürfen animiert hatte, mehr oder weniger freiwillig. Dann holte ich Uwe und Ulrike ab.
Es war ein schöner Vormittag der »offenen Tür« in der Schule, Hallos, Händeschütteln, aufgeräumte Stimmung, und dazu Veranstaltungen – leider viele natürlich parallel. Im Bild vor der Schule (Dr.) UwexFalck und seine Frau Ulrike, in der Mitte HanslxHuber. Ich hörte mir von Mathe- und Physiklehrer, StR z.A.**) BenjaminXRiegel den Vortrag über Dunkle Materie an. Spannend. Oben in der Bücherei unter die Diskussion über den Wandel des Geschichtsunterrichts litt unter Strukturschwäche, regte mich aber doch zum Nachdenken an, wie anders als die Heutigen wir nicht nur Geschichte, sondern selbst Gott (samt Religion) und die Welt gesehen haben. Härter? Unsere glücklich aus dem Krieg heimgekehrten Erzieher, eher ein wilder Haufen als staatlich geprüfte Premium-Pädagogen, mussten ihre traumatischen Erlebnisse ohne Betriebspsychologen verarbeiten. Uns Schülern gegenüber war das Thema tabu. Wir hatten – und haben – es heute besser. Danken wir Gott dem Frieden.

Zu Mittag saßen wir in einer kleinen Gruppe am Platz vor dem Unterhaus. Die Schule hatte einfaches Essen spendiert und Getränke, genau richtig. Eine Erzieherin hat uns dann noch durch das Unterhaus, Mädchenzimmer, geführt, alles sauber und ordentlich. Die Kapelle ist ein Leseraum geworden, wird nur mehr bei besonders erschütternden Ereignissen zum Beten verwandt. Klimawandel: Das Weihwasser längst vertrocknet. Dafür Blumen an den Balkonen. Der Festsaal mit moderner Beleuchtungstechnik und einem Keramikfries, der sich wohl Jahr für Jahr töpferisch verlängert.

Mit Hansl und den Falcks bin ich dann über Schleching zur Streichenkapelle gefahren beziehungsweise das letzte Stück gewandert. Am Waldparkplatz ein solarbetriebener Parkscheinautomat – angeblich müssen die Gemeinden dem Forst für Parkplätze Miete zahlen. Die schönen Fresken, den weiten Blick zum Kaiser bewundert. Oh Heimat! Dann lange im Gasthaus zusammengesessen. Nebenan war Gallus (HermannXHennecke) am Diskutieren – ein alter, drahtiger Lehrer aus unserer Zeit, der dann aber vorzeitig ausgeschieden war; er war mit dem Mountainbike gekommen. Zurück über Kössen und Reit im Winkel. Windschäden im Wald.
Abends im Festzelt eher ungemütlich. Man musste schreien, um sich zu verstehen. Oder sind wir alle schon ein wenig terisch? KlausXBigall war da, wie immer anregend aktiv, will beim nächsten Treffen helfen. Wir sollten es bald und selbst in die Hand nehmen, 2011 »Fünfzig Jahre Abitur«, vielleicht einen Tag länger machen, kleine Touren organisieren, kurze Lebensläufe als Eintrittskarte verlangen. Was meint ihr? Eine Lehrer- und Erzeiherliste hätte ich auch gerne zusammengestellt, bräuchte Hilfe! Zurück ins Zelt: Gunter war mit seiner dreizehnjährigen Tochter gekommen (rechts HanslXHuber), nett und eine Augenweide, die sich natürlich nicht gerade wohl fand unter uns.
Zwischendurch schlich ich mich hinaus, noch ein paar Bilder zu machen, wanderte durch das (wie alle deutsche Siedlungen) in seinem Inneren leicht verfallende Dorf; das »erste Haus am Platze«, die Alpenrose, seit Jahren leerstehend, in einem Innenhof ein Hakenkreuz angesprayt.
Zurück im Festzelt dann ein gutes Gespräch mit Dr. PeterXStolberg – (hier rechts im Bild auf der Burg), meinem Deutschlehrer, der sich besser an manche Aufsätze von mir erinnert als ich selbst. Er ist immer noch sehr aktiv verbunden mit der Schule, betreut einzelne Schüler, etwa wenn deren Eltern in weiter Ferne leben, räumlich oder geistig. Viele Lehrer sind über Nachhilfen noch stark schulverbunden. Schön. Leider schlägt mich bei solchen Gelegenheiten mein ungepflegtes Gedächtnis besonders. »Weißt du noch?« – Und ich weiß nicht. Oben auf den Bergen leuchteten die Sonnwendfeuer …
   Sonntag wieder ein strahlender Tag! Um viertel nach zehn gab es eine ökumenische Dankandacht in der Burgkapelle, geleitet vom Altmarquartsteinervorsitzenden FrankXSpringer und Religionslehrer ChristianXZill, zirka sechzig Leute, und dabei vor allem schöne ländliche Musik von der »Buxbaum«-Musik: Gitarre, Bass, Harfe und Hackbrett. Feierlich und schön. Hernach habe ich mich noch in der Burg mit Herrn Zill über das veränderte Gottes- und Religionsverständnis unterhalten, zu kurz. Er meinte, zu unserer Zeit sei Religion Erziehungshilfe gewesen. Na und? Da hätten wir weiter reden müssen. (Im Bild rechts: »Penny« – ErichXPenzkofer – mit »BunnyXHuber« – jetzt A.XWilm.) Es gab Brezen und Getränke, die Sonne strahlte herein in den Burghof, Erinnerungen wurden ausgetauscht, AlbrechtXGrafXvonXRechberg, 1931 mit als erster in die Burg eingezogen, erzählte: Jeden Morgen gab es obligatorisch Frühlauf. Von 55 Schülern waren nur nur 3 Katholiken, die immer zur Frühmesse mussten, was den Zeitplan durcheinander gebracht hat. 1933 im Burghof eine Aufführung des Götz von Berlichingen (mit Christian Probst). Wie er daraus zitiert, sekundiert mein Freund UweXFalck***). Zur wenig bekannten Buggeschichte berichtet er, dass zunächst (vor dem Jahr Tausend) Bauen ein königliches Privileg war, erst später durften Grafen ohne zu fragen Mauern bauen – denn die waren wehrhaft. Bautrupps kamen aus Italien. Die Burg Marquartstein wurde 1070 erbaut, doch das kann man inzwischen in der Wikipedia und anderswo nachlesen. In der Burg stand ein Turm in der Mitte, 1840 abgerissen. Links und rechts Wallwände und Verteidigungsgänge. Auf der heutigen Küchenseite der Palas.
    Am Nachmittag bin ich noch zu Hansl nach Aschau gefahren. Das alte Haus Zillibillerstraße 4! So etwas kenne ich nur aus den Bergen: Häuser, Wohnungen, Stuben, Balkone, eingebaute Bettstellen, die unverändert sind und bleiben, zehn, zwanzig, fünfzig, hundert Jahre lang. Warum auch nicht? Unterhält man sich in der Wohnküche am Hocker besser als am Sofa mit Nierentisch, im Loft lustiger als in der getäfelten Stube? Sieht ein Fouton besser aus als ein nicht ganz ordentlich aufgeschütteltes Plumeau hinter rotkarierten Vorhängen? Fragen über Fragen, melancholisch manche, mit denen ich offen ende.


Panoramablick vom Fußsteig zur Burg (rechts)
*) Alle ausgeschriebenen Eigennamen haben hier ein unsichtbares X zwischen Vor- und Familiennamen. Damit erscheinen Sie Suchmaschinen als langes Einzelwort mit X, bleiben somit für Google & Co. unauffindbar. Nur der Schriftsatz leidet etwas.

**) Amtliche Amtsbezeichnungen:
OStD: Oberstudiendirektor
StD: Studiendirektor
OStR: Oberstudienrat
StR: Studienrat
StR z.A.: Studienrat zur Anstellung
Lass: Lehramtsassessor
FOL: Fachoberlehrkraft
FL: Fachlehrkraft
A.i.L: Angestellte(r) i. Lehramt
nb Lkr: Nebenberufliche Lehrkraft
***) Eine ausführliche Darstellung »Schultheater am Landschulheim« findet sich in der neuen blauen Festschrift zur Achtzig-Jahr-Feier des Staatlichen Landschulheims Marquartstein. Sehr empfehlenswert auch die Site des Landschulheims unter der Leitung von StD a.D. Hans Niedermeier
Links zu Berichten: Chiemgau-Zeitung, Traunsteiner Tagblatt (bitte weitere melden)
Meine Bilder

