12. Juni 2018

Cebit ade!

Alte Parkausweise für die Cebit, auf der Rückseite die Hallen
Designgeschichte, iF-Geschichte,
Cebit-Geschichte

   Erster »Cubo« Brionvega TS 502
von Richard Sapper, 1966
Seit 1969 war ich jedes Jahr auf der Cebit, ohne Unterbrechung, wenn ich mich nicht ganz täusche – ’s ist schon so lang her.
   In alten Zeiten war das noch einfach die allgemeine »Hannover-Messe«.
   Als frischgebackener Diplomingenieur der Nachrichtentechnik – »Informatik« gab’s noch nicht – wurde ich im März 1969 Hewlett-Packards dritter »Systemanalyst« in Europa. Ich hatte mit meinem Freund an der TU Berlin eine  Diplomarbeit aus siebentausend Lochkarten programmiert, an deren größtem Rechner, einer englischen ICL 1900. Unser Exapt-Compiler war besonders kompatibel in Fortran II – ein Gesellenstück.
   In Konkurrenz zu Digital Equipment (Dec) hatte damals Hewlett-Packard (HP) neu Minicomputer herausgebracht, zum Ansteuern von Messgeräten, HPs Hauptgeschäft. Wir »Systemingenieure« sollten die Computer vor und nach dem Verkauf unterstützen. Wir waren die »Handkurbeln«.
   Viel konnten die Dinger damals noch nicht, weniger als ein PC vor Windows oder ein Commodore mit Basic. Egal. Nach einer Woche Schulung in Böblingen stand ich in einer der südlichen Hallen in Hannover, umgeben von technischen und medizinischen Messgeräten. Besonders an der HP 2116, einem kühlschrankgroßen »Mini«-Computer – die Gattung ist heute ausgestorben –, war unter dem Kernspeicher viel freier Raum für große Steckkarten zum Anschluss von Geräten, und das schnelle Interruptsystem und optional DMA. Die Lochstreifen mit den Programmen (oder Daten) allerdings lasen wir noch mit dem Teletype, dem amerikanischen Fernschreiber, zehn Zeichen in der Sekunde, 110 Volt, bei uns nur mit extra Trafo.
   Die Messe war die Hannover-Messe, Computer waren Teil der Industrie, Handys und Smartphones noch nicht erfunden. Datenübertragung gab’s schon, hauptsächlich Telex, aber noch kein Internet. Trotzdem war die Messe wunderbar: Fachleute unter sich, Austausch mit der Konkurrenz, Graf-Koks-Feeling. Was die innovativen Kunden mit den »Rechnern« taten, wussten wir weniger. An »kommerzielle« Anwendungen, gar an Persönliches, Individuelles hat noch keiner gedacht. Es war die große Zeit der Stapelverarbeitung.
   Ob am Ende der Entwicklung Analogrechner oder Digitalrechner das Rennen machen würden, darum stritten sich noch die Fachleute. Die Analogrechner mit Schaltkreisen zum Einstecken waren so schön »naturnah« – wenn sie richtig gesteckt waren. Im Digitalen stritt man sich um die Bytegröße: International Business Machines (IBM) – immer schon dick und groß – setzte sich mit acht Bit je Byte durch, Control Data (CDC) kam sparsam mit sechs aus. Zuse hatte eine Dezimaldarstellung, war mir aber lange auf der Messe nicht aufgefallen. Nixdorf – dessen Programme waren große Steckbretter – gab’s schon, »Ruf« war anfangs buchhalterisch besser.
   In der Buchhaltung wurden Sekretärinnen wochenlang geschult, damit sie in die Computer das Datum usw. im richtige Format eingaben. Kein Chef hätte je eine Tastatur angefasst, das war unter seiner Würde. Frauen trugen keine Hosen, Männer tippten nicht. (Die Fernschreibertastaturen mit ihren tiefen runden Knöpfen waren eher U-Boot-Versatzstücke als Büro-Equipment.)

Sie finden ein paar weitere Erinnerungen an die Technik von damals unten in der Liste.

