16. Mai 2021

Samstagmittags Andacht in der Bonner Stiftskirche

Jeden Samstagmittag 12 Uhr
in der Bonner Stiftskirche in der Kölnstraße nahe Suttnerplatz!

Aufnahme vom Samstag, 8. September 2021

Bericht. Eine Andacht im Mai, am Samstag 15. Mai 2021. Der Tag ist eher verregnet und »gräsig«, aprilig.
   Man hatte mich persönlich eingeladen in die Kirche, die Stiftskirche in Bonn, wo ich mich seit Jahren zuhause fühle. Da kennt man mich mit Namen, muss also nahe an Gott sein, denn der kennt uns alle. Vielleicht sieht man mich an wie einen alten Stammgast, der oft zur Sonntagsmesse um halb elf kommt, allein, gern rechts sitzt – für Männer war das früher die richtige Seite.
   Eingeladen hatte mich die junge Frau, die sich nicht scheut, vorn in der Kirche einfach loszusingen, ganz ohne Orgel und Chor, und natürlich ohne die Gemeinde, die das zu Corona-Zeiten nicht darf hinter all den Masken. Fromm.
   Auf einem Faltblatt lasen wir das Programm: »Mittagshore zum 7. Sonntag der Osterzeit«. Heutzutage klingt Hore ja nicht so gut, fand ich, der ich gerne krittle, schon aus Verlegenheit, nicht gleich zu wissen, was das ist? Hora, die Stunde, ja, aber als Gebet? Ein Stundengebet. Doch eine Stunde lang dauert das bei weitem nicht. (Später befragte ich die Wikipedia nach Hora. Die kam mir zuerst mit einer Geliebten des Zeus und erst auf weiteres Befragen mit einem Stück Stundengebet, hochgestochen wie ’s ›Mme.Wiki‹ geworden ist.) Also müsste das etwa die Sext sein, und das war’s auch: ein Gebet zur sechsten Stunde, um zwölf. Doch inzwischen ist Sext sprachlich auch nicht viel besser assoziiert als Hore. Egal. Ich schweife schon wieder ab.

Orgelempore der Stiftskirche in Bonn, ausnahmsweise gen Osten: ex oriente lux
Also. Wir waren unser wenig, zehn bis fünfzehn so, alt und etwas jung. Die Wirkung frommen Gebets liegt nicht in der Masse, nicht in unserer Stärke: Man schiebt da kein Auto an. Man bittet, jeder und doch gemeinsam. Und die gute Frau sang wieder, leitete die Veranstaltung.
   Von hinten zogen wir zur vollen Mittagsstunde mit brennenden Lichtchen durch den Mittelgang ein, stiegen die drei Treppen hinauf zum Altar (»Zum Altare Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfüllt von Jugend an!«). Wir legten die Lichter ab am Altar und nahmen dahinter im Halbkreis Platz, mit Blick zurück über den Altar ins Kirchenschiff und auf das Glasfenster über der Orgelempore. Die Kirche war trüb, fahl, doch das Licht von draußen hob uns den Blick in die Weite, in die Höhe. »Erhebet eure Herzen! Wir haben sie bei Gott«, und das stimmte.

   Beim Einzug sang unsere Vorsingerin die Bitte aus dem 13. Jahrhundert um den rechten Glauben, und dass Er uns behüte am Ende: »Nun bitten wir der Heiligen Geist« (Gotteslob Nummer 348). Später erbat sie singend: »Oh Gott, komm mir zu Hilfe!« (Gotteslob Nummer 627).
   Dann priesen wir unseren gütigen und verzeihenden Gott. Wir beteten wechselweise Davids Psalm 103. Die Psalmen sind das Schönste; so alt, dass keiner weiß, wie alt – dreitausend Jahre alt vielleicht. Denn weit und alt ist die Welt, endlich sind unsere Tage.

15. Des Menschen Tage sind wie Gras,
   er [der Mensch] blüht wie die Blume des Feldes.

16. Fährt der Wind darüber, ist sie [die Blume] dahin;
   der Ort, wo sie stand, weiß von ihr nichts mehr.
17. Doch die Huld des Herrn währt [= dauert] immer und ewig für alle, die ihn fürchten und ehren;
   sein Heil erfahren noch Kinder und Enkel; /
18. alle, die seinen Bund bewahren,
   an seine Gebote denken und danach handeln.

Danach waren wir still. 

Nun die Lesung aus einem Johannesbrief (1. Joh 4, 11-16). Schön zu hören, tröstlich, versichernd, neutestamentarisch; nur wirlich glauben sollte man’s in sich selbst: »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.« Ganz persönlich bezweifle ich, dass Gott sich auf Erden einmischt, nach all den Kriegen und dem Leid, Holocaust. Doch wer weiß, denke ich mir, und erfreue mich am Gedanken der Liebe. Glaube. Den Ärger um den eigenen Unglauben habe ich hoffentlich langsam überwunden.
   In einer »Meditation« wurde diese Kleingläubigkeit gelöst zu einem Wunsch, unsere Endlichkeit und Schwäche eingestehend: »Geist Gottes, in uns wirksam, auch wenn wir scheitern. Komm, Heiliger Geist«.

Weihrauch
Die Damen hatten echten Weihrauch aus Jerusalem mitgebracht; so war das Rauchopfer wohl wirklich ein Opfer. Das erfuhr ich aber erst später. Überhaupt mag man puristisch-intellektuell Kerzenschein und Rauchesduft weniger schätzen, oder im Gegenteil zu Kultischem neigen, sogar zu Kitsch vielleicht, Maria grüßt. Mit etwas bescheidener Liebe tut das niemandem Abbruch. Wie ein ordentliches Rasierwasser oder ein wenig Parfum ja selbst den modernsten Menschen nicht weiter stören, im Gegenteil. 

Glaube braucht Gelassenheit.

Die Fürbitten drehten sich aktuell um den Krieg in Palästina, um Unterdrückung, Hass und  Leid auf der ganzen Welt. – Bitten kann man nie genug …
   Nach dem Vaterunser sprachen wir ein frommes jüdisches Friedensgebet, eine schöne, weitblickende Utopie, ein Zurück ins Paradies, vor dem Sündenfall:

Möge es dir wohlgefällig sein, Ewiger,
unser aller Gott und Gott unserer Vorfahren,

dass du die Welt von Krieg und Blutvergießen befreist
und stattdessen einen großen und wunderbaren Frieden in der Welt verbreitest,
dass keine Nation mehr das Schwert gegen eine andere Nation erhebt
und keine Nation mehr den Krieg lernt.
Mögen alle Bewohner der Erde nur die volle Wahrheit anerkennen und um sie wissen:
dass wir in diese Welt nicht um des Had
ers und der Zwietracht willen gekommen sind
wovor Gott bewahre
und nicht um des Hasses, der Eifersucht, der Aufreizung und des Blutvergießens willen,
was Gott verbiete.
Vielmehr sind wir in die Welt gekommen,

um dich anzuerkennen und dich zu kennen.
Mögest du gepriesen sein für immer.

Schließlich – nach vielleicht zwanzig Minuten Andacht – rief Prof. Gerhards, der priesterliche Leiter und Initiator der Horen, Gottes Segen herab auf uns. Zum Auszug ging’s vorbei am Marienbild. Sie bekam die Kerzen. – Wir sind im Mai! –. Gesungen wurde «veni sancte spiritus» – 

und dann kam die Überraschung:

Eine klangvolle Drehorgel spielte das Ave Maria, den Großen Gott wir loben dich, und noch ein paar Kirchenlieder und dann ein Duett und ein Menuett von Mozart. Die Kirche war gefüllt vom Klang der »Pfeifen«, so voll, dass ich dachte, die Orgel selbst spiele mit. Ja, »Drehorgel-Onkel Fuss kommt zu Anlässen, auch ehrenamtlich«! – so sein Werbespruch. Früher war er Schausteller. Neben der Orgel liegen am Wagerl noch die Puppen für Kinder.

»Drehorgel-Onkel Fuss«*)
Natürlich kamen wir aus den Bänken und scharten uns um diese klingende Überraschung und kamen ins Gespräch über Gott und die Welt. So soll’s sein in der Kirche.
   Und am nächsten Samstag kommt er wieder. a- der Heilige Geist und b- der Mann mit der Drehorgel, mit einer noch größeren – um zwölf in die Bonner Stiftskirche in der Kölnstraße beim Suttnerplatz. Sie auch?


 

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Samstag, 22. Mai 2021 Stiftskirche »Hören – Beten – Danken – Hoffen – Mittagsgebet mit Psalmen und Lesung aus der Bibel« – aus dem Wochenzettel.

Link hierher zum Weitergeben: http://j.mp/fj3u2XsDn
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https://blogabissl.blogspot.com/2021/05/samstagmittags-andacht-in-der-bonner.html

Besucherzaehler 

Jeden Samstag! Nur ein paar Schritte vom Suttnerplatz die Kölnstraße hinauf.
   Ich konnte erst am 29. Mai wieder kommen. Sonst aber immer wieder.

Gott bewahre! – Das klingt mir noch von früher in den Ohren …

Als Nachtrag kleine Orgelstücke, mit Verlaub:

Gott ist fröhlich, trotz allem, was wir Kinder Gottes hiernieden veranstalten …


Dmitri Schostakowitsch, der zweite Walzer

Zwei weitere auf Youtube: https://youtu.be/4vEyprOv_lE und https://youtu.be/1P3h1y44j0s 
 
Samstag, 6. November 2021
   Unser Organist hat heute noch eine zweite, eine etwas kleinere Orgel mitgebracht. Sie erzeugt den Ton nicht wie gewohnt in Orgelpfeifen (links im Vordergrund), sie lässt stattdessen fein abgestimmte schmale Bleche (Stichwort »durchschlagende Zungen«) in einem jeweils passenden Schlitz schwingen und klingt dann wie eine Harmonika. Diese »Zungendrehorgel«, rechts im Bild, ist von Raffin in Überlingen

 

Hören können Sie diese seltene Drehorgel hier (danke Agnes!) und auf Youtube: https://youtu.be/qWUBEzY_8nY.
Samstag, 13. November 2021, der Türkische Marsch von Mozart:
https://youtu.be/bCwRulADuQE  
 
* Drehorgel-Onkel Fuss, Hermann.Hergarten@gmx.de , Telefon 0163 918 8620, hat auch eine Facebook-Seite. Aber ich mag Facebook nicht, da muss man sich anmelden. – Fuss, sagt er, ist ein rheinischer Fuchs, ein rothaariger …

– Noch ein paar nächtliche-frühmorgendliche Gedanken zum gestrigen 6. November 2021. Da durfte ich die Lesung vortragen aus dem ersten Buch der Könige, 1 Kön 17,10–16

Am Stadttor von Sarepta, einer Mittelmeer-Küstenstadt im Libanon (33.45338 35.29241, heute Sarafand), bittet der vom Gehen durstige Prophet Elija eine alleinstehende Mutter um einen Becher Wasser und dann um etwas zu essen. Die fromme Frau ist nachgerade lebensmüde, weil sie nur mehr »eine handvoll Mehl … und ein wenig Öl« hat für sich und ihren Sohn. Elia macht ihr wieder Mut und verspricht ihr mit Gottes Hilfe: »Der Mehltopf wird nicht leer werden, und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet.« Und so war es.

Tischlein deck dich. Wien 1927
Beim Lesen dachte ich: Das ist ein Grimmsches Märchen, eine Geschichte aus uralten Zeiten, Tischlein deck dich. »Wort Gottes«, vielleicht, aber heutzutage absolut unglaublich. Wunder geschehen keine. Dazu brummte in meiner Brusttasche sogar mein stummgeschaltetes Handy (zufällig natürlich).
   Freilich ist die Geschichte ausgedacht, nicht zu glauben, doch: zu bedenken! Sein Volk Israel hat Gott immer streng, ja schlecht, tödlich schlecht behandelt, und doch immer wieder aufgehoben in seine Hoffnung, seine Hand, notfalls mit Verweis auf die Ewigkeit. Bis zu dem Moment, wo sich der Mensch selbst helfen kann, wo seine Saat wieder aufgeht, wo er Getreide erntet zu Garben und das Korn drischt und mahlt und wieder sein täglich Brot backt – und Plätzchen für Elia …

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