7. Juni 2008

Gruppokratie. Ich weiß, den Ausdruck gibt es nicht. Die Sache auch nicht, wird mir jedes »Mitglied« versichern. Wir leben in einer Demokratie, als »Europäer« sogar in siebenundzwanzig! Fünf übereinandergeschichtete Lagen, fünf Register Regierungen: Stadt, Land, Bund, Brüssel und die Vereinten Nationen umtönen uns mit einem Schwall großer Worte und zahlreicher Vorschriften. Die oberste Behörde meint sogar, durch Abstimmungen »Menschenrecht« zu setzen. Als die Demokratie noch frisch war in Deutschland, war ich dort im Gymnasium (im »Freistaat«). Wir haben das gelernt: direkt gewählte Volksvertreter, die in unserem Namen im Parlament reden und abstimmen. Das scheint lange her. Jetzt reden sie in Ausschüssen und stimmen im Namen ihrer Partei ab. Die Partei ist eine Gruppe einigermaßen Gleichgesinnter. Politik machen politische Hauptberufler. Sie wollen möglichst immer dran sein, eigene Meinung hin oder her. Stattdessen vertreten Umfragen den Volkswillen. Fernsehnachrichten und Bild sprechen die Volksmeinung aus. Wer sich da recht im Kreise mitdreht, der ist dabei, ist in.
Doch zurück zur Gruppokratie. Wir werden von Gruppen regiert; regiert im Politischen, regiert aber auch emotional, und gedanklich beeinflusst – so wir uns denn Gedanken machen. Gruppeninteressen treiben die Welt an. Aufzählen lassen sich nicht nur Parteien, Standesvereinigungen (Hartmannbund), Umweltorganisationen, Abgeordnete, vereinte Nationen, Mafia, Scheichs, Al Kaida, Sorben, Journalisten, Warlords, man nenne, was kommt und sich für eine Gruppe hält. Und dann sehe man sich ihre Interessen an.
Bei uns sind es Gott sei Dank meist recht grüne Gruppen. Sie wollen alle die Welt retten, mit unserem Geld, treffen sich in Rom (Welternährungskonferenz, »mehr als« fünfhundert Teilnehmer), auf Bali (Klimakonferenz, »gut elftausend« Teilnehmer) , in Bonn (Biodiversität mit angeblich fünftausend Teilnehmern) , in Davos (über zweitausend Teilnehmer). Selbst die Bauern kriegen mehr für die Milch, wenn sie vorher zuviel produzieren und sie dann gemeinsam wegschütten.
’s ist eine Welt der Interessengruppen geworden. War das immer so? Sind die Gruppen genügend verzahnt, so bewegt sich nichts mehr: Filz. Sind sie nicht verfilzt, so streiten sie. Das zahlende Publikum darf zuschauen, ist ja unser Geld, das da sozial gerecht, bio- oder sonst höchst divers verteilt wird. Die »Gruppe« der Künftigen, die die Schulden dereinst werden ausbaden müssen, ist nicht vertreten, bleibt abstrakt. Am besten, sie bleiben ganz aus, dann können wir alles unter uns verteilen.
Der Einfluss von Sinn und Verstand des Einzelnen auf dieses Gruppengewabere ist minimal. Wer traute sich zu fragen, ob eine Erderwärmung nicht Heizkosten spart? Ob unser Engagement für Diversität auch für Malaria gilt? Ob sich Afrika nicht – etwas Ordnung und Frieden vorausgesetzt – selbst ernähren könnte? Warum wir unsere Heimat in Afghanistan verteidigen und nicht in Liechtenstein?
Nötiger Themenwechsel. In meiner ersten Firma habe ich gelernt, dass man die Notwendigkeit einer Abteilung am besten dadurch beurteilt, dass man sie abschafft. Tut’s danach weh (selten), dann muss man eine ähnliche wieder neu aufbauen, aber bitte mit neuen Leuten. Wie wäre es, wenn wir in der Politik reihrum Organisationen auflösten? Bundesländer zusammenfassten? Kultusministeriumsbewohner zu Lehrern umschulten? Die Sportförderung den Privaten überließen, alles Theater und Fernsehen auch? Sechzig Prozent des Benzinpreises sind Steuern, bezahlt aus einem um fünfzig Prozent abgabenreduzierten Einkommen. Fiat res "publica" et pereat mundus.