30. Oktober 2020

Moral, Markus Gabriel und Donald Duck

»Moralische Tatsachen sind so real wie Naturtatsachen, nur sind sie davon abhängig, wie wir auf sie reagieren«, meint Markus Gabriel in einem Interview mit der NZZ, hier https://www.nzz.ch/feuilleton/der-philosoph-markus-gabriel-ueber-corona-wahrheit-und-moral-ld.1583000.
   Ich weiß zwar nicht, was »moralische Tatsachen« sein sollen, vielleicht Ereignisse, die dann moralisch beurteilt werden? Im Micky-Maus-Heft vom 2. Juni 1999, das ich mir gestern für fünfzig Cent statt für drei Mark zwanzig geleistet habe, geht’s auf Seite 36 auch um Moral, und zwar gleich im Aufmacherbild der Donald-Duck-Geschichte D 97128 »Der Schwachkopf der Woche«:

»Da machen sie einen armen, ahnunugslosen Menschen vor aller Welt zum Trottel, und du findest das auch noch lustig, Donald«, kommentiert seine Freundin das Fernsehgeschehen (allerdings ohne Komma vor dem und).
   Doch Donald meint lachend: »Ach Unsinn, ausschütteln würd’ ich mich vor Lachen. Das ist doch alles bloß ein harmloser Spaß!«

Da haben wir’s, ganz harmlos, die Differenz über eine menschliche Tat, die ja wohl landläufig der »Moral« unterliegt. Unterschiedliche Urteile. Die Geschichte entfaltet sich dann auch recht phantasievoll bis zur Blamage der beiden Fernsehmoderatoren.

Soll ich mit einer ganz ernsten Geschichte dienen, bei der es sich um Moral dreht? Weltanschauungen und Religionen verkünden Moral, als sei sie von ihrem jeweiligen Gott gegeben. Da hat Moses die zehn Gebote auf dem Berg gepflückt. Mein Beispiel: Die »Berufung zur Keuschheit« im gültigen katholischen Katechnismus, siehe http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P8B.HT . Absatz 2352 geht dann ins Volle, und Masturbation wird als schwere Sünde »gebrandmarkt«, weil „der frei gewollte Gebrauch der Geschlechtskraft, aus welchem Motiv er auch immer geschieht, außerhalb der normalen ehelichen Beziehungen seiner Zielsetzung wesentlich widerspricht". Der um ihrer selbst willen gesuchten geschlechtlichen Lust fehlt „die von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe realisiert" (CDF, Erkl. „Persona humana" 9). Ich kann das nachvollziehen.

»So real wie Naturtatsachen« finde ich zwar die Sache selbst, nicht aber ihre moralische Einordnung, ihre Moral. Man könnte so fortfahren. Man kann es aber auch sein lassen, die katholische Kirche »einen guten Mann«, und sich wundern, dass ihr die Leute weglaufen. 

… Markus Gabriel ist Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn und ständiger Gastprofessor an der Sorbonne in Paris. Er zählt zu den führenden jungen Philosophen der Gegenwart, die sich in den letzten Jahren für einen neuen Realismus starkgemacht haben. Jüngste Veröffentlichungen: «Warum es die Welt nicht gibt» (2013), «Ich ist nicht Gehirn» (2015) und «Der Sinn des Denkens» (2018). Demnächst erscheint bei Suhrkamp «Fiktionen» und bei Ullstein «Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten».

Und was ist »Erkenntnistheorie«? Dazu meint wiederum die Wikipedia in ihrer unübertreffbaren Akademizität: »Die Erkenntnistheorie (auch Epistemologie oder Gnoseologie) ist ein Hauptgebiet der Philosophie, das die Fragen nach den Voraussetzungen für Erkenntnis, dem Zustandekommen von Wissen und anderer Formen von Überzeugungen umfasst. Dabei wird auch untersucht, was Gewissheit und Rechtfertigung ausmacht und welche Art von Zweifel an welcher Art von Überzeugungen objektiv bestehen kann«.
   Weiter erzählt die Wikipedia über das Denken und Reden über das Denken und Wissen: »Gegenüber alltäglichen Überlegungen gewinnen die erkenntnistheoretischen im selben Moment oft eine kaum ernstzunehmende Dimension. Wittgenstein sprach das 1951 in seinen Überlegungen Über Gewißheit (erst nach seinem Tode 1969 veröffentlicht) mit Humor an:

„Ich sitze mit einem Philosophen im Garten; er sagt zum wiederholten Male: ‚Ich weiß, dass das ein Baum ist‘, wobei er auf einen Baum in der Nähe zeigt. Ein Dritter kommt daher und hört das, und ich sage ihm: ‚Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir philosophieren nur.‘“[7]

Richtig beginnt auch das Zürcher Gespräch von René Scheu mit Markus Gabriel mit dessen Feststellung: »Wir befinden uns gerade in Zürich, während wir hier reden. Dieser Satz ist wahr. Wir könnten nun der falschen Meinung sein, wir seien nicht in Zürich, dann sitzen wir einem Irrtum auf. Das kann passieren, wenn man verwirrt ist, aber eigentlich nicht, wenn man in Normalform ist.«
   In der Erkenntnistheorie, so Wikipedia, »werden Galileo Galileis „Eppur Si Muove“ [in den Bart gemurmelt: »Und sie bewegt sich doch!«, Anm. fj] ähnlich tradiert als Hinweise auf die gesellschaftliche Brisanz des erkenntnistheoretischen Nachdenkens«.
   So geht’s dann seitenweise weiter, na ja, nicht seitenweise, denn das Internet kennt sie nicht und nur den ewig langen Fluss bestenfalls entlang einer Schiebeleiste am Bildschirm. Zwischendurch einnern sich »aktuelle Debatten« des Dialektischen Materialismus’, »den philosophische Lexika der Ostblockstaaten propagierten« und wir in Bayern noch brav in der Schule gelernt haben – und nichts verstanden haben davon. Aus These und Antithese was Höheres, erinnere ich mich noch. Wieso?
   Des weiteren verstehe ich kein Wort, Erkenntnis-praktisch null.
   Am Ende geht’s sogar um künstliche Intelligenz, die für mich alten Informatiker am Ende Programme sind, ob man sie nun digital, Apps, Siri oder KI nennt. »Alan Turing notierte in einer erkenntnistheoretischen Wendung bereits in den 1950er Jahren das Problem, auf das die Entwicklung zuschreitet, auf Seiten des Beobachters: Ob man weiß, ob der Mensch, mit dem man kommuniziert, mit einem Bewusstsein ausgestattet ist (so wie man selbst)«. So Progrämmchen haben wir »Systemanalytiker« schon recht früh gehabt; es ging aber nicht um die Frage nach Bewusstsein, sondern konkret über Menschsein. Ist der, die oder das Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine? Ein Beispiel ist 1966 Joseph Weizenbaums Eliza, die sich erfolgreich grad so dumm anstellt wie ein Mensch … Ob und wieviel Bewusstsein, speziell Selbstbewusstsein ein Gegenüber hat, das wissen wir nicht einmal von unserem Hund. Bei einer Maschine nehmen wir selbstbewusst an, sie hätte gar keines. Allerdings erinnere ich mich aus der Steuerung von Überwachungssystemen spätestens in den Achtzigerjahren, dass unsere Minicomputer einen Hardware-Interrupt zum Power-fail-autro-restart hatten, also ihr eigenes Dahinscheiden gerade noch erkennen konnten, auf dass sie bei einer Wiederbelebung flott und skrupellos weitermachen konnten, Kosten viertausend Mark, Einbau »nur im Werk« (factory upgradable, nur damit keiner merkte, dass die Schaltkreise beim HP 2116 schon an Bord waren und durch einen Streifen Tesafilm reaktiviert werden konnten.) Ist denn so eine Wiedergeburt kein Bewusstsein …? 

Ich ende. Für mich ist das alles teuer erwärmte Luft. Denken ist wenigstens abgasfrei. Es gibt immer noch zuwenig »menschenmachtes Denken«.

Link hierher zum Weitergeben: https://bit.ly/fj3oEdLF8
 = https://blogabissl.blogspot.com/2020/10/moral-markus-gabriel-und-donald-duck.html

Eliza (englisch): https://www.masswerk.at/elizabot/

Sie können gerne kommentieren. Ich lerne gern zu. 

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