Dass der Staat macht, was er
für richtig hält, daran habe ich mich ein Leben lang gewöhnt.
Jetzt, im Februar 2021, sind die Geschäfte seit
Monaten geschlossen; einige nicht, nach jeweils bestem hoheitlichem »Dünken«. Man
darf eine Person aus einem anderen Haushalt treffen, aber immer
nur höchstens eine, selbst, wenn’s Mann und Mann sind. Geredet wird über alles
und jedes, und die reden, die haben meist Festgehalt, Rente oder Pension (wie ich) und sind Politiker, die das bleiben wollen.
Aber was soll ich schon schimpfen? Das
ginge ins Unendliche, brächte nichts.
Zur Story. Frisch zurück aus dem Krankenhaus
wegen schwerem Nasenbluten[1] wollte
ich endlich regelmäßig meinen Blutdruck notieren. Wir leben in der Innenstadt,
da bin ich es gewohnt, zu holen, was wir so brauchen. In diesem Fall sollte es ein
Vokabelheft sein. (Die haben wir in den Zeiten vor Google-Translate
zum Lernen fremder Wörter verwendet. In der Mitte hatten
sie eine vorgedruckte Trennlinie, rötlich vielleicht, oder man hat als
Akademiker das Heft einmal mittig gefalzt. Und lernen heißt, etwas zu wissen,
was man früher nicht wusste.) Kurzum, ich war auf der Suche nach so einem
Vokabelheft. Die gibt’s normalerweise im Schreibwarenladen.
Doch einen richtigen Schreibwarenladen hat
die Bonner »City« schon länger nicht mehr[2]. Im »systemrelevanten
Supermarkt« für Lebensmittel (Rewe am Friedensplatz; ich gehe fast täglich dort
Milch einkaufen), da gibt’s am Rand des Shopping-Labyrinths eine kurze
Regallänge mit Schulbedarf, also auch Schulhefte.
Doch trotz geschlossener
Schulen sind die Regale eher leer. Vor allem: Vokabelhefte gibt’s gar
nicht. Dito nebenan in der Drogerie (DM). Wozu auch? Man tippt mit zwei Fingern
ins Handy oder am Laptop. Für Notizen hat’s eine App. Helfen tut notfalls Mr.
Siri. Und einen Stift braucht man höchstens für den Einkaufszettel – ein
Zettel, kein Heft. Ich habe mir schon Bleistiftstummel für die Hosentasche
gesägt, mit schönen neumodischen Gummikappen zum Schutz und zum Radieren[3]. …
Kafka schrieb 1915 in Quarthefte, Größe meist 24,6×19,9–20,2 cm Quelle https://lustauflesen.de/kafka-process-handschrift/ |
Wird das Abendland untergehen, wenn niemand mehr Vokabeln lernt? Wenn einem ein Chip im Ohr die Wörter flüstert und gleich die Übersetzung dazu? Wenn dann wirklich gar niemand mehr weiß, was ein Quartheft ist, heimatlich ein Quartheftl? Ich dachte beim Vokabelheft daran, aber wusste die genaue Größe nicht mehr, fand nur die Bezeichnung schön antiquiert, wie vielleicht MMXXI. Die Wikipedia eiert beim Quartheft herum, hochtheoretisch und hochgestochen[4], wie oft: »Der Artikel „Quartheft“ existiert in der deutschsprachigen Wikipedia nicht«. Dabei hat Kafka Quarthefte benutzt[5], und über Lumumba gibt’s eins[6]. Google findet noch knapp zwanzigtausend! In Deutschland sind Quarthefte »Format S.2«, 240×195 mm groß. Das ist größer als A4 (297×210) – definitiv zu groß für Vokabeln. Ich hatte mich getäuscht und bitte um Vergebung für den Umweg.
Latein-Auxilium, Preis auf
Anfrage. |
Doch weiter. Auf meinem Weg zum Brötchenholen, am ordinär-»tankstellenbeflaggten« Geburtshaus Beethovens vorbei, sah ich einen Anschlag. Da wollte wer in dieser vermaledeiten Corona-Sperrzeit (genannt Lock-Down, als hätt’s was Lockendes) Lateinnachhilfestunden geben. Super! Auch Klavier? Duper! Damit war mein Glaube an die Kultur wieder um 3 dB gestiegen, aufs Doppelte.
Nun suchte ich doch wieder ein Vokabelheft
in dieser virtuellen Wüste verrinnender Gedanken.
Juhu! Es gibt sie, diese blauen
akkulosen Einmal-Festspeicher, stromlos (selbst gedankenlos) beschreibbar, ein
Taschen-Plug-in! Bei Rossmann, bittesehr:
»Nummer 51, A6-Schulheft«[7],
oben im Bild, weiß liniiert. Hintendrauf ermutigende Zukunftszusprüche, nicht
für Vokabeln, sondern Recycling
for future und dazu den Blauen Engel, der das Vokabellernen
segnet wie einst ein Rosenkranz ums Handgelenk.
Das niedliche Eichkätzchen
blieb unerwähnt, das hat sowieso Wikipedia-Einträge[8].
— für Martin —
Anhang:
Permalink http://j.mp/fj2Z40tGq
= https://blogabissl.blogspot.com/2021/02/das-vokabelheft-kafka-corona-und-der.html
• Ein Vokabelheft ist DIN A6, Seitengröße 105 × 148 mm,
Postkartengröße, zu groß für die meisten Hemdtaschen, aber gerade richtig für
männliche Rocktaschen (in »Sakkos«).
• George Orwell (source http://j.mp/fj2LFnNY4 ) …
[1] Ich nehm’ mal den Dativ.
Berichtet wird von einer persistierenden
Epistaxis als floride Blutung.
[2] Carthaus (»seit 1852«) war das letzte Schreibwarengeschäft. https://www.carthaus.de/verlag__trashed-2/chronik/
[3] https://blogabissl.blogspot.com/2020/10/bleistiftspitzen.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:Suche?search=quartheft
[5] · https://taz.de/Diese-Tagebuecher-legen-Feuer-dran/!1147707/
»… zweifelllos bin ich jetzt im Geistigen der Mittelpunkt
von Prag« – Meist als »Oxforder Quarthefte«
bezeichnet, spätere, ab 5: »Oktavhefte«.
· Kafkas »Process« in Quartheften: https://www.deutschlandfunk.de/franz-kafka-das-schreiben-ist-der-prozess.691.de.html?dram:article_id=267836
· https://lustauflesen.de/kafka-process-handschrift/
mit weiteren Hinweisen. Danke für die Größe!
[6] Aimé Césaire, Im Kongo:
Ein Stück über Patrice Lumumba https://books.google.de/books/about/Im_Kongo.html?id=CE4_AAAAIAAJ&redir_esc=y
[7] Im Original natürlich
wieder einmal ohne Bindestrich …
https://www.rossmann.de/de/haushalt/buerobedarf-und-schreibwaren/papier/hefte/c/olcat4_5563516
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Cat_Content
. Die Google-Bildersuche identifizierte das Eichkatzl richtig als Sciurus vulgaris,
Eurasisches Eichhörnchen, https://de.wikipedia.org/wiki/Eurasisches_Eichh%C3%B6rnchen
.
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Parte
[10] https://blogabissl.blogspot.com/2021/02/err-cuf.html
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