Umschlag des Buches. Aquarell von Eugen Kucher »An der Westfront« (1916) |
Kurt Oesterle (geb. 1955)
Die Stunde, in der Europa erwachte
ISBN 978-3-7496-1004-4, 32 Euro
In drei Nächten oder so hab’ ich den Roman gelesen. Spannend also ist er, und leicht liest er sich, das ja.
Nur ist er mir Altem (geb. 1941) zu »politisch korrekt« mit seinem »Europa«. Das verkauft sich gut heutzutage. Und doch hat der Roman mit Europa, das gemeinhin inzwischen für die EU steht, nichts zu tun, auch nicht mit Europa als »a Ganzes«. Wenn uns heute New York (seit etwa 1610) näher liegt als die Mark Brandenburg (geg. 1157), dann zeigt das, wie leer uns Begriffe wie »Deutschland«, »Europa«, ja »Amerika« und »Asien« sind, in dieser »globalen Welt«. Außerdem wacht sowas nicht in einer Stunde auf, sondern ist jedem sein eigener Begriff, für einen mehr, für andere nichts als heißgeredete Luft. Doch darum soll’s mir hier nicht gehen; und das ginge auch zu weit hier.
Die Story ist gut erdichtet, wie für ein Bühnenstück, Bert Brecht, an einem Schauplatz und mit wenig Kulissen spielbar. Das macht’s gut zu lesen.
Was mich irritierte, ist der Versuch alten Stil und vor allem alte Rechtschreibung einzusetzen. Der alte Stil – ich kenne ihn von den Büchern meines sel. Großvaters, etwa hier –, den fand ich ja noch ganz witzig und »chronistisch« im Sinne von zeitgerecht. »Rasch hatte sich bei einem Glas Sherry, wie es schien, die alte Vertrautheit eingestellt, und Elsie begann ihren Bericht, ohne mit Häme oder Schadenfreude zu rechnen. Ernst und neugierig lauschten die beiden anderen, keine von ihnen unterbrach sie« (Seite 55 auf 56). In einem erdachten Zitat aus der Zeit mag das hingehen: »Doch mittendrin lebt ein großes, seelenstarkes Kind« (Seite 225). Liest sich das nicht glatt wie von der Goltz1.
Gestört hat mich die alte Rechtschreibung, an der selbst ich inzwischen stocke – an Stellen, die des Stockens nicht wert sind2. Das kann der Zweck eines Schriftsatzes nicht sein. Klöpfer, Narr, der Verlag hätte von mir aus in Fraktur setzen können, das wäre noch zeitgerechter gewesen; die Auflagenhöhe (wird nicht genannt) allerdings wohl geringer. Dabei ist’s gar nicht durchgehend nach alter Schreibung gesetzt, weil die bald keiner mehr kann, vor allem nicht die modernen Silbentrennprogramme3. Was soll das? Ich vermute eine Marotte des Verlags5.
Interessant finde ich das ganz aktuelle Thema Trauma, das sehr einfühlsam und korrekt – und ohne es beim neuen Namen zu nennen – eingeführt wird. Recherchiert hat Oesterle gut und genau, danke.
Schön, ein Juwel fast, ist die Geschichte von Gorm, dem Hund. Auch sie moderner, schon fast modischer Bewusstseinsauffassung folgend.
Ein spannender, den Krieg gehörig grausig beschreibender, kurzer Roman.
Wer Grausiges aus dem zweiten Weltkrieg lesen will, nicht Erdichtetes, ganz persönliches, der lese http://blogabissl.blogspot.com/2017/11/dann-kam-mit-all-seiner.html .
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Link zum Verlag http://www.kloepfer-narr.de/die-stunde-in-der-europa-erwachte/
PS. Für den vermurksten Schriftsatz in diesem Blogeintrag bitte ich um Entschuldigung.
Links
• »Das unsichtbare Denkmal. Zehn Jahre später an der Westfront« fand ich für ab 15 Euro bei Amazon. »Zehn Jahre später an der Westfront. Dieses Buch enthält 200 in Kupfertiefdruck wiedergegebene Original-Fotographien von dem heutigen Zustand der Kampfstätten an der ehemaligen Westfront. 198 S. Folio. Frundsberg Verlag. Berlin. 1928.«
• Der “Song of the Mud” hier: https://www.poetryfoundation.org/poems/57329/at-the-somme-the-song-of-the-mud
• Otto Wiener https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Wiener_(Physiker)
Link hierher j.mp/fj2Psk8L9
= https://blogabissl.blogspot.com/2019/12/oesterles-europaerwachen.html
Fußnoten
1) Freifrau Bertha von der Goltz schrieb zum Beispiel »Im Banne des Einen« (eine Art klassischer Lore-Roman), Erstausgabe 1918 bei Bettenhausen.
2) Rechtschreibung siehe zum Beispiel https://blogabissl.blogspot.com/2014/11/rechtschreibreform-letzte-auffuhrung.html
3) Seite 62 Mitte zu-ckenden neu getrennt, statt alt zuk-kenden.
4) Das Verb schüttern (seite 227) gibt’s.
5) Überhaupt der Schriftsatz. Selbst hier finde ich Trenn- statt Gedankenstriche, Seiten 252, 255.
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