Laatzen, 7. März 2013 (Wenn das folgende Video nicht läuft dasselbe hier.)
Seit dem besuche ich Frau D. jedes Jahr, wenn sie nicht krank ist wie 2012. Frau D. ist eine heitere, fromme Frau, inzwischen 82 Jahre alt, und erzählt mir von ihren Enkeln und Urenkeln, von denen sie Bilder in der Vitrine hat.
Enkelin Lisa, die ich als kleines Kind kannte mit Schlitten im Schnee, ist groß und schön geworden, die Einladung zur Konfirmation im Mai zeigt sie makellos strahlend.
Ein Enkel hat geheiratet, eine Deutsche aus Taschikistan, zwei Jahre alt war sie gewesen, als sie wegzogen.
D. stammt aus Sebastiansfeld, einem deutschen Dorf bei Odessa, das es längst nicht mehr gibt*). Nach ihrer Zeit im Ural, nach zehn Jahren in Glasow#) und Rabowo+) im Udmurtischen, war sie 1962 mit ihrem (dort geheirateten) deutschen Mann und den Kindern nach Karaganda gezogen in Kasachstan. Bis sie nach Deutschland ausreisen durfte, war es 1988 geworden. Ihr Mann war da schon gestorben, an einer falschen Behandlung seiner Tuberkulose. Ihr Schicksal habe ich aufgeschrieben; wissen will es keiner. Ich will auch hier ohne ihr Wissen nicht zuviel schreiben und zeigen.
Wir sprachen von den Ehen. Im Herzen hat sie immer noch die alten Sitten, wonach man möglichst unter sich bleibt, mit Menschen aus demselben Lebenskreis. Die Zeit aber hat sich geändert. Aus der Konfession kann man nicht mehr ableiten, wie einer ist, sagt sie. Und bei Türken weiß man schon gar nicht, wie sie sind. Das muss man einzeln herausfinden, sage ich, die Leute sind verschlossen und oft überhaupt nicht mehr gläubig. Wie treu sie sind, das weiß man nicht, jedenfalls nicht im Voraus.
Einmal kam ein Fotograf. Sie wollten sich nicht fotografieren lassen, und wenn, so nicht mit den Bäumen und bloß im Arbeitsgewand. »Kindchen«, auf Russisch, habe der Fotograf gesagt, wenn ihr einmal hier heraus kommt, werdet ihr euch freuen an dem Foto. Ihr werdet ja nicht ewig hier gefangen bleiben. Sie konnten das gar nicht glauben, kannten nichts anderes, dachten, das ginge jetzt ein Leben lang so weiter.
Gefällt wurde mit der langen Blattsäge. Wenn sie im Sägespalt verklemmte, schlug man Eisenkeile ein. Ich kenne das auch von Südtirol in den 50er Jahren. Und gefährlich war die Arbeit, sagte sie, wenn ein Baum falsch fiel auf andere drauf, und man ihn dann heraussägen musste.
Ich hoffe, Gott lässt uns uns wieder sehen 2014.
PS. 2015 »Russen verzeihen schneller«!
*) Landkarte siehe http://www.rollintl.com/roll/_images/beresanmap.gif und hier bei mir.
Sebastiansfeld, in der Karte am östlichen Ufer des Salik-Fluss, gegr.1870, (rot wie) katholisch.
Malochova (grün) ukrainisch.
#) Glasow, Verbannungsort an der transsibirischen Einsenbahn, west. Ural, am Tschepa-Fluss, Glazov, http://de.wikipedia.org/wiki/Glasow_(Udmurtien), 58°8'6,9" 52°39'45,16" (Glasow 1910er Andrees Handatlas Seite 131 L3)
+) Rabowa, Rjabowa, Ryabovo (Рябово), Udmurtien, 56°54'25,86" 52°4'40,38",
ca. 10 km an gem. Eisenbahnlinie und Fluss (Dena) südl. Ufa, Uva (Ufa: 1910-Andrees 131 M4)
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PS. NZZ: »Vor 200 Jahren gründeten Zürcher Auswanderer auf der Krim die Kolonie Zürichtal
Von der Armut in die russische Steppe getrieben
Nicht nur in Amerika haben Schweizer Auswanderer im 19. und 20. Jahrhundert Siedlungen gegründet und eine neue Heimat gefunden. Einige zogen ostwärts ins russische Zarenreich. Zwei Dörfer in der Ukraine sind bis heute stille Zeugen davon. Eine der Schweizer Siedlungen ist das vor 200 Jahren gegründete Zürichtal auf der Krim. – 10.9.2005, 02:04 Uhr
NZZ internatioal 12.12.2024 Halyna Petrosanyak: »Udmurten zum Beispiel. Und Mari, Ersja und Komi«, https://www.nzz.ch/meinung/russlands-randvoelker-kommen-in-der-ukraine-nicht-zufaellig-unter-die-raeder-ld.1857640
Lektüre zum Thema: »Geschichte der Russlanddeutschen. Die unsichtbaren Deutschen«, NZZ
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