23. März 2012
Brief Kafkas an Felice Bauer, 20. 9. 1912 (Bild Deutsches Literaturarchiv Marbach nach NZZ)
Persönliches aus der Maschine
oder:
»Es ist der einzige Nachteil des Schreibmaschinenschreibens,
dass man sich so verläuft«.
Liebesbriefe schreibe man von Hand, jedenfalls galt das früher, als man dergleichen noch schrieb. Ich hab’ davon eine Kiste voll, seit Jahrzehnten ungeöffnet. Von Internat zu Internat ging das in den Fünfzigerjahren nicht anders. Ich wünschte, ich hätte damals eine Schreibmaschine gehabt und das Zehnfingerschreiben gelernt … Heute schreibt man händisch höchstens Ansichtskarten.
···Der Brief hier oben, kein Liebesbrief freilich und sich doch dem »Fräulein« listig anbietend als »Reisebegleiter« und mehr – »was sich noch aus mir entwickeln könnte« – fand ich heute im Feuilleton der NZZ. Den Bericht über die Marbacher Ausstellung »1912. Ein Jahr im Archiv« findet man hier auch online. (Miserabel abgeschriebene Auszüge googelte ich als Arbeitsblatt auf einem »Lehrerinnen Fortbildungs Server« unter »4. Felice und ›Der Proceß‹«. »Ein umfangreiches Arbeitsblatt [doc] [88 KB], dass möglichst arbeitsteilig zu bearbeiten ist, enthält wichtige Passagen aus Briefen Kafkas an Felice …«, schreibt da die Baden-Württembergische »Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen« und kann nicht einmal das von dass unterscheiden, von fehlenden Bindestrichen ganz zu schweigen. Armes Deutschland!)
···Kafka merkt in Parenthese an: »Es ist der einzige Nachteil des Schreibmaschinenschreibens, dass man sich so verläuft«. Wie wahr. Heute schreiben wir alle Schreibmaschine, schlimmer noch für’s »Verlaufen«, am PC!
S e h r··g e e h r t e s··F r ä u l e i n !
···Für den leicht möglichen Fall,dass Sie sich meiner auch im gering
sten nicht mehr erinnern könnten,stelle ich mich noch einmal vor:
Jch heisse Franz Kafka und bin der Mensch,der Sie zum erstenmal
am Abend beim Herrn Direktor Brod in Prag begrüsste,Jhnen dann über
den Tisch hin Photographien von einer Thaliareise eine nach der ande
reichte und der schliesslich in dieser Hand,mit der er jetzt die
Tasten schlägt,Ihre Hand hielt,mit der Sie das Versprechen bekräf-
tigten,im nächsten Jahr eine Palästinareise mit ihm machen zu wollen
··Wenn Sie nun diese Reise noch immer machen wollen-Sie sagten da-
mals,Sie wären nicht wankelmüthig und ich bemerkte auch an Jhnen
nichts dergleichen-dannwird es nicht nur gut,sondern unbedingt not-
wenig sein,dass wir schon von jetzt ab über diese Reise uns zu ver-
ständigen suchen.Denn wir werden unsere gar für eine Palästinareise
viel zu kleine Urlaubszeit bis auf den Grund ausschöpfen müssen und
das werden wir nur können, wenn wir uns so gut als möglich vorberei-
tet haben und über alle Vorbereitungen einig sind.
··Eines muss ich nur eingestehen,so schlecht es an sich klingt und
so schlecht es überdies zum Vorigen passt:Jch bin ein unpünktlicher
Briefschreiber.Ja es wäre noch ärger,als es ist,wenn ich nicht
die Schreibmaschine hätte,denn wenn auch einmal meine Launen zu
einem Brief nicht hinreichen sollten,so sind schliesslich die Fin-
gerspitzen zum Schreiben immer noch da.Zum Lohn dafür erwarte ich
aber auch niemals,dass Briefe pünktlich kommen;selbst wenn ich einen
Brief mit täglich neuer Spannung erwarte,bin ich niemals enttäuscht,
wenn er nicht kommt und kommt er schliesslich,erschrecke ichgern.
····Jch merke beim neuen Einlegen des Papiers,dass ich mich vielleicht
viel schwieriger gemacht habe,als ich bin.Es würde mir ganz recht ge-
schehn,wenn ich diesen Fehler gemacht haben sollte,denn wozu schreibe
ich auch diesen Brief nach der sechsten Bürostunde und auf einer
Schreibmaschine,an die ich nicht gewöhnt bin.
····Aber trotzdem,trotzdem -es ist der einzige Nachteil des Schreib-
maschinenschreibens,dass man sich so veräuft-wenn es auch dagegen Be-
denken geben sollte,praktische Bedenken meine ich,mich auf eine Rei-
se als Reisebegleiter,-führer,-Ballast,-Tyrann,und was sich noch aus
mir entwickeln könnte,mitzunehmen,gegen mich als Korrespondenten -und
darauf käme es ja vorläufig nur an-dürfte nichts Entscheidendes
von vornherein einzuwenden sein und Sie könnten es wohl mit mir ver-
suchen.
·Prag,am 20.September 1912.
··································Jhr herzlich ergebener
(Kommentare und Korrekturen bitte direkt an mich, Fritz@Joern.De)
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