27. November 2010

Antithese: Jesus liebt mich – nicht!

Antithese
Jesus