9. Dezember 2014

Gewaltmigration

Ich bin »Migrationshintergründiger«, möglicher Zusatz: »ohne eigene Migrationserfahrung«, geboren in Brünn. Mein Freund Lindenthal hatte mich auf die Kontroverse um Manfred Kittel aufmerksam gemacht, nachzulesen beispielsweise in der FAZ hier. Ich will aber nicht auf den Murks der »Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung« (SFVV) eingehen, die gerade unter dem dumm-beschönigenden Titel »Gewaltmigration erinnern« im oder mit dem »Deutschen Historischen Museum« eine »temporäre Ausstellung« gibt. Das Museum ist – sehe ich gerade – etwa dort in der Dorotheenstraße, wo ich mir als österreichischer Technikstudent in Westberlin für jede einzelne Fahrt durch die DDR ein Visum hatte holen müssen, unvergessen.
   Die Ausstellung stammt aus Griechenland. »Auf Bitten der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung wurde die Abteilung Deutschland/Polen des Projektes nicht in die Ausstellung Gewaltmigration erinnern im Deutschen Historischen Museum in Berlin aufgenommen«, schreiben die Griechen.Damit geht’s schon los …

Aus der Ausstellung, s. http://www.anemon.gr/films/film-detail/twice-stranger-doc
Ich melde mich mal mutig als »Vertriebener«, obwohl ich mich mein Lebtag lang nicht als solcher gefühlt habe; auch nicht als Waisenkind (den politisch korrekten Ausdruck dafür kenne ich nicht), obwohl mein Vater im Krieg gefallen ist. An den Zweiten Weltkrieg erinnert bald nur mehr der Holocaust (diese Bezeichnung kam um 1980 hier auf). Aber das ist schon polemisch gemeint. Die »Vertreibung« ist ganz vergessen, wie bald auch die DDR oder andere historische Ereignisse außer Fußballmeisterschaften, Mauerfälle und Schuldenkrisen.
   Persönlich sehe ich Ereignisse, die vor mehr als zwanzig Jahren passierten, rein als Geschichte an. Verantwortlichkeiten sollten höchstens als Ursachen oder Auslöser gesehen werden, keinesfalls aber moralisch oder als Wiedergutmachungsforderungen. Natürlich bin ich verantwortlich dafür, 1995 geschieden worden zu sein, tue mich aber selbst schon schwer, dieses so einschneidende Ereignis heute zu bewerten. Was sind dagegen aber weltpolitische Ereignisse, die »vor« meiner Zeit geschahen, für die selbst meine Ahnen bestenfalls demokratisch äußerst verdünnte Verantwortung trugen. Die Entschuldigungen heutiger Politiker für Geschehnisse von hundert Jahren, die obligaten Kranzlegungen mit ernster Miene sind unsinnige Rituale, die dem Blick in eine falsch verstandene Vergangenheit dienen. Als ob sich Renzi bei Franziskus wegen der Chistenverfolgungen entschuldigte. Noch unsinniger sind natürlich Schadensersatzforderungen an die Nachfahren.
Schöne Christenverfolgung. Henryk Siemiradzki: Neros lebende Fackeln.Wikipedia
Ich bin heute verantwortlich für Lampedusa – und kümmere mich doch nicht darum. Wie weniger sollte mich eine Schuld am Zweiten Weltkrieg oder am Holocaust tangieren!
   Ich bin also dafür, moralische Beurteilung dereinst dem Jüngsten Gericht zu überlassen. Ich werfe einem Tschechen (oder Russen) nicht vor, mich vertrieben zu haben, und verzeihen kann ich ihm schon gar nicht, deshalb.
   Persönlich hab’ ich’s immer versucht zu nehmen, wie es kam, und das Beste daraus zu machen. Nie war ich vorwärtsgerichtet »visionär« (was meine berufliche Laufbahn begrenzte), noch nie hatte ich rückblickend ein gutes Gedächtnis (was mich vor manchem Leid und Mitleid geschützt hat).  
   Für mich ist die herausragende Tugend des Christentums das Vergeben, die linke Wange zu reichen, wenn man auf die rechte geschlagen wurde (Mt 5,39). Nur so kann Frieden auf der Welt sein, Gerechtigkeit weniger, aber Friede.
 
Hier zum Film zur Ausstellung.
Beginn des »deutschen« Teils bei 3'17": http://vimeo.com/36076793#t=197 (1'7" von 6'39").

»Besuch bei einer frommen Frau« (Flucht aus Bessarabien)
Thema »Neusprech« (politische Korrektheit)

Link zu diesem Blog: http://blogabissl.blogspot.com/2014/12/gewaltmigration.html

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