30. März 2017

Kandil, Die deutsche Frage

Voriges Jahr hatte ich mir eine »Eckartschrift« kommen lassen, aus Wien, weil ich mich interessiert hatte für die Auswanderung armer Schwaben Anfang des 18. Jahrhunderts – siehe »Die Deutschen in der Kaukasusregion«.  
   Seitdem stehe ich auf der Liste der »Österreichischen Landsmannschaft«, die von sich schreibt: »Die Österreichische Landsmannschaft unterstützt humanitäre Projekte und fördert die deutschen Volksgruppen in Europa bei der Erhaltung der uns gemeinsamen Sprache und Kultur.« Na schön. Die Wikipedia ist natürlich anderer Meinung, wieder typisch nicht selbst sondern zitierend; ich kann’s nicht beurteilen. 
   Höchstens schaue ich das mir unerwartet zugeschickte, neueste Heftchen »Die ›deutsche Frage‹, Deutschland von der Adenauerzeit bis zur Wiedervereinigung (1945/49 – 1989)« von Mario Kandil mit spitzen Fingern an. Dazu kommt, dass ich die Zeit selbst erlebt habe, allerdings bis auf eine Demonstration gegen die Mauer Tage danach ganz apolitisch.
Flughafen Köln-Bonn, September 1955.
Eine Soldatenmutter dankt Konrad Adenauer
   Das Heftchen ist eine detaillierte historische Aufzählung der Geschehnisse und Entwicklungen, von geschichtsprägenden Ereignissen in den Fünfzigerjahren, von Festigkeit und Wankelmut danach, und dann kam’s doch ganz anders, als sich je wer vorgestellt hätte. Es tut gut, sich an die wechselvollen Ereignisse zu erinnern, die Kandil genau aufführt, bis es dann fast langweilig wird. Da kann aber Kandil nichts dafür. Anekdotisches kommt nicht vor, wie die westdeutsch sich wandelnde Perzeption der »sogenannten« zur »sog.« zur Gänsefüßchen-DDR, von der SBZ über die »Zone«, »Mitteldeutschland« zum – jedenfalls orthographisch – ganz normalen Staat wie Österreich. Das hätte das ansonsten sehr dichte Buch etwas entspannen können. Oder wie Strauss zuletzt immer weiter Kredit gegeben hat.
   Ärgerlich ist höchstens der meinungspolemische Anhang, die »Schlußbetrachtung« (natürlich in alter Rechtschreibung, Revanchist!). Da wird ganz fußnotenfrei, dafür mit Rufzeichen [!] behauptet, »noch 1990 wurden neue besatzungsrechtliche Vorschriften erlassen«. Deutschland sei nicht souverän, nicht »frei«. Was soll das? Wer hat das denn gefragt, damit uns Dr. Kandil das beantwortet? Heutzutage, in einer »globalen Welt«.
   Googelt man den Historiker Kandil, so werden ihm Voträge in Volkshochschulen gestrichen, weil er bei Neonazis gesprochen hat, da wird hin und her Dreck geworfen – wozu freilich tendenziöse Auslegungen der Geschichte durch Kandil selbst verführen.
   Ich lese mir die Fakten, mache mir selbst meine Gedanken, und bin nach wie vor der Meinung, dass man Geschichte nicht beurteilen soll; erzählen ja, und das desto besser, je weniger man seine Meinung darüber »transportieren« will. Erst wissen, dann denken – und ein moralisierendes Urteil für sich behalten. Wir verspielen uns sonst hier auch noch die Meinungsfreiheit. 
   Wenn keiner mehr denkt, verschwindet es aus den Regalen. 

Zum Buch: http://www.oelm.at/neueste-eckartschrift-die-deutsche-frage/

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