27. Dezember 2022

Mein Freund Gabor †

Ein Nachruf, eine Geschichte – für Eva

Von 4. Februar 1957 bis zum 20. August 1958 war Gabor mit mir im Staatlichen Landschulheim Marquartstein, im Internat am Alpenrand, in der fünften Oberschulklasse bis zur sechsten, nach heutiger Zählung wohl +4 = Klasse 9. und 10. Gabor Balthazar oder dann Gabriel Balthasar, erst ungarisch Balthazar mit z geschrieben, war nach der Ungarischen Revolution 1956 mit Mutter und Schwester aus Budapest geflohen, über die »grüne Grenze« nach Österreich und dann weiter nach München. Die drei rannten beim Plattensee an Wachtürmen vorbei durch Kugelhagel. Leuchtraketen erhellten immer wieder taghell die Gegend; eine letzte, entscheidende blieb dunkel oben im Himmel. So kamen sie heraus, sich an den Händen haltend, links Eva, rechts Gabor, in der Mitte die Mutter. Der Vater, ein berühmter Rechtsanwalt in Budapest, hatte 1948 fliehen müssen, von einem Tag zum anderen. 1945 hatten sie eine geplante Flucht im letzten Moment abgeblasen, und dann wurde es doch schlimmer und schlimmer. Das alles hatte ich nicht so gewusst. Man sprach nicht vom Krieg und lebte mit seinen Träumen …

Gabors Deutsch war mäßig, Englisch musste er ganz nachholen. Er tat’s mit außerordentlicher Energie und großem Erfolg, täglich fünf Vokabeln, unerbitterlich, später dann mit Englisch.

Gabor * 5. Juni 1941 † Sommer 2022
Während der Zeit, die er bei uns in Marquartstein war, waren wir zwei unzertrennliche Begleiter, von Anfang bis zum Ende seiner Zeit hier. Warum, weiß ich eigentlich nicht … . Wir traten stets zu zweit auf, automatisch, und lebten im selben Internatszimmer. Man hatte Gabor zu mir altem Hasen gesteckt, auf dass er sich gut eingewöhne. Ich verliebte mich in seine Schwester, aber das ist eine andere Geschichte. – Das Klassenfoto samt Liste finden Sie auf http://www.joern.de/MSteinKlassen.htm , noch aus der Zeit vor Datenschutz und Regenbogenflaggen. Wozu heutzutage wohl angemerkt werden muss, dass unsere Freundschaft absolut LGBT-frei war. Mein bayrischer Akzent verfärbte sich leicht »ungorisch«, ein paar Sprachfetzen weiß ich bis heute – Jó reggelt kívánok. Ja, und sein middle initial war immer nur ein A., Gabor A. Baltasar. Bloß ich wusste, dass das A für Attila stand.
  
Unsere Wege haben sich danach noch öfter gekreuzt, zuerst als ich mit Uwe zum Bradfield College in England ausgetauscht war. Gabor lebte in Weybridge in Surrey, dort in der Nähe, und hieß zeitweise mit Familiennamen Thomas, nach einem amerikanischen Diplomaten, seinem neuen Adoptivvater. Dann in Frankfurt am Main, wo er mir nach meinem Studium und meiner Hochzeit in Berlin bei der Wohnungssuche sein Auto lieh. Dann verloren wir uns. Zuletzt habe ich ihn 2005 nach vielen, vielen Jahren über das relativ frische Internet in Kalifornien wiedergefunden, als veröffentlichtes Aufsichtsratsmitglied einer Pharmafirma. Seine Antwort kam postwendend.
   Gabors Leben war am Ende bewegt zwischen einem Schloss in Südfrankreich, einer tschechischen Freundin und
Phuket , weit weg. Mehr weiß ich nicht. Gestorben ist er dort am Donnerstag, den 23. Juni 2022, rip.
   Seine jüngere Schwester, Künstlerin und Malerin Eva Balthazar lebt noch am Cap d’Antibes. Weit weg, leider …

–––––– · ––––––

Permalink https://blogabissl.blogspot.com/2022/12/mein-freund-gabor.html

Besucherzaehler

Keine Kommentare: