Höhenmoos · April 2012 · Foto Jörn |
Bayerischer Sonntag
Still die Kirche steht mit weißen Mauern,
Und vom Turm das Dach ist schwarz,
Schindelschuppig schwarz.
Vor der Kirche lärmen laut die Bauern,
Lachen, lümmeln, lauern,
Und das braune Holztor, knarrts?
Und hoch oben läuten jetzt die Glocken,
Grob die große und die kleine zart,
Maussilbrig zart.
Die schurzglänzend auf Geländerstangen hocken,
Stangen gelb und trocken,
Bäuerinnen rumpeln auf, dass das Holz hart knarrt.
Wie ein Schwarm von Vögeln, großen,
Vielen Vögeln, schwarz,
Rabenflügelschwarz,
Wackeln nun die Frauen, rauschen, stoßen,
Schieben sich die Männer mit den Adlerköpfen, jetzt hutlosen, bloßen,
Durch das Tor, das hinter ihnen zufällt.
Still die Kirche steht mit weißen Mauern,
Nur vom Turm das Dach ist schwarz,
Schindelschuppig schwarz.
Und vom Himmel – wer sah einen blauern? –
Hängt herab das Licht, haardicht,
Und schnarrts
Metallisch saitenklimprig nicht,
Als harfte sanft drauf Wind? Der bricht,
Der Waldtalwind, ins Dorf herein und riecht
Nach grünem Moos und Harz.
Ja, das ist einmal ein Sonntag! Das ist ein Gedicht! So bayrisch, dass man ihm im Dialekt antworten möchte, und sich wundert, dass Britting den Sonntag »bayerisch« genannt hat und nicht bloß »bayrisch«. 1935 hat er’s veröffentlicht, und da mag es in Bayern am Land noch altmodisch und ›zivil‹ zugegangen sein.
Es erschien im Sammelalbum »Der irdische Tag«. Irden ist’s, erdig nicht. Feine Unterschiede, ganz bewusste Worte, nicht bloß Wörter, das war Britting!
Also, wie war das da, am Sonntag?
Am Sonntag vor der Kirch’n – womit das Hochamt gemeint ist, die Sonntagsmesse, und nicht nur das Gebäude –, da hingen die Burschen noch draußen herum. Heute würde man sagen: Sie lungerten. Schon damals war’s heraußen sonniger als drin, und die Mädchen, die mussten ja noch kommen, und spießrutenlaufen, mehr oder weniger stolz in ihrem Sonntagsg’wand vorbeidefilieren.
Das Holztor, das ist wohl (und da hat mein erster Kommentator recht) die schwere Kirchentüre, und ob die knarrt, weiß nicht einmal der Dichter. Am Ende fällt sie einfach zu. (Ein Tor ist die Kirchentüre übrigens nicht, das Tor wird nur zu Prozessionen ganz aufgeschwenkt). Aber am Ende der ersten Strophe, wie soll es da knarren, wenn überhaupt noch niemand hineingeht? Ich hatte mir zunächst das Gatter zur Friedhof vorgestellt, das ja oft quietscht. Egal. Dem Gedicht gibt das Tor einen weiteren großen Bogen.
Jedenfalls alliterieren bei Britting Bauern draußen herum. Die Mädels haben sich hingesetzt, auf »Geländerstangen«. Britting meint, es wären Bäuerinnen. Die schwarzen Schürzen lassen’s vermuten. Frauen hatten damals mehr dunkle Kleider als heute, mein’ ich, und da glänzten die seidigen Schürzen in der Sonne.
Jetzt rufen die Glocken.
Dass sie nun alle so rumpelig ’reingehen, wacklig und watscheln fast, das ist bissl holzschnittartig dauzugedichtet, das macht’s ländlich für den Stadtmensch Britting und modisch expessionistisch zugleich. Den Hut, den man als Mann noch bis in die Neunzehnhundertfünfzigerjahre trug – heue zur Tracht – nahm man respektvoll ab in der Kirche, zog die Händ’ aus den Hosentaschen. (Die Adlerköpfe lassemer gut sein … . Um aus einem bayrischen Querschädel einen Adlerkopf zu morphen, bräucht’s mehr als einen PC.)
Am Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, Juni 2011.
Foto “Soulstealer”, Wikipedia |
Überhaupt dieser ganze Expressionismus. Nervig! Mich erinnert’s an die Gothic-Szene, wo schöne junge Frauen wie Teufeletten mit Totenköpfen am sargförmigen Lederrucksack herumhängen. Eine Kulturschande, weit entfernt von einem Sonnensonntag 1935 in Oberbayern. Weiter auf https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze_Szene.
Wikipedia-Eintrag Expressionismus, Kandinsky: »Murnau mit Kirche« |
Bilder, meine Herrschaften, die muss man sich vorstellen können, die müssen was sagen, und nicht nur einfach wo nachgeplappert sein. Sowas kann man von Britting gut lernen. Bemerkenswert, dass Brittings Gedichte dazu noch duften und klingen – unsere Sinne ganz betören!
Auf jeden Fall strömen die Burschen hinter den Frauen hinein – Männer rechts, wer kennt das noch? Alle haben sie am Samstag gebeichtet, nach der Woche Arbeit und Leben, haben jetzt frei, und wer weiß, wen man dann nach der Messe noch beim Gräberbesuch trifft oder hernach im Wirtshaus bei der Fittatensuppe?
Genug geschwärmt. “Der irdische Tag evokes in striking images the landscape of South Germany (‘Bayerischer Sonntag’ is a good example)”, say Raymond Furness und Malcolm Humble in 1997, and reprinted in 2003 (page 95). Unsterblich!
In der Höhenmooser Kirche · Foto Jörn |
bei Britting auf http://www.britting.de/gedichte/2-064.html
Britting-Themen hier
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