In dem kleinen Büchlein bei Klett-Cotta in der Reihe »Stuttgarter Zukunftsreden« beschreibt Daniel Kehlmann, wie er zusammen mit einem Computerprogramm versucht, kurze Texte zu schreiben. Daniel Kehlmann wurde durch seinen Roman »Die Vermessung der Welt« weltberühmt. Ich habe mich über das 63-seitige Büchlein (€ 12) zu Corona-Ostern II riesig gefreut. Für einmal blieb’s kein nur teilgelesenes Buch. Vielleicht, weil mich Algorithmen seit mehr als fünfzig Jahren begleiten und interessieren.
Da denke ich bezüglich künstlicher Intelligenz an Joseph Weizenbaums »Eliza« aus dem Jahr 1966, das damals Furore machte. Beim Dialog von Mensch und Maschine (eben mit Eliza), versuchte sich die Maschine mit Floskeln und Gegenfragen über Wasser zu halten. Man kann es inzwischen z.B. auf der österreichischen Site https://www.masswerk.at/elizabot/ ausprobieren, Muster (der YOU war ich):
Doch zurück zu Kehlmanns Bericht über seine Reise nach Kalifornien, um ein Programm »CTRL« von Bryan McCann auszuprobieren. McCann ist Mitbegründer und Chief Technology Officer der Suchmaschine You.com (mehr über ihn auf Linkedin). Das Programm schreibt aus der Erfahrung von Big Data und bemüht sich statistisch Nachfolgendes zu finden, den Text fortzusetzen. Anders als bei Eliza hier oben beginnt der Mensch. »Seed«, Saat, nennt man das, etwa bei der Berechnung von Wahrscheinlichkeitswerten, wenn sie nicht immer unweigerlich dieselbe Reihenfolge bringen sollen. Ich gestatte mir ein Beispiel Kehlmanns herauszugreifen. Ctrl kann nur Englisch richtig:
»I was looking for an apartment«, beginnt Kehlmann. Darauf Ctrl: »The first thing he said to me was, »Hey man, you have a nice ass and you’re not afraid of anything.« Das ist natürlich weit aus dem Zusammenhang, und scheint statistisch von Anzüglichkeiten überredet. Da ist selbst Eliza mit einer schlichten rhetorischen Nachfrage kreativer:
Doch zurück zum Buch, zu Anmerkungen. Kehlmann frönt freilich der modernen meinungsmachenden Schreibweise. Er ist ein Romancier, kein scharfdenkender Computerfreak, schreibt – für mich – nett und gelegentlich polemisch.· Seinem Ausflug in Bewusstseinserkenntnis würde ich nicht folgen. Jeder Hund hat Bewusstsein, aber nicht ganz unseres. Mit Bewusstsein haben weder Eliza noch Ctrl was zu tun.
· »Dass der Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung systhematisch zerstört wird« (Seite 19), ist platte Polemik. Es gibt jetzt halt CDs und Schallplatten, Festnetz- und Mobiltelefon, und massiv neue Jobs dadurch.
· Das Silicon Valley beherrscht bei Kehlmann die Welt, mit »Druck, Qual und Anstrengung« (Seite 20f). Er kann sich nicht vorstellen, dass sich Arbeit auch »mühelos und nebenbei erledigte«: Nebenbei nicht, aber gewiss mühelos. Ich habe – allerdings in den vergangenen Siebzigerjahren – selbst in Cupertino gearbeitet und viel Freude daran gehabt. Macht mir die Welt nicht mies! Polemik bis Kapitelende.
· Seite 29. Ein »Navigationsprogramm hat als Basis all die Menschen, die durch die Straßen fahren« und »Foto-Gesichtserkennung beruht auf Abermillionen Bildern, die wir mit unseren Telefonen machen und in die Cloud hochladen« ist falsch. Navigation beruht auf gespeicherten Landkarten und Gesichtserkennung an Biometrie. Alles andere ist technisches Gegrusele.
· Seite 50. Es geht um Evolution. »Die höhere Stufe muss sich nicht organisch aus der niederen entwickeln, sie kann auch von der niederen technisch, schöpferisch hervorgebracht werden.« – Versteh’ ich nicht. Die Evolution glaubhaft nur aus Darwin zu erklären, fällt mir angesichts der hochkomplexen Formen schon schwer.
· Seite 54. Da meint Kehlmann, er habe in Ctrl »eine nichtmenschliche Intelligenz wirklich kennen gelernt«. Finde ich nicht. Die findet er eher in seiner Katze, so er eine hat. Ich würde meinen Computer, mit und ohne Programme, nicht als »intelligent« bezeichnen, auch Google nicht oder eine Bankkarte. Da ist dann schon ein sanftschließender Klodeckel »intelligent«. Eine Seite später meint er, Ctrl könne ihm Informationen geben, und auch das stimmt nicht. Im Gegenteil! Die Wikipedia schon, aber ein »prädikatives« Programm gerade eben nicht; das phantasiert.
· Im Nachwort »erwarten viele Bürgerinnen und Bürger im besten Fall, dass die nahe Zukunft doch nicht so schlecht werden könne wie befürchtet«, Seite 60, denn »seit dem Ende der großen Fortschrittsutopien hat sich unser Bild der Zukunft eingetrübt«. Auf solche Sprüche haben wir noch gewartet … nichts für ungut.
Link hierher http://j.mp/fj2OmNspN
= https://blogabissl.blogspot.com/2021/04/mein-algorithmus-und-ich.html
Andere Rezension: https://netzpolitik.org/2021/mein-algorithmus-und-ich-kehlmanns-reise-zu-den-technologiegoettern/
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