25. März 2017

Gedanken zur Vorabendmesse

Samstagabend in der Bonner Stiftskirche Bonn.
Saturday evening in the Bonn “Stiftskirche”.                           Foto Jörn
»Vorabendmesse«, so nennt sich die Sonntagsmesse am Samstagabend. Man hat dann seinen Sonntag frei – ich fahre diesmal zum Beispiel weg nach Hannover. Diese Vor­abend­messe spielt eine andere Rolle als die sonntagvormittägige Gemeindemesse mit Pfarrer, Händeschütteln und Weihrauch, je nachdem.
   Unsere Vor­abend­messe in der Bonner Stiftskirche ist eine besonders theologische Messe. Normalerweise liest sie ein Professor der nahen Universität und predigt besonders gut. Seine »Gemeinde« ist etwas kleiner als die reguläre am Sonntag, und doch hat er seine »Stammbeter«. Bei uns vor allem eine Dreierfamilie, Vater, Mutter, Kind, alle sportlich wie gerade zurück von einer Wanderung, in roten Anoraks die Eltern, und die Tochter, fromm, fast schon erwachsen, sie ministriert immer. In den anderen Messen haben wir hier in Bonn schon längst keine Ministranten mehr; sie sterben aus wie die »ganze« heilige Kirche …
   Die Stiftskirche wurde um 1880 neu gebaut, neugotisch. Sie bietet dem Auge viele schöne Anhaltsmöglichkeiten. Am Abend ist’s dort eher dunkel, stimmungsvoll, die Kerzen entfalten ihre Ausstrahlung, die Gedanken nehmen schon nächtliche Wege.
   Der Organist wird zum Kantor – wenn nur die Gemeinde singt, so klingt das nach nichts –, und manchmal kann auch der Priester ordentlich singen, wie gestern Professor Gerhards. Da geben schon die ersten psalmodierenden Rufe durch das Kirchenschiff die Stimmung vor.

Mir kam ein abendliches Psalmensingen in Erinnerung, vor vielleicht sechzig Jahren. Mit zwei Mitschülern war ich ausgetauscht von einem Internat ins andere, von Bayern nach England, in einer anderen Zeit sowieso, und in eine ganz andere, althergekommene Welt. Internate waren damals überall »am Land«, hatten Tradition und Ruf. Als Internatsschüler war man »drin«, redete, philosophierte viel miteinander, las Bücher, versenkte sich jugendlich heranwachsend in sich. Wir hatten zu dritt eine study, da sang Carmen Cavallaro von der Langspielplatte. »Zuhause« lebte ich sogar in einer Burg.
   Im Bradfield College versammelte sich einmal die Woche, ich mein’ mittwochs, die ganze Gruppe im zugehörigen gotischen Aufenthaltsraum. Wir waren »in Häusern« untergebracht, A-Haus und so weiter, kleine Gruppen, allerdings nicht Gleichaltriger wie bei uns in Bayern. Egal.
   Da saßen wir nun im Dunkel des Abends in einer dunklen Stube – in meiner Erinnerung – und sangen jedes Mal einen anderen Psalm. Dazu muss man ein wenig üben, wiederholen, auf dass die schönen, frommen Worte eindringen ins junge Herz. Ich weiß, dass das kitschig klingt, aber so ist Erinnerung. Nach der Andacht geht man an der Seele satt zu Bett. Morgen ist wieder ein Tag. Morgen ist’s wieder laut.

Gestern in der Stiftskirche war mir das eingefallen. Es stand da wie ein weit entfernter Brückenpfeiler im Nebel, von dem ein Bogen zu mir heute und hierher führte, von meinem fünfzehnten zu meinem fünfundsiebzigsten Jahr, von überm Meer in eine »real existierende« Welt, verfließend im Alltag. Am Weg über die lange Brücke habe ich gar nicht oft nach oben gesehen, zu selten hinauf in den Himmel, erst recht nicht unter mich, das geht auf einer Brücke gar nicht; religiös war ich nicht, nie, habe mich nur oft und gerne darin beschäftigt, mal mit Gedanken, mal mit Gefühlen, mit Freundschaften, Menschen. Heute mehr.
   Ich könnte auch nicht sagen, dass mir das abendliche, englische Psalmsingen einen »Ruck« gegeben hätte, und doch prägte es mit mein Leben. Das Gefühl, Teil einer alten Kultur zu sein, Gedanken, die zu Worten, die zu Weisheiten, zu Gefühlen und Erinnerungen geworden sind, jenseits ihres vordergründigen Inhalts. Ein »Glaube light«, der mich nicht quält, den ich nicht hinterfrage, der mir mal mehr, mal weniger »kommt«, gefühlt im Schutz Gottes und wo nicht, doch nie »höllisch gefährlich«. Hier bin ich und hab’ gelebt, schön, ob gut, mag ein anderer entscheiden. Doch halt, nicht so weit! Ich war nur in der Vorabendmesse in der Stiftskirche, und blieb sitzen, bis dann auch die Orgel verklang.

