9. November 2021

Gendern usw. Duden

Kurz gesagt:

1. Seit 1996 – der Rechtschreibreform – ist für die Rechtschreibung in Deutschland ein »amtliches Regelwerk« zuständig.
(Quellen https://gfds.de/duden-verbindlichkeit/ und https://www.rechtschreibrat.com/regeln-und-woerterverzeichnis/ und https://www.bundestag.de/resource/blob/691396/0fe6c9cce82af97036faec0bc3dcdf1c/WD-10-001-20-pdf-data.pdf )
2. Seither gab es kleine Änderungen.
3. Die gültige Rechtschreibung ist in offiziellen Kontexten (Behörden, Schulen etc.) verbindlich.
4. Eine Schreibung mit Sonderzeichen im Wort, etwa Bürger*innen usw., ist in der amtlichen deutschen Rechtschreibung nicht vorgesehen (also privat erlaubt, amtlich unzulässig).
5. Das generische Maskulinum gilt nach wie vor.

Langversion:

Meine Damen und Herren!

Gleich als erstes die Damen anzusprechen, wie hier, ist Höflichkeit. Auch aus dem Mantel darf man ihnen helfen. Nur ein Handkuss geht heutzutage nicht mehr, und ging früher auch nur korrekt, wenn die Dame saß. Tritt eine Dame in den Raum, so stehen die Herren »gefälligst« auf.

»Meine Komplimente,
Fräulein Prozessin*)
Die Hand zum Gruße, wenn überhaupt, reicht immer zuerst die Dame. Sonst ist eine kleine Verneigung richtig, mit dem Gedanken im Hinterkopf: »Meine Verehrung, Gnädigste!«. Ob heutige Frauen das wollen?

Jetzt die Rede, egal ob von einer Frau oder einem Mann gehalten. »Meine Damen, meine Herren!« Damit ist aber auch genug, genug der Floskeln. Die Rede soll überzeugen, erinnern, loben, erklären, auffordern – was auch immer. Wer sich angesprochen fühlt, bestimmt nicht der Redner. Manche Zuhörer schlafen ja auch ein.

Gendern verdünnt die Aussage

Bei einem verehrten Prediger lese ich: »Christinnen und Christen sind Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben.« Ja schon, aber das klingt windelweich herumgeeiert. »Christen gehören zur Gesellschaft, in der sie leben«, oder »sind Teil der Gesellschaft«, das wäre eine klare Ansage. Oder, von mir aus: »der bürgerlichen Gesellschaft«. Gerade die Bibel mahnt in der Bergpredigt zu Kürze, allerdings im Zusammenhang mit Schwören, was die Bibel nicht mag. Stattdessen empfiehlt sie, etwa bei Luther (Mt. 5,37) : »Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel«. Modern klingt das noch kürzer: »Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.«
   Wer »gendert« lenkt die Aufmersamkeit auf Geschlechtsunterschiede, auf eine zweigeteilte Gesellschaft, und damit natürlicherweise weg von der Sache selbst, vom Hauptthema. Meiner Meinung nach denkt der Mensch meist nur einen Gedankengang, entlang einem »roten Faden«, er oder sie »multitaskt« nicht im Gehirn (selbst wenn er vielleicht zwei Sachen gleichzeitig machen kann). Also fehlt der eine Gedanke, wenn ein anderer betont wird. Oder? Zudem berücksichtigt der Gendernde meist nicht die »Diversen«, die in Deutschland seit 2018 anerkannt sind, geschätzt mit Belegen
⅓ ‰ der Bevölkerung.
    Ausländer, für die die deutsche Sprache ohnehin schwierig ist, werden durch Gendern vom eigentlichen Inhalt der Aussage abgelenkt und verstehen die neuen modischen Bezeichnungen nicht (Studierender statt Student, wie international üblich), erst recht nicht Sterne im Text, zu denen die Fußnoten fehlen.
   »Ich geh’ mal beim Bäcker Brötchen holen«, das ist ein ganz normaler Aussagesatz. »Beim Bäcker oder der Bäckerin« wäre geschraubt. Und selbst »in der Bäckerei«, die grammatikalisch weiblich ist, ginge eine Sprachnuance verloren, die zwischen einem Bäcker und einer Bäckerei differenziert. Meist ist ja mit einem Bäcker eine Bäckerei gemeint. Für mich backt der Bäcker Brot und die Bäckerei – die mir immer nach Feinbäckerei klingt – die Plätzchen. Aber bitte: Feinheiten werden in »gendergerechter« Sprache weggehobelt, Hauptsache man wird der präsumptiven Selbstwahrnehmung des »zarten Geschlechts« gerecht. Ja, woher weiß denn der sprachwählerische Redner, wer sich im Publikum wie angesprochen fühlt. Frauen, hört nur auf die weibliche Form?
   Ich selbst, eher männlich, fühle mich bei der Endung -innen jedenfalls überhaupt nicht angesprochen. Warum sollte ich das?
   Das generische Maskulinum ist da zu weit weg, obwohl es im Deutschen erst einmal generell gilt, immer schon sehr praktisch war und ist, aktueller Gebrauch hin oder her. Auf Wikipedia kann man ausufernde Kontroversen dazu lesen. Kein Ausländer findet Sternchen und ausschließlich weibliche Formen im Lexikon oder gar in seiner Sprache. Muss er sich von einer Chirurg*in operieren lassen?
   Sprache ist, was einer sagt und der andere versteht, ist keine definierte Mathematik, wo 2 + 2 = 4 gilt. Ein Gendersternchen * ist kein Malzeichen, ×. Höchstens ein altmodischer Verweis auf eine Fußnote.

Pierre, Irène, Marie Curie
©Corbis

Ich hoffe, dass das Gendern eine Modeerscheinung bleibt. Marie Curie bekam ihre zwei Nobelpreise nicht, weil damals Gendern angesagt war. Ich bezweifle, dass Gendern Frauen etwas bringt, aber bitte, das ist Ansichtssache. Die Sprache jedenfalls verhunzt’s.  

BesucherzaehlerLink hierher https://bit.ly/fj3H9iV5a
 =  https://blogabissl.blogspot.com/2021/11/gendern-usw.html 

* Die Handkussszene stammt aus Topolino N.1533, Lire 1200, Story I 1533-A nella terra senza tempo, 2. Teil ©1985. Wie man in Blogs Fußnoten einbaut, steht auf https://blogabissl.blogspot.com/2024/03/sprunge-und-funoten-in-blog-posts.html

Pressemitteilung des amtlichen Rechtschreibrats https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2021-03-26_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf

Man könnte unendlich viel sagen zu Gendern und zu modernen »Verbesserungen« von Texten, vom falschen Gebrauch einer Tätigkeitsform wie bei »Studierenden«, die vielleicht jobben oder feiern statt zu studieren, von »Lehrlingen«, die keine sein dürfen, von traditionell harmlos gemeinten Negern oder Zigeunern. Sehen Sie sich bitte meine »Neger«-Studie an: https://blogabissl.blogspot.com/2019/03/neger.html , mit interessanten Belegen.
   Lesen Sie das NZZ-Interview mit Elke Heidenreich vom 10.11.2021 https://www.nzz.ch/feuilleton/elke-heidenreich-ueber-shitstorms-literatur-und-gendersprache-ld.1654095 . Sie sagt deutlich: »Man kann nicht alle Menschen in jedem Satz erwähnen und glücklich machen. Diese Betroffenheitskultur finde ich völlig falsch« und meint konkret: »Das Wort ›Schriftsteller:in‹ ist idiotisch – akustisch, aber auch in schriftlicher Form ist es grammatikalisch falsch. Da schlägt die Hysterie gerade sehr weit aus. Ich glaube aber, dass sich das nicht durchsetzt, denn das ist eine bestimmte Gruppe, die das macht. Das Gendern ist nicht in der Bevölkerung verankert.«

Bei James Scotts “Against the Grain” blieb ich hängen an einem forager und musste ihn googeln:


Dass es im Deutschen ein vielgebrauchtes generisches Maskulinum gibt, übergeht hier Google. Erschrocken über das Gegendere, habe ich dann flugs auch den zugehörigen “hunter” aufgesucht:

Na schön (doch warum ist der Hunter groß? Weil ich’s so eingegeben hatte.) Sie können sich selbst vorstellen, was »Jäger und Sammler« dann heißen müsste, in Genderdeutsch. Nur gut, dass das Google nun doch nicht mitmacht:
Der richtige englische Ausdruck für Jäger und Sammler scheint hunter-gatherer zu sein.

Den On-line-Duden können Sie vergessen 

Der Duden, der dem Sprachgebrauch folgt und für viele damit verbindlich wird, hat seinen Umfang aufgebläht. Nicht, dass ich ein Duden-Beobachter wäre. Aber Schlagzeilen wie »Der Duden schafft das generische Maskulinum ab« fallen selbst mir auf, etwa hier: https://www.stern.de/gesellschaft/duden-schafft-generisches-maskulinum-ab--warum-das-anmassend-ist-9560662.html  . Das kann der Duden nicht und das darf er nicht, weil er die Sprache (und damit die deutsche Rechtschreibung) nur dokumentieren soll, statt daran herumzuschrauben. Er schafft nichts an und nichts ab. Etwas Demut täte diesen Sprachexperten gut.

Wenn ich sage: »Ich gehe zum Bäcker Brötchen holen«, dann wissen alle, was ich vorhabe. Nur der Duden nicht. Der definiert den Bäcker ausschließlich als »Handwerker, der Backwaren für den Verkauf herstellt (Berufsbezeichnung)«, siehe https://www.duden.de/rechtschreibung/Baecker , sprachliche Häufigkeit 2/5. Dass man mit Bäcker auch eine Bäckerei meinen kann, das weiß er nicht. 

Der Duden ist neuerdings online nur gegen Gebühr zugänglich,
vielleicht rührt das fehlende Bild daher. Mein Dank an den Duden.
So kommen weniger*innen an den Mist dran.

Dieser Kasten (inzwischen vermutlich von der Google-Zensur automatisch gelöscht), in dem einem ein Licht aufgehen soll, steht wohl bei jedem generischen Maskulin. Dazu kommt dann noch die weibliche Bezeichnung, die im Gegensatz zur »männlichen« nicht beides, ja alle meinen kann: Männlein und Weiblein und Diverse etc. Die Bäckerin ist grammatikalisch und genderlich – sagt man so? – immer weiblich. Sie ist im Duden eine »Handwerkerin, die Backwaren für den Verkauf herstellt (Berufsbezeichnung)« – freilich ohne Warnhinweis, ob sie divers sein darf. Häufigkeit 1/5.

Der Duden sollte sich da heraushalten. Er ist nicht dazu da, mir als Schreiber zu sagen, wie eindeutig ein Begriff ist oder wie flexibel. Vieles in der Sprache ist doppeldeutig, vom Föhn bis zum Messer. Leser sind doch nicht doof. 

Beim Reh sind Natur und Duden noch intakt: https://www.duden.de/rechtschreibung/Reh  

Probieren Sie statt dem Duden einmal das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache: https://www.dwds.de/wb/B%C3%A4cker 

Im Übrigen ist der Duden zwar seit weit über hundert Jahren bekannt und beliebt – seit der Rechtschreibreform 1996 ist aber nicht mehr er, sondern das »amtliche Regelwerk« verbindlich, allerdings nur in »offiziellen Kontexten« wie »Schulen, Behörden usw.«, siehe https://gfds.de/duden-verbindlichkeit/ .
   Ich empfehle, sich direkt beim Rat für deutsche Rechtschreibung
schlau zu machen, https://www.rechtschreibrat.com/regeln-und-woerterverzeichnis/ . Soweit ich das verfolgt habe, sind Sternchen oder andere opportunistische, Aufmerksamkeit heischende Andersschreibungen wie Binnenmajuskeln – nicht zugelassen. Ämter, die dergleichen anwenden, tun das gegen das Gesetz. Mehr hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Binnenmajuskel#Schreibregeln . Das amtliche Wörterverzeichnis finden Sie hier: https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_Woerterverzeichnis_2016_veroeffentlicht_2017.pdf 

Eine Idee: Wenn wir schon die Gesellschaft bei allen Glegenheiten spalten in Männlein und Weiblein, so könnten wir sie mit Fug und Recht in Junge und Alte trennen. Ich hab’ das einmal durchgerechnet, siehe https://blogabissl.blogspot.com/2019/07/alte-und-junge-gesellschaftsteilung.html .

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Hier die NZZ: https://www.nzz.ch/feuilleton/gendern-verschreckt-leser-wie-der-tagesspiegel-an-gendersprache-scheiterte-ld.1767903  

Feb. 2024. Fragt man alte Leute, dann mögen sie Gendern immer noch nicht:


PS. Siehe auch https://www.nzz.ch/meinung/ein-einziger-murks-gendern-ist-auch-keine-loesung-ld.1668929 

Siehe auch https://www.nzz.ch/international/streit-um-transsexualitaet-wann-ist-ein-mann-ein-mann-ld.1671305  Thema u.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Tessa_Ganserer 

30.7.2022 https://www.nzz.ch/international/der-gender-gap-bleibt-vw-mitarbeiter-scheitert-mit-klage-auf-unterlassung-ld.1695767 

PS. Deutsche Texte laufen bereits ohne Gendern etwa ein Drittel länger als englische. Mit Gendern werden sie noch länger, denn z.B. »Bürger und Bürgerinnen« ist viel länger als »Bürger«, was dasselbe meint, aber über drei Mal mehr Buchstaben braucht. Selbst Bürger:innen wäre fast doppelt so lang.
   Dazu kommt, dass heute viel auf Smartphones gelesen wird, die dann aber keine automatische Silbentrennung können, die vermutlich bei Bürger:innen sowieso versagen würde: Bürger:-innen, Bürg-er:innen, Bürger-:innen, Bürger:in-nen, Bür-ger:innen? (Meine Blogs sind automatisch trennbar, siehe hier.)

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