12. Mai 2017

Brittings Windlicht

»Das Windlicht« von Georg Britting (1891 – 1964) war einmal eines seiner bekanntesten Gedichte; manche werden sagen: »Es ist sein bekanntestes!«. Hier ist es in Ruhe nachzulesen. Britting hat es sogar selbst vorgetragen. Die Tonaufnahme, hier, ist ebenfalls überliefert (dank der Website Britting.De). Vielleicht hören Sie sich Britting erst einmal an, und lesen zugleich mit:


Das Windlicht

Im Garten
Zur schwarzen Mitternacht,
Unter den Sternen,
Wenn es raschelt im Strauch:
Zünde das Windlicht an!
 
Die Fledermaus taumelt vorbei
Und der bläuliche Falter,
Und der Igel,
Starrend von Stacheln,
Geht über den Weg
Und die goldäugige Kröte.
 
Es ist die Nacht nur,
Der schwarze Bruder des Tags,
Und bis der dir wieder erscheint:
Es brennt ja das Windlicht!

Leere den Weinkrug!
Schau der Flamme goldnes Gesicht!
Weißt du es nicht?
Kein Bild ist Betrug!

Hör, was das Windlicht spricht:
Unter der Sterne Gang,
Falterflug, Adlerflug,
Kurz oder lang;
Genug!
 
Britting liest es langsam, getragen, schon damit die Vorstellung Zeit hat mitzukommen, sich ein Bild zu machen, viele Bilder. 
   Das Komma am Ende der Zeile »Es ist die Nacht nur,« er spricht es gleich hinter der Nacht, so: » … Nacht, nur der schwarze Bruder des Tags … «, das aber tut nichts zum Sinn. Das Windlicht soll die schwarze Nacht zum kleinen Tag machen, eine Flamme zum Hineinschauen. Golden bewegt ist sie. 
   Dazu ein Krügerl Wein – wie Britting ihn schätzte – und schon spricht sie, die Flamme, und lässt für uns Schmetteringe und sogar einen Adler mehr oder weniger lang unter dem nächtlichen Himmelszelt herumfliegen. Bis wir dann den Kopf schütteln und »genug« sagen zur Träumerei, oder bis uns Bruder Tag heraufdämmert.
   Gesponnen ist das nicht, versichert uns Britting: »Kein Bild ist Betrug!« Und gerade diese Pointe wird gern zitiert: »Kein Bild ist Betrug!«
   Soweit soviel.
   Sehen wir uns eine zeitgenössische Kritik an, die »Interpretation von Hermann Stahl«, ebenfalls über die Webseite mit dem Gedicht zu finden, hier

Garten, Mitternachtsdunkel zwischen Windlicht und Sternen, ein Rascheln im Strauch; vier schildernde Zeilen, von einem Imperativ gefolgt, und aus scheinbar lässig Addiertem taucht tiefere Welt auf. Kein artifizielles Bemühen, scheinbare Beiläufigkeit, und Verwandlung ist erreicht, Zauber wird evident, aus beschwiegener Angst Entzückung, Integration: Aufhebung des vergänglichen Augenblicks in unauslotbare, andere Zeit. Das Numinose, und in seinem Raum statt Resignation und Abkehr ein Ja: Kein Bild ist Betrug.
   Ich denke, das ist ein jenseits aller Ismen das Heute überdauerndes Gedicht. Und das hat seinen guten Grund darin, dass dieser Dichter, der schon in seinen Anfängen zur Zeit des Expressionismus weniger »Expressionist« als ein Eigener gewesen, nie noch dem Tag, einer Mode weder stofflich noch formal und nie den sogenannten »Anforderungen seiner Zeit« gehorsam war. Brittings Schaffen lebte stets aus außerzeitlichen Quellen, man sehe sich Das Windlicht daraufhin an: Der »Garten« im Auftakt nur eben zitiert, ist »da«, Garten zwischen Albrecht Altdorfers hochgesteigerter Irdischkeit und Alfred Kubins dämonendurchflügeltem Dunkel. Wie Britting, ein Donaumeister wie jene, in seine Landschaften – Mythos per se – Menschen stellt mit ihren Spannungen, alternieren Bild und Individualfigur unausgesetzt mit Archetypischem. Die Bereiche des »Aktuellen« sind solcher Dichtung zu eng, ihre Ungebrochenheit macht sie unverwechselbar, im zerklüfteten Gelände heutiger Literatur liegt sie als ein erratischer Block. Das konstatiert man – und ist dennoch bestürzt, wenn es schon hinsichtlich der Datierbarkeit einzelner Teile des (in einer dem Abschluss sich nähern den Gesamtausgabe vorliegenden) Werks sichtbar wird: So wie Gedichte, gibt es Erzählungen von Georg Britting, und ihre Intensität und ihr – nicht spekulativ »auf den Tisch gelegtes« – Raffinement lassen nicht erkennen, ob das heute oder vor dreißig Jahren geschrieben wurde. Ein Werk also, das Zeit hat. Und wir, die Leser? »Ach, wissen Sie, man hat so viel zu tun – und wenn Sie schon sagen, dass dieses Werk Zeit habe und dieser Britting früh Ruhm gewann, dann können wir die Sache doch ruhig einstweilen sich selbst überlassen!« Wer möchte von solchem Gedicht »gewogen und zu leicht befunden« sein?


