Stiftskirche Bonn, Engel über der Kanzel 24. Dezember 2014 |
Pfarrer Blanke, kein Feind vieler Worte, erwähnte selbstironisch in der Predigt die »Geschwätzigkeit«, die Papst Franziskus zwei Tage zuvor als die siebte von fünfzehn Krankheiten dem Vatikan vorgehalten hatte.
Gerade Gutgläubige meinen, extemporierte Ausschmückungen altgewohnter Liturgien könnten den Inhalt weiter vertiefen, sozusagen »reindrücken« in die Ungläubigen. Da reicht kein schlichter Segen, kein klassischer Dialog, den man auswenig kennt, es muss putzig drumrumgeträllert werden wie in einer schlechten Werbebotschaft oder einem kitschigen Roman, barock. – Doch, wer bin ich Vielschreiber, das bei anderen zu kritisieren. »Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel« (Bergpredigt Mt 5,37).
Franziskus (und die Bergpredigt) meinen aber nicht überfrachtete Reden, Reden, die – gutgemeint – noch etwas und noch etwas und noch jemanden dazu mit erwähnen, den »Christinnen und Christen« wohl demnächst noch »Hirtinnen und Hirten« gegenüberstellen, um ja nichts auszulassen, um ja niemanden auszuschließen, jeden Fall mit zu berücksichtigen. In der Messe werden’s dann noch mehr Fürbitten, noch längere Predigten, noch schmuckere Wandlungsworte, noch mehr Tremolo; zur Not noch mehr »Momente des Schweigens«. (Politik bleibt mangels sonstig Menschlichem dann auch nicht aus.)
Sprache ist immer Abstraktion, man befreit sie davon nicht durch mehr Sprache.
Ein Blick nach Rom. Hört man sich den Papst an, so meint er mit Geschwätzigkeit nicht viele Worte, sondern Gerede, Klatsch, üble Nachrede hinter dem Rücken anderer. Chiacchiere sind Nachreden, die er geißelt. Und due chiacchiere sind nicht »zwei Gerüchte«, wie’s der Vatikan übersetzt, sondern ein Plausch unter Freunden, mehr erst einmal nicht. Hier aus seiner Rede in offizieller Übersetzung:
9. Die Krankheit des Geschwätzes, des Gemurmels, des Tratschens.
Von dieser Krankheit habe ich schon oft gesprochen, aber noch nicht genug. Es ist eine schwere Krankheit, die ganz einfach beginnt, manchmal nur durch zwei Gerüchte, durch die man sich zum Herrn über jemand anderen macht und so zum »Sämann von Unkraut« wird, wie Satan. In vielen Fällen ist das »kaltblütiger Mord« am Ruf der eigenen Kollegen und Brüder. Es ist die Krankheit von feigen Menschen, die nicht den Mut haben, etwas direkt zu sagen und es deswegen hinter dem Rücken tun. Der heilige Paulus ermahnt uns: »Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid« (Phil: 14.18). Brüder, hüten wir uns vor dem Terrorismus des Geschwätzes!
Im Original:
9. La malattia delle chiacchiere, delle mormorazioni e dei pettegolezzi.
Di questa malattia ho già parlato tante volte ma mai abbastanza. E’ una malattia grave, che inizia semplicemente, magari solo per fare due chiacchiere e si impadronisce della persona facendola diventare «seminatrice di zizzania» (come satana), e in tanti casi «omicida a sangue freddo» della fama dei propri colleghi e confratelli. È la malattia delle persone vigliacche che non avendo il coraggio di parlare direttamente parlano dietro le spalle. San Paolo ci ammonisce: «Fate tutto senza mormorare e senza esitare, per essere irreprensibili e puri» (Fil 2,14-18). Fratelli, guardiamoci dal terrorismo delle chiacchiere!
Im Italienischen ist die Rede von zizzania, einem Unkraut, bot. Lolium temulentum (L.), dem Taumel-Lolch oder Rauschgras, giftig in der Tat, Wikipedia: »Die Pflanze ist oft vom endoparasitischen Pilz Neotyphodium coenophialum (ein Verwandter des Mutterkornpilzes) befallen, der u. a. neurotoxische Indolalkaloide bildet, wodurch die gesamte Pflanze giftig wird. Da der Taumel-Lolch früher häufig in Getreideäckern wuchs, gelangten oft Samen in das Mahlgut und in das Mehl. Durch den Genuss des so verunreinigten Mehles kam es zu Vergiftungserscheinungen wie Schwindel (Taumeln) und Sehstörungen, in seltenen Fällen sogar zum Tod. Heute kommt dies aufgrund der Anwendung von Herbiziden im integrierten Anbau und der Getreidereinigung nicht mehr vor.« Zizzania steht folgerichtig im Italienischen inzwischen für Streit, wie wieder die Wikipedia berichtet, hier.
Die vom Blatt gelesene vatikanische Rede fällt gegenüber Franziskus’ Predigten stark ab. (Das »Pappa« mit drei p ist ein Tippfehler. Das Kapitel über das Gerede beginnt auf 18:20.)
Sieht und hört man Franziskus dagegen in seinen freien Predigten (»Homilien«), dann spürt man die atemlose Stille, seine Präsenz, viel, viel beeindruckender. Etwa hier, wo er bildhaft über das »Flicken« der Löcher im Vatikan spicht, und wie man anderen in Demut hilft, besser zu werden.
Link hierher: http://blogabissl.blogspot.com/2014/12/gedanken-zur-geschwatzigkeit.html
1 Kommentar:
Für mich spielt die Musik HINTEN in der Kirche. Der Prediger ist lästiges Nebengeräusch, der Organist hat wirklich was auszusagen. Vor allem in der St. Hedwigs Kathedrale.
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