Dann war ich ein paar Jahre mit Greencard in Cupertino, wo viel später all die Aprikosenbäume durch Apple abgelöst wurden, und bald dicke Straßenkreuzer (“full sedan”) von hippen VWs und Porsches.
   Und jedes Jahr kam ich nach Hannover! Schade, dass ich fast alles vergessen habe. Die vielen Quartiere mit und ohne Kanarienvogel, nah (»am Mittelfelde«, zu Fuß) und fern (Bad Oeynhausen, mit noch katalysatorlosen Fünfer-BMWs!). Ich traf unvergessenen Menschen, Lebensfreundschaften entstanden, auf Jahrestermin. Unsere Standhilfe, die es seitdem von einer singenden Telegrammbotin zur Ethikprofessorin gebracht hat; meine zweite Frau, typisch. Eine Wirtin, geboren 1931 in Sebastiansfeld am Schwarzen Meer, für die der Zweite Weltkrieg schicksalhaft erst 1988 zu Ende gegangen war – was niemanden interessiert.
   Irgendwann (ab 1970) gab es dann im Norden die Cebit-Halle, die früher nur Büromöbel gezeigt hatte. »Bit« stand für Büroinformationstechnik, wie sich die EDV (Elektronische Datenverarbeitung, heute »Ei-Ti«) nannte, als es hier noch Technik gab und nicht bloß Technologie. Langsam wurde es maßlos. Die Stände blieben das ganze Jahr über stationär, wie bei einer Fertighausausstellung. Ablöse kostete ein Vermögen und war ein konspiratives Abenteuer – ich habe das für einen Stand gemacht.
   Die Handwerker, vom Elektriker unter der Halle bis zum Gärtner in Laatzen, man kannte bald alle, jedes Jahr ein Hallo! Unser Grünzeug- und Blumenlieferant kam extra für die Messezeit aus Amerika eingeflogen, wo er ein Unternehmen für Blumengießen leitete, samt »Wuchsgarantie«! Am Dach standen Séparées, hochstilisierte Gartenhäuschen, in denen man tags VIP-Kunden bewirtete und nachts nicht übernachten durfte, aber tat.
   Als Marketingleiter bei verschiedenen Unternehmen war ich dann zuständig für teils riesige Stände, bis sich alles in noch riesigere, nagelneue Hallen (26) zur Mobiltelefonie verschob, samt mir. Mammutistisch die Weltausstellung 2000, nachdem zu Jahrtausendbeginn die Computer doch nicht alle gestorben waren wie die Saurier vor 66 Millionen Jahren.
Brionvega TS 505
1970-er Jahre (»Diagonaldesign«)
   Anfangs brauchte die »Gute Industrieform« (iF) einen Fachmann für Computer, damit nicht Unsinniges prämiiert wurde. Der war dann ich. Eine schöne, eine ehrenvolle Aufgabe. Ich habe viel gelernt dabei, waren die Jury-Mitglieder doch namhafte Industriedesigner. Entlohnt wurden wir einmal mit einem Tausendmarkschein im diskreten Briefumschlag – vergessen, verjährt, politisch nicht mehr korrekt. Design wechselte eine zeitlang von »Form follows Function« zu Diagonalgittern und Colani-Blasen. Dann hörte Design auf, weil einfach keine Zeit mehr dafür war, und die Sachen auch so gut gemacht sind. Die iF hat Hannover verlassen und ist zum »Forum« geworden, in Hamburg wohl. sic transit …
Moderner Brionvega TS 525
W-Lan, Wecker, UKW, RDS,
DAB, DAB+, Ethernet, AUX-In,
LCD-Anzeige,
Dockingstation für Apple iPhone, iPod
   In den letzten Jahren ist dann die Cebit trotz großen dummen Slogans (»d!conomy«, »Big Data«, »Datability«, »Sharecomony«, »Managing Trust«, »Cloud Computing«, »Connected Worlds«) geschrumpft und geschrumpft. Der ebenfalls jährlich ein paar Wochen vor der Cebit stattfindende »Mobile Weltkongress« in Cannes und jetzt in Barcelona hat ihr den Rang abgelaufen.
   Heuer, 2018, fand die Cebit Mitte Juni als »Festival« statt. Sie ist mir sozusagen weggelaufen in die Cloud oder sonst in ein Nirwana.
   Und tschüss – ich bin dann mal weg. Wohl für immer.

PS. Jetzt ist die ganze Cebit weg, 2019!

Fritz Jörn

Messe
• Hannover-Messe 1969 Samstag 26. April – Sonntag 4. Mai, 9 Tage
 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/lipi.19690710831

Computergeschichten
• Wie wir in Fortran II überhaupt Buchstaben erkennen konnten. (Muss ich noch schreiben.)
• Old Computer Stories
 http://blogabissl.blogspot.com/2017/10/old-computer-stories-hp-2116-et-al.html

Design
• http://blogabissl.blogspot.com/2015/03/brionvega-radio-cubo.html

Menschliche Geschichten
• »Am Anfang war die Scheebit«, 1987, die Zeit
 https://www.zeit.de/2001/13/200113_ce_geschichte_de.xml
• Besuch bei einer frommen Frau
 http://blogabissl.blogspot.com/2013/03/besuch-bei-einer-frommen-frau-laatzen-7.html

Permalink hierher  http://j.mp/2sRnBZ7 =
 https://blogabissl.blogspot.com/2018/06/cebit-ade.html


Arnold Schwarzenegger, Cebit-Eröffnung 2.3.2009, Schuss seiner Rede: »Ich möchte mich nochmals recht herzlich bei Bundeskanzlerin ›Mörkel‹ für die nette Gastfreundschaft bedanken. Ich komme immer wieder gerne hier zurück. I’ll be back. Hasta la vista, baby.« – Eigene Aufnahme Fritz Jörn
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Offizielle Cebit-Besucherzahlen, aus der Wikipedia. Die meisten 2001: 830.000



(Fragment) Ein persönlicher Nachruf
   Seit 1969 war ich alle Jahre auf der Cebit, in welcher Form sie auch immer firmierte.
   Erstmals stand ich auf der »Hannover-Messe« – zu der damals einfach alles gehörte, Mechanisches, Elektrisches, Analoges und Digitales, vor allem Menschen – in meinem ersten Berufsjahr 1969 für Hewlett-Packard ganz im Süden, was man heute vielleicht Halle 11 nennen würde. »Ha-Peh« zeigte damals Messgeräte. Tischrechner und Computer gehörten wenn, dann nur als deren Anhänger dazu. Ich war einer der ersten drei »Systemanalytiker« für HP-Computer in Europa. Die anderen zwei waren in England.
   Hier ein Plan aus dem Jahr 2001.

Bald zogen wir in Halle 1, in die Cebit-Halle im Norden. Da war noch viel »Büro-Informationstechnik« drin (daher der Name), also Büromöbel, aber auch Konrad Zuse mit seinem kleinen Stand, immer gut für einen kleinen Plausch. »Zentrum« schrieb man deutsch-international bereits mit C, und fühlte sich überheblich als Nabel der Welt. (Nabel, das ist heute ein Hub, Leute.) »Technik« gab’s noch, »Technologie« noch nicht.
   Als die Veranstaltung der Hannover-Messe zu groß wurde, und die Com

Weltausstellung
iF
Dach Halle 1
Kauf Stand
Freundschaften

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