25. Oktober 2012
Das Prefect-System
Erschienen als »Das perfect-system« in der Schülerzeitschrift »Auspuff«
des Staatlichen Landschulheims Marquartstein im März 1959, Seite 10f
unter dem Kürzel fj
Es ist unmöglich, dem Leser eines Artikels nach wenigen Zeilen ein einigermaßen richtiges Bild einer englischen Schule zu geben, da die englische Schule – besonders aber die Heimschule – auf anderen Voraussetzungen fußt als die deutsche. Blickt man aber auf Einzelheiten, so sind dem Ausländer wohl am ehesten das Prefect-System und die Prügelstrafe bekannt.
Während meines Aufenthalts im Bradfield College war ich nur in einer Altersstufe eingereiht, aber ich will versuchen, hier den Aufstieg des etwa 13jährigen Neulings (Fag) zum universitätsreifen Senior Boy zu zeigen. Der Fag hat noch wenig Annehmlichkeiten in diesem System, das jedem seiner Altersstufe nach verschiedene Rechte und Pflichten gibt. Er wohnt in dem großen Houseroom, den er nur zum Teil betreten darf, muss auskehren, den Präfekten die Schuhe putzen und die Zimmer in Ordnung halten, muss sekundengenau läuten (oder, falls keine Glocke im Haus ist, langgezogen Bell schreien) und die Zeit bis zur Arbeitsstunde count-down-artig angeben. Außerdem ist er natürlich dem Präfekten unterstellt. Der Fag schläft in großen Schlafsälen, die wie alle Schlafräume tagsüber nicht betreten werden dürfen. Seine Bücher, Hefte, Konserven, Spirituskocher und ähnliches, notwendiges Kleinzeug hat er in einem Wandschränkchen im Houseroom ordentlich eingestapelt, denn für Unordnung wäre kein Platz.
Die nächste höhere Stufe ist der Senior Boy, der nun als äußeres Zeichen seine Anzugsjacke offen lässt und ständig mit den Händen in den Hosentaschen herumläuft. Er lebt eigentlich von den Fags getrennt, so wie man ja stets bestrebt ist, die Altersstufen auseinanderzuhalten. Die vielfältigen Pflichten des Fags fallen bei ihm zum großen Teil fort, er muss zwar noch servieren und den Tisch abräumen, aber er bekommt – je nach den Möglichkeiten des Hauses – ein Doppel- oder Einzelzimmer zum Schlafen und eine Study zum Wohnen, ist also möglicherweise schon aus dem Houseroom heraus. Der normale Senior Boy kommt wohl dem Marquartsteiner Schüler am nächsten, nur muss er immer noch schwarze Schuhe und weiße Kragen (nicht aber [weiße] Hemden) tragen.
Das Ziel des Seniors ist es, ein Prefect zu werden. Damit ist er aus den anderen herausgehoben, darf braune Schuhe und farbige Kragen tragen, den Talar (Gown) über die Schulter werfen, man reicht ihm das Essen schneller, er serviert nicht mehr und darf auch bestimmte Gänge und Grundstücke betreten. Er hat noch viele andere Vorteile, da die meisten Räume in normale und Präfekten-Abteilungen geteilt sind. Aber dafür muss er die anderen überwachen und erziehen, was sich äußerlich in den Appellen u. a. zeigt. In den obersten »Klassen« sind wohl die meisten solche Präfekten, obwohl das schwer festzustellen ist, denn es gibt »Klassen« in unserem Sinne weder in der Schule noch (räumlich) im Heim. Der oberste Prefect eines Hauses ist der House Prefect, die obersten Präfekten überhaupt die School Prefects (weiße Krawatten), aus denen wieder der Head Boy herausragt.
Ich glaube, dass das Prefect-System neben seinem Grund im zu oft zitierten englischen Charakter, wohl im praktischen Erziehermangel fußt. Es bildet den Schüler zur verantwortungstragenden Persönlichkeit aus, zeigt ihm die Macht und seine Grenzen.
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1959 war ich 17 und in der 7. Gymnasialklasse (heute: »11. Klasse«)
Alte Klassenlisten, generell meine Altmarquartsteinerthemen
Erinnerungen an Bradfield (englisch) hier im Blog:
http://blogabissl.blogspot.de/2012/11/bradfield-college-remincences.html
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