28. April 2017

Brittings Guter Tod

Noch’n Gedicht, ein altes, ein nachdenkliches. Ein älterer Mann macht sich Gedanken über Gedanken, und Georg Britting, der ist schon über fünfzig Jahre tot, sehen Sie mal hier: http://www.britting.de/indexvorschlag.htm. Älter wird er nicht. Dafür weiß er jetzt, was er da erfragte:

Der gute Tod

Da endlich findest du die Tür! Tritt ein!
Es glänzt so hell. Was mag dich jetzt erwarten?
Es blieb der Freund zurück, die Frau, der Wein.
Vor dir ein Haus in einem schönen Garten.


Ob du sie wiedersiehst, die Frau, den Wein
Im Krug, die Freunde, die sich um dich scharten
Beim Mahle, oder musst du ganz allein
Mit ihm sein, dem das Haus gehört, der Garten?


Vielleicht, wenn du sehr schmiegsam bist, und klug,
Wird er, der Hausherr, freundlich dir erlauben,
Dass du, der Gast, noch selber Gäste hast.


Er holt den Freund herbei, die Frau, den Krug
Mit Wein gefüllt, und unter grünen Lauben
Wird es so sein, als wäre er der Gast.


Gut sterben, wollen wir das nicht alle? Damit aber hat Brittings Gedicht nichts zu tun. ’s ist nicht von dieser Welt, es geht Britting um das Jenseits. »Der gute Tod« ist da Gevatter, wie man sagte, einst, ein guter Mann, der ruft: »komm!« Nicht: »geh!« 
   Dietrich Bode schreibt über Brittings »Begegnung« (so heißt der Band) mit dem Tod, aus düsteren Tagen am Ende des Zweiten Weltkriegs und danach, hier auf Seite 79. Und da wundert man sich, dass Britting, geboren 1891, also fünfzig- bis sechzigjährig damals, dem Tod noch was »Gutes« gibt. 
   »Der Himmel ist der Ort aller Menschen eins«, so dachte ich mir’s früher. Jetzt denke ich weniger, nehme ihn – einstweilen noch – gelassener. »Wer weiß?«, sag’ ich mir, so oder so soll’s mir recht sein, »abwarten, Tee trinken«. Ich finde überhaupt: Wir denken zu wenig (meinen immer gleich, ohne nachzudenken), dafür denken wir aber zu wenig weit. Wir sagen zu selten: »Das weiß ich nicht«, oder »noch nicht«.
   Britting war ein geselliger Mensch. Am Ende als Gastgeber Gast. Ein Krug Wein. Da braucht keiner aufzuspringen, um die nächste Flasche zu holen. Das ist’s: ein Krug.
   Wir werden ja sehen. Oder nicht?

Links:
http://blogabissl.blogspot.de/2016/11/internet-im-himmel-im-himmel-musik.html

Link hierher:
http://blogabissl.blogspot.com/2017/04/brittings-guter-tod.html




Weitere Britting-Gedichte:
http://blogabissl.blogspot.com/2017/04/brittings-kleine-welt-in-bayern.html 
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http://blogabissl.blogspot.com/2013/11/georg-britting-lekture.html 
Britting 1936 – http://blogabissl.blogspot.com/2016/03/die-dichter-des-krieges_12.html

Schon gibt’s Kommentar. Mein guter, alter Freund sieht’s ganz anders. ’s ist ja auch bloß eine »Interpretation«. Und da pfeift ein jeder ein Lied anders – oder leicht daneben.
   Nicht das Jenseits hätte Britting gemeint, im Gegenteil: Er hätte den Tod eingeladen zu sich, in seine Laube. Ich ironisiere (und hoffe meinen stets schön streibaren Freund nicht weiter aufzuregen): »Kommen’S doch herein, Herr Tod! A Glasl Wein? Auf der Verandah?« oder leise gepfiffen: »Komm in meine Liebeslaube … «

»Da endlich findest du die Tür … « – Wer ist dieser Du? Der Tod aus der Überschrift oder der Leser, oder gar der Schreiber, der im Dunkeln den Ausgang findet? Endlich. Die letzte Tür. Glänzt es hell dahinter, oder davor? 
   Wenn’s heißt: »Es blieb der Freund zurück, etc.«, dann befinden wir uns schon im Jenseits, mein’ ich. Haus und Garten sind von Wüstenrot, ganz neu, Hausherr der Herr. Die Schlüsselübergabe steht an. (Britting hatte, nebenbei, entsetzlich beengt gewohnt.) Und noch ist die Bude leer, was mich an die Geschichte erinnert: 
   Pfarrer und Rabbi hatten eine unruhige Nacht im Schlafwagen. Erzählt der Pfarrer: »Mir hat’s geträumt vom christlichen Himmel: Frühling, Wiesen, Sonne, Umweltschutz. Dagegen bei den Juden: laut, voll, schmutzig usw.« – Sagt der Rabbi: »Auch ich hab’ geträumt, von Ihrem Himmel sogar, Hochwürden: So schön, still, so friedlich – aber kein Mensch!«
   Egal. Muss man den Dichter verstehen in seinem Gedicht? Den Künstler in dem was er dachte? Bach oder Beethoven? Interpretation ist Bewegung, ist mehr als eindeutig, mehr als ein »Ich denke«. Jeder sieht’s anders; gelegentlich auch nicht.

Übrigens: Auf der Britting-De-Site kommt »Tod« 395-mal vor. Heute haben wir Palliativmedizin, »die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten (voranschreitenden), weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen höchste Priorität besitzt«. – Ich bin den Tod langsam leid!

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