Eine Anekdote will ich noch anführen zu den Abendandachten in Bradfield.
   Psalmen lassen sich nach vielen Melodien singen. Je besser man sie kennt, desto ordentlicher wird der Gesang. Unser »Hausmeister« nahm zur Abwechslung immer andere Melodien. Eines Abends war »Gott erhalte Franz, den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz!« dran, eine alte Melodie von Haydn, hier zu hören. Nach der Andacht kam er auf uns Deutsche zu und entschuldigte sich; erst beim Singen sei ihm aufgefallen, dass es die deutsche Hymne ist. Unser Nationalgefühl, damals erst recht noch eher gering, hatte er gewiss nicht berührt. Wir fanden’s im Gegenteil einfach zu singen.
I spare you Google’s automatic translation. It turns out to be a “good effort”, oscillating between fair and exhibition for mass, and gets all confused with my strange German style. So here’s my own effort to retell the story.

It’s about the Vorabendmesse, which is Sunday’s mass celebrated on the evening (Abend) before (Vor-).
   It has special character: Evening gives it a bit of darkness, helps you to a weekly insight more than to radiating Sunday joy and shake hands with parishioners.
   In our case a professor for liturgy from Bonn University celebrates, and he preaches wisely and good. His following is smaller than the official pastor’s, and – like everywhere – gets fewer and older year by year. The church, unable to unite in Christianity, unable to adapt to modern times except for a laxer attitude, towards a “soft god”, will soon be a thing of the past.
   So there I was in the Bonn abbey to St John Baptist and Peter (Stiftskirche), neo-Gothic from 1880, amongst the few.
   The invisible organ player became cantor, psalms and resposories filled the church’s nave. Old melodies, words even older, rich in blessings.
   My days at Bradfield college, especially (I think) the Wednesday evenings, cam into my memory. In the fog of remembrance I saw a bridge reaching into my past youth, some sixty years afar. In the boarding school in Bavaria and during a short exchange term to England we had been brought up humble and god-fearing. I had walked this bridge, looking ahead. Too rarely I had looked at the sky, up to heaven. I hadn’t looked down; you have to stop to look beneath. Was I still crossing, or did I have reached solid ground?
   At Bradfield we each had a sleeping room, a cell, not to be used at daytime. The window had to be kept open, visible from below. For the day we had a cozy “study” for three, overheated, with cushy chairs and a record player, Carmen Cavallaro singing. Our short black gowns (with supposedly standardized sides to dry cutlery vs. polishing shoes) could be laid aside.
   Once a week at night we got together with our master to sing hymns, psalms usually. We were a small group, in the old wood ornated main room of the “house”.
Franz Joseph I
1830-1916 Kaiser von Österreich
   Now you can sing psalms to a variety of melodies. Our master choose a different one each time. One evening he intoned an old Haydn melody, originally sung to praise the long time emperor Franz Joseph I of Austria. I’m Austrian, I know. – After this devotion the master took the theree of us German exchange students aside, apologizing to have used the German anthem. He had became aware of it too late, he said. We however had very little chauvinism, especially this shortly after the war. There was no standing up after movies, as in England, for a queen we don’t have. We liked the melody, so we could sing with ease, and thanked the master.
    Singing hymns at Bradfield hasn’t changed my life all of a sudden. It gave a base tone to my life, supported ancient grounds to thread, later often drowned by actualities, but finally rising again in more passive, listening moments like on this evening in a Bonn church. My faith had changed, from fearful to neglected to thoughtful, more intense, even a bit engaged. And after a lot of thoughts about death “I take it easy”, with a let’s-see attitude, without urgency to go to heaven – we (or rather I) lived too good a life too long for yearning prompt salvation. There’s no Wi-Fi in heaven.
   After the blessing I sat a bit longer this evening, let the organ end, knelt a last time, and stepped out into the busy city evening, ite, missa est – home for supper.
– For Gaye. The rest of the German blog text is taken from the bible and reflects the lectures of this Third Sunday in Lent.
   More English memoirs on Bradfield here.
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Wochenzettel  mit Samstag 18.3.17
18.00 Uhr Stiftskirche Vorabendmesse (Prof. Gerhards) Im Ged. an Cäcilie Kurscheid, im Ged. an Familie Josef Bergmann
3. Fastensonntag L1: Ex 17,3-7 L2: Röm 5,1-2.5-8 Ev: Joh 4,5-42

   1. Lesung Exodus 17,3 bis 7
Das Volk dürstete dort nach Wasser und murrte gegen Mose. Sie sagten: Warum hast du uns überhaupt aus Ägypten hierher geführt? Um uns, unsere Söhne und unser Vieh verdursten zu lassen? Mose schrie zum Herrn: Was soll ich mit diesem Volk anfangen? Es fehlt nur wenig und sie steinigen mich. Der Herr antwortete Mose: Geh am Volk vorbei und nimm einige von den Ältesten Israels mit; nimm auch den Stab in die Hand, mit dem du auf den Nil geschlagen hast, und geh! Dort drüben auf dem Felsen am Horeb werde ich vor dir stehen. Dann schlag an den Felsen! Es wird Wasser herauskommen und das Volk kann trinken. Das tat Mose vor den Augen der Ältesten Israels. Den Ort nannte er Massa und Meriba (Probe und Streit), weil die Israeliten Streit begonnen und den Herrn auf die Probe gestellt hatten, indem sie sagten: Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?

   2. Lesung Paulus’ Römerbrief 5,1 bis 2,5-8 
Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer.

   Schwestern und Brüder! [Als ob Paulus so Briefe begonnen hätte, lächerlich! … fj]
Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. Durch ihn haben wir auch den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns unserer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Mehr noch, wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Christus ist schon zu der Zeit, da wir noch schwach und gottlos waren, für uns gestorben. Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen. Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Gericht Gottes gerettet werden. Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch (Gottes) Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben. Mehr noch, wir rühmen uns Gottes durch Jesus Christus, unseren Herrn, durch den wir jetzt schon die Versöhnung empfangen haben.  
   EvangeliumDas Gespräch am Jakobsbrunnen

So kam er zu einem Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.
   Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: »Gib mir zu trinken!« Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen.
   Die samaritische Frau sagte zu ihm: »Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten?« Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
   Jesus antwortete ihr: »Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: ›Gib mir zu trinken!‹, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben«.
   Sie sagte zu ihm: »Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?«
   Jesus antwortete ihr: »Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.«
   Da sagte die Frau zu ihm: »Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen.«
   Er sagte zu ihr: »Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her!«
   Die Frau antwortete: »Ich habe keinen Mann.«
   Jesus sagte zu ihr: »Du hast richtig gesagt: ›Ich habe keinen Mann‹. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.«
   Die Frau sagte zu ihm: »Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss.«
   Jesus sprach zu ihr: »Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.«
   Die Frau sagte zu ihm: »Ich weiß, dass der Messias kommt, das ist: der Gesalbte (Christus). Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden.«
   Da sagte Jesus zu ihr: »Ich bin es, ich, der mit dir spricht«.

   Die Aufnahme Jesu bei den Samaritern
 Inzwischen waren seine Jünger zurückgekommen. Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach, aber keiner sagte: »Was willst du?«, oder: »Was redest du mit ihr?«
   Da ließ die Frau ihren Wasserkrug stehen, eilte in den Ort und sagte zu den Leuten: »Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias?« Da liefen sie hinaus aus dem Ort und gingen zu Jesus.
   Währenddessen drängten ihn seine Jünger: »Rabbi, iss!«
   Er aber sagte zu ihnen: »Ich lebe von einer Speise, die ihr nicht kennt.«
   Da sagten die Jünger zueinander: »Hat ihm jemand etwas zu essen gebracht?«
   Jesus sprach zu ihnen: »Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen. Sagt ihr nicht: ›Noch vier Monate dauert es bis zur Ernte?‹ Ich aber sage euch: ›Blickt umher und seht, dass die Felder weiß sind, reif zur Ernte. Schon empfängt der Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, so dass sich der Sämann und der Schnitter gemeinsam freuen.‹ Denn hier hat das Sprichwort recht: Einer sät und ein anderer erntet.
   Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit.«
   Viele Samariter aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: »Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.«
   Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage. Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. Und zu der Frau sagten sie: »Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.«

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Bradfield College http://www.bradfieldcollege.org.uk/



Werbevideo, knapp 3½ Minuten. Mehr …
   Wir trugen als Schüler noch knappe, schwarze Talare (gowns), sehr nützlich, links zum Bestecksäubern, rechts für die Schuhe – oder umgekehrt? Und die »Eingeborenen« (nicht wir Ausländer), bekamen vormilitärische Ausbildung (assault course).

Mehr Erinnerungen auf http://blogabissl.blogspot.de/2012/11/bradfield-college-remincences.html

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