6. Mai 2024

Demonstrierende Studierende

Columbia-Uni, aus einem Video
 Studentenunruhen. Damals erlebte ich sie in Berlin, am Radio, in meinem Laden in der Charlottenburger Hebbelstraße. Benno Ohnesorg wurde sozusagen »vor meinen Ohren« zwei Straßen weiter in einem Innenhof erschossen, am 2. Juni 1967. Der Reporter hatte Mühe, sich den Schuss zu erklären und riet herum. »Sein Todestag gilt als Einschnitt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte mit weitreichenden gesellschaftspolitischen Folgen«, urteilt inzwischen die Wikipedia darüber. Ich war erschüttert und bin es noch. Wir Studenten der nahen Technischen Universität hatten nicht mitdemonstriert, hatten nichts gegen den Schah, ich schon gar nicht. Die Demonstranten waren von der Freien Universität in Dahlem gekommen, wenn nicht von weiter her. 

Heute demonstrieren Studenten wieder, ganz anders. Genannt werden sie Studierende, im angeblich Deutschen. Als Demonstrierende können sie das für mich gar nicht sein, entweder sind sie Studierende oder Demonstrierende. Sie laufen mit Fahnen herum, nicht mit ihrem Bronstein-Semendjajew, den wir damals in Ostberlin kauften. Beides zugleich geht nicht. Ich bin gewohnt -Endendes für einen momentanen Zustand zu halten; da ist ein Leidender nicht zugleich Jubelnder, und ein Radfahrender einfacher ein Radler in Aktion und dann nicht gleichzeitig Autofahrer. Außerdem verlängern die -denden das Hauptwort über Gebühr. Sprachlich Mist.

Sprachlich ist mein Hauptproblem bei all den neu von oben herab erfundenen Benennungen, dass sie nicht gewohnter Sprache entsprechen. Bei jedem -denden, geschweige denn bei jeder -denden, hänge ich wie bei einem falschen, unerwarteten Begriff an diesem unnötigen Fremdwort. Wie beim Lesen von Dialekt, wo ich oft erst raten muss, um was es geht. Mich lassen die neumodischen Begriffe, die gesprochenen Gender-Gaps, die Stern- oder Lücke-Unterbrechungen oder -Aussetzer an Dinge denken, die nichts mit der Aussage eines Satzes zu tun haben. Mich stört diese wichtigtuerische Unterbrechung des Verstehens. Orwellscher 1984er Neusprech.

Mir scheint, es kommt inzwischen nicht mehr darauf an, dass man den Inhalt einer Aussage gleich richtig versteht, sondern dass die Form modern ist. Was herauskommt ist aber nicht eine schön geschmückte, sagen wir, barocke Sprache, ein neues Sprach-Biedermeier, sondern ein Krampf. Für Ausländer vermutlich ganz unverständlich. Für mich hässlich und unklar, und das wohl für viele. Kein Mensch spricht so, außer vielleicht in neu-akademischen Kreisen, im Deutschlandfunk, in Zeitungen, die’s den empfindlichsten Kreisen mit vorauseilenden sprachlichen Bücklingen recht machen wollen. Eine Schmucksprache, die hässlich, ja falsch ausfällt und mühsam zu verstehen ist. 

Heutzutage geht es nicht um Verstehen, denkend verstehen, Denken. Die Aufklärung wird zurückgespult; nur Gutmeinung zählt. Voran kommt so keiner.  

Link hierher: https://blogabissl.blogspot.com/2024/05/demonstrierende-studierende.html

Siehe auch https://blogabissl.blogspot.com/2024/02/sprache-ist-kein-schmuckblatttelegramm.html

Siehe auch https://blogabissl.blogspot.com/2021/11/gendern-usw.html

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