Ein Reisebericht mit zwei Gottesbeweisen, wenn Sie so wollen
»In Norddeutschland« war ich (Süddeutscher) unterwegs, die A1 hinunter, von Münster aus mit Ziel Köln und dann Bonn. Der Tag war lang gewesen. Tochter Carla hatte ein Studentenzimmer gesucht, da und dort in Münster, und jetzt war ich am späten Nachmittag alleine unterwegs zurück nachhause nach Bonn.
Vor Dortmund fing es an jämmerlich zu gießen, was man neuerdings als Starkregen kennt, und ich wollte dort noch zum Grab meiner kleinen Tochter. Am riesigen Hauptfriedhof ist es schwer zu finden. Am besten kommt man von Ostern heran. Dort kenne ich aber keine Parkplätze. Also stelle ich mich immer irgendwo an eine nahe Kreuzung oder auf den ungenutzten breiten Gehsteig und laufe von dort. In der Hoffnung, dass kein böser Geist mich abschleppt, abstraft, oder gar bestiehlt.
Jahrelang war ich nicht mehr am Grab gewesen. Für meine (neue, zweite) Familie ist’s kein Ziel, für mich schon. Seit es die Cebit in Hannover nicht mehr gibt, komme ich nicht mehr alle Jahre vorbei. Mit Carla in Münster mag das nun anders werden.
Zuerst leitete mich mein Navi in die Irre, weil ich als Ziel das Grab selbst eingegeben hatte, 51,51661;7,54636, nicht draußen einen Autoabstellplatz. So landete ich irgendwo in Brackel, und dunkel war’s auch schon, fast ganz. Dazu dieser Dauerregen. Und meine einsame Trauer. Ich bin dann zurückgegurkt, fuhr weiter westlich nach Gedächtnis in die »Leni-Rommel-Straße«, öd und leer. »Mein« großes Blumengeschäft dort war dem Erdboden gleich gemacht worden. Die Zeiten, sie ändern sich. Meinen im »ruhenden Verkehr« nichtsnutzen grünen Behindertenausweis klemmte ich noch an die Frontscheibe, mitleiderheischend, eigentlich ganz sinnlos. Dann ging ich hinein in den Friedhof, am Seiteneingang bei den Abfallhäufen, schirmbewehrt, von Pfütze zu Pfütze balancierend, unter den Trauerweiden. Das Grab fand ich wie immer auf Anhieb. Es war, zusammen mit einem zweiten, einsam geworden in seinem Planquadrat 181. Der riesige grüne Busch, der den grünmarmornen Grabstein versteckt, ist noch da; und wie immer ist das Grab beraubt: Wo einst Blumen und eine kleine weiße Rose standen – nur mehr Löcher im Bodendecker.
Das ist und war alles. Gut, dass der Regen beim Auftauchen aus meinen Gedanken nachgelassen hatte. Das Auto stand noch brav da. Ich konnte das Navi auf »Heimat« stellen, und bald war ich wieder auf der A1.
Das Bergische Land – siehe Wikipedia – heißt so nach dem historischen Territorium Herzogtum Berg, und keineswegs der Hügel halber. Nach meiner Erfahrung regnet es dort immer, es sind immer Baustellen und enge Täler zu durchqueuren, und dazu wechseln die erlaubten Höchstgeschwindigkeiten gefühlt alle zweihundert Meter. Eine Mist-Fahrerei. Und ich mit meiner Melancholie mitten drin, den Scheibenwischer mal schneller und mal ruhiger stellend.
Für Carla hatten wir kein Zimmer gefunden in Münster. (Sie später alleine schon.) Mist! Die allgemeine Misere pfiff von allen Dächern: Weltuntergang, davor Klimawandel, viel zu viele Menschen, falsche Verteilung, ratlose Politiker, alle im Streit – Gott weiß wo gerade demonstrierend. Ich neige zu Verallgemeinerungen, zu immer übergeordneteren Erklärungen, zu großen Theorien, Pessimismus.
Die katholische Kirche – zu der ich als Laie gehöre – vertieft ihre Skandale, eine altverzopfte Moral propagierend, Sex nur bei aktivem Kinderwunsch, genaugenommen, und die Frauen immer fromm außen vor, sie dürfen den Rosenkranz beten. Jesus ist lieb.
Nach jeder Predigt stellen sich die ganzen Gläubinnen und Glaubenden hin und lügen dem Heiligen Geist die Hucke voll:
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, / und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, / empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, / gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, / hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, / aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; / von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. / Ich glaube an den Heiligen Geist, / die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, / Vergebung der Sünden, / Auferstehung der Toten / und das ewige Leben. / Amen.
Also ich habe damit Schwierigkeiten, mal mehr, mal weniger. Felsenfest wie Hier stehe ich und kann nicht anders ist das nicht, mit den drei Tagen Hölle, dem Aufzug in den Himmel, und – leider – oft auch schon gleich vornan dem Glauben an Gott als solchem. Dafür zeigt er sich hier zu wenig bezw. gar nicht, neuerdings, Gott guckt weg post-Holocaust.
Mit höllischem Herzen fuhr ich also westwärts über die Wupper. Und dann:
Dann ging mir ein Licht auf, zur Abwechslung weit im Westen, und das hat mich so gefreut, dass wieder alles richtig wurde: Der Gott, der Geist, der Heilige, und der Verkehr liefen, wie von einer eleganten Geisterhand geleitet, geführt, Richtung Köln, und ich dachte: Wie toll das fließt! Muss man nur sehen. Staunen wie über die Dusche in der Früh, über jeden Fluss, nur ohne Wirbel, laminar von Auto zu Auto, Licht zu Lichtern. Fast spürte ich ein Wiegen, hin und her, wie vielleicht beim Rodeln damals vor der Erderwärmung. Tanzen. Jedenfalls gleitend, wirklich schnell, übermenschlich schnell, auf dass wir alle bald heimkommen. Ein Wunder, menschengemacht – das aber war der Lichter–schlange keineswegs anzusehen, den roten Würmern vor mir. Es hat mich schier herausgehoben aus den Brückenbaustellen, aus den Tälern, hinan. Und nichteinmal geblitzt wurde ich.
Bevor ich nun aber weiterschwärme. Für Gott habe ich »im Lichte des Verstandes« noch eine gehobenere Erklärung.
Das links sind zwei urzeitliche Schaumzikaden (froghopper, Aphrophoridæ), versteinert in ihrer Vereinigung seit 165 Millionen Jahren, 000 000! Wer kann sich das vorstellen? Wo wir uns doch nichteinmal das Leben vor fünfzig Jahren vorstellen können, oder die kalten Jahre im und nach dem Krieg, vor dem »menschengemachten Klimawandel«. Diese Zikaden sind ausgestorben. »Vor mehr als 3,5 Milliarden Jahren entwickelte sich das Leben auf der Erde, doch ›erst‹ vor sechs Millionen Jahren begann ganz allmählich die Entwicklung des Menschen«, berichtet Planet Wissen.
Das passierte alles durch zufällige Versuche und Erfahrung, durch das Überleben der Fittesten (Spencer nach Darwin 1838). Richtig. Doch glaubhaft? Glauben kann ich das nicht, schon weil ich mir keine Millionen vorstellen kann. Kann sich ein Sandkorn das Meer vorstellen? Ohne göttliche Fügung kann ich mir diese »Evolution« nicht denken. Sechs Beine, symmetrisch, und alles Weitere, das kommt doch nicht so durch Zufall! Ich baue mir da eine lenkende Kraft ein, eben den – wie auch immer gearteten – Gott, den Schöpfer. Vielleicht können Sie folgen.Noch etwas zu diesem Samstag im Auto. Ich wollt’s eigentlich nicht erzählen. »Münster und Osnabrück«, das ist ein historischer Ausdruck. Auch für mich. Aus einem Vorort von Osnabrück stammt meine erste Frau. Ich hatte in ihrem Elternhaus schöne (und auch wenige böse) Tage erlebt; so lange schon her, dass ich nur mehr an die schönen denke und an meine spaßigen Erfindungen dort.
Haus und Grundstück werden verkauft sein, dachte ich, ein Wohn- oder Büroklotz wird dort stehen, eine Anlage, nachdem gewiss alle Früheren schon gestorben sind. Aus Neugier fuhr ich trotzdem hin, sechzig Kilometer nordwärts von Münster.
Und ich fand das Haus, sich noch immer geheimnisvoll im Buchenwald duckend; und sogar die alte, älteste Schwester stand noch am Briefkasten, und Junge nebst ganz Jungen wohnen drin. Die Jungen waren da und sprachen mich – total überrascht – mit Namen an! Ein Klingeln, das mir viel Glück gebracht hat. Auch das schwang wohl in meiner Seele mit, rasend später durchs nächtlich-bergische Land. Mittenmang den Monotheisten mit ihren hintereinander fließenden Lichtern, plastik-rot und halogen-weiß im Regenregenregen …
Link hierher https://bit.ly/fj3oOXEqY
= https://blogabissl.blogspot.com/2021/10/gott-im-bergischen-land.html
Links zur Versteinerung
https://doi.org/10.1371/annotation/54a6126f-eed2-456e-ba80-5a1fd2d78e8e
https://www.wissenschaft.de/astronomie-physik/sex-unter-urzeit-insekten/
Ist es nicht Traurigkeit, so ist es Tristess, mit ’nem hellen i.
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