Ich lese diese Gedanken mit viel Respekt, liebevoll fast. Ich verbeuge mich vor dem Wissen Stahls um Expressionismus in der Dichtung, um Altdorfers und Kubins Bilder. Ich stimme Stahl voll zu: Britting war einzigartig, immer nur er selbst. Schon damals – egal, wann’s war – bot sich Ironie an, kam einer auf Brittings relative Unbekanntheit zu sprechen. »Numinoses« soll übrigens »als etwas Göttliches zugleich Schauer hervorrufen und anziehend wirken«; ich kannte das nicht.
   Zu meinem Bedauern muss ich aber zugeben, mich selbst angesichts dieses Gedichtes (und auch der Interpretation) für »gewogen und zu leicht befunden« abzuurteilen. 
   Mir sagt das Gedicht nichts. Es klingt schön, selbst der Satz mit der bildlichen Wahrheit. Die ist ein Schmarren. Da muss schon eine ordentliche Portion Weinseligkeit dazukommen und eine lange Sternennacht, damit alle Bilder wahr werden. 
   Wenn ich mich weiter umsehe, so finde ich 1963 in einer Dissertation von Dietrich Schug, hier, eine Deutung: »›Kein Bild ist Betrug‹ heißt es in ›Das Windlicht‹, einem anderen sehr gelungenen Gedicht derselben Sammlung. Das ist ein Bekenntnis Brittings, mit dem er uns das unglückselige moderne Misstrauen gegenüber den Realitäten nehmen will. Wir sollen unseren Sinnesorganen und unserem Gefühl vertrauen … « – Schön und gut: Es soll sich niemand seine Bilder nehmen lassen, aber ist deshalb jedes dieser Bilder wahr? »Kein Bild«, das ist von Britting schon sehr mutig postuliert!
   Mir bleibt das Gedicht bleiern im Magen, süß klingend und schön, von mir aus sehnsuchtsvoll nach etwas Licht im Dunkel, aber eben im Dunkeln. Taschenlampen gab’s seit 1899, ein flackerndes Windlicht geht zurück in eine Zeit von Glauben, nicht von Wissen. Rot brennt es am Grab. Die Beschwörung nächtlicher Bilder, oft einer Wirklichkeit, die gerade so nicht ist, bleibt persönliche Phantasie, Selbst-Betrug, letztlich Betrug.
   Da hilft mir nicht, dass das Gedicht »zeitlos« ist.
   Britting wurde mit der Zeit immer raffinierter mit seinen Versmaßen, was gewiss die Melodie des Gesprochenen noch weiter veredelte, doch der Sinn? Vielleicht konnte man gegen Ende des Krieges gar nichts Gescheites mehr sagen, musste fiehen in Träumereien, wie wir heute in Sarkasmus und Ironie. Und in ein flackerndes Windlicht starren, um nachts im Himmel Schmetterlinge und Adler herumfliegen zu sehen und nicht die Bomber. Für mich ist’s Eskapismus in seiner schönsten Form.
Zeichnung von Max Unold, 1950, von hier
    
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