1. Februar 2017

Ismen

Da hab’ ich eine Frage für mich: 
   Ist Nationalismus gut oder schlecht?
Wobei das nur ein Einzelfall ist. Denn die Wörter ändern sich in ihrer Konnotation – also wie man sie »nimmt« –, und es ändern sich die Meinungen über die Sache – ob man sie gut oder schecht findet.
   Beispiel für eine Konnotationsänderung: »Bescheidenheit«, früher eine Tugend, heute abfällig dumm.
   Beispiel für eine Meinungsänderung: Selbstmord, früher verurteilt, heute anerkannt und strafrechtlich erlaubt. Kirchlich weiterhin nicht: Man denke nur an Begräbnissitten. Wikipedia leitet sofort auf das politisch korrektere Wort Suizid weiter. 
   Oder Homosexualität, und viele andere Begriffe, Eigenschaften und Einstellungen. 
   So ist der Lauf der Welt … tempora mutantur

Das Thema Ismus greift sogar die Wikipedia auf, samt Konnotationswandel, hier.  

Nun aber zum Nationalismus. Auch den bringt die Wikipedia, dröselt ihn in fünf »Ausprägungen« auf, und beurteilt dann die.  
 Endspiel Deutschland gegen Argentinien am Sonntag, 13. Juli 2014, 21 Uhr. Foto  Wikipedia.
So richtig hoffähig, »politisch korrekt« ist speziell deutscher Nationalismus erst 2014 bei dieser Fußballweltmeisterschaft geworden. Sehen Sie sich das noch einmal hier an. Spulen Sie ruhig zum Stand von 0:0 zurück und bleiben Sie mir weg … »Ist Fußball Opium für das Volk?«, ist schon gefragt worden, sogar von der NZZ.

»Seine Exzellenz BENITO MUSSOLINI,
Regierungschef, Duce des Faschismus’ und
Gründer des Reichs, liebt sehr die Balilla,
die ›Kleinen Italienerinnen‹
und die ›kleinen Eritreer‹.
Ich werde ein besonders guter Soldat sein
für die Größe Italiens!
Ich springe zurück in die Zeit des Dritten Reiches (das politisch korrekt nur mehr mit Anführungszeichen geschrieben werden darf). Damals wurde der deutsche Nationalismus so sehr gefördert, dass er heute einfach dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wird. Viele Nationen zogen 1936 ins Berliner Olympia­sta­dium mit dem »Hitlergruß« ein, so Grie­chen­land, »natürlich« Österreich, Italien mit dem gleich aussehenden »Römischen Gruß«, und bei den Franzosen streitet man sich heute noch, ob es der »olympische« oder der »deutsche» Gruß war.
   Da mag jeder seine Meinung haben – eine allgemeine Beurteilung des deutschen oder gar des österreichischen Nationalismus’ könnte ich als alter Doppelbürger nicht geben.

»Die Umſiedlungen des Führers«, gezeichnet von »Erik«, 14. Februar 1941
Volksdeutsches Kameradschaftsopfer der deutschen Jugend
Volksbund für das Deutschtum im Ausland
Man glaube übrigens nicht, dass der offizielle deutsche Nationalismus 1941 für das »Reich« das heute immer noch mehrheitlich deutsche Südtirol mit vorgesehen hätte. Das sollte für seinen Freund Mussolini ethnisch gesäubert werden, siehe »Option«.

Was macht eine »Nation« aus? So richtig kann das keiner sagen. Vielleicht ist das auch nicht so wichtig.
   Was aber hält eine Gemeinschaft zusammen? Sicher nicht eine »Schengen-Grenze«. Dieses »Europa« gewiss auch nicht, das sich anmaßt, eine geographische Bezeichung oder eine Währung nach Gusto quasi-supranational zu interpretieren. Sind Briten Europäer? Und bald nicht mehr? 
   Eine genaue geographische Verortung sagt’s auch nicht. Ob­wohl: Schweizer sind Schweizer und oder Aus­lands­schwei­zer und so weiter. Im Ausland zeigt’s der Pass, in der Schweiz fast auch; doch was ist mit  Leuten, die schon lang dort leben? Schweizer wird man nie, ohne Schweizer zu werden
   Unsere Gemeinschaften (à la EWG, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die noch funktionierte) werden zu groß, um als Nation zu taugen. Deshalb heißen sie auch bloß »Organisation« oder »Union« wie Nato oder EU und kürzen sich ab vom Nationalismus. 
   Selbst Gemeinschaften mit dem Slogan »Wir sind das Volk« sind wech­sel­haft und überall andere. Was verbindet sie? Eine So­li­dar­ge­mein­schaft, und das ist schon etwas. Ist die Gemeinschaft zu groß, zu multikulti, zu heterogen, wird sie nicht empfunden, funktioniert im Notfall auch nicht. Die Empathie ist weg, das Mitgefühl. Funktioniert haben noch die kleinen Aus­wan­der­ge­mein­schaf­ten am Anfang des 18. Jahrhunderts; lesen Sie über »die Deutschen in der Kaukasusregion«.

Schreiben müsste ich noch über Heimatliebe, Sprache, Religion, Geschichte als Bindung. 

• Über die langwierige Entwicklung des Nationalismus’ in und für Österreich schreibt die Wikipedia unter dem Oberbegriff »Österreichische Identität« und zitiert dessen großdeutsche Verfassung nach dem Ersten Weltkrieg: »Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.«
   Was mich natürlich zur Frage verleitet, ob ich inzwischen als österreichischer und deutscher Staatsbürger nun »binational« bin? Weil ich dabei recht bayrisch spreche, halte ich den Stolz, Österreicher zu sein, ähnlich hoch wie die Bayern ihre »Nationalität« oder das Bewusstsein, (sprachlich) aus Süddeutschland zu kommen. Wenn Umfragen Österreich ein hohes Nationalgefühl attestieren, so hat das mit klassischem Nationalismus nichts zu tun. NRW (für Fremde: Das ist das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen, in dem ich lebe) ist doppelt so groß wie Österreich, und hat nicht einmal einen Namen für NRWler und -innen, siehe meine Glosse »Ich bin ein Schengener« und »Was ist deutsch?«. Außerdem bin ich ein »Migrant ohne eingene Migrationserfahrung«, weil ich die Flucht aus Brünn nicht in Erinnerung habe: »Heimatvertriebener«, »Ostflüchtling«.

• »Nationalismus kann jederzeit in Militarismus umschlagen«, meint der Philosoph Heiner Mühlmann am 15.12.16 in der NZZ. Doch in den Kommentaren sind seine Pointierungen umstritten. So erwidert Hans-Werner Sinn: » … ich hätte gesagt, Österreich solle aus der EU austreten. Diese Behauptung ist unwahr. … «

Permalink hierher:
http://blogabissl.blogspot.com/2017/02/ismen.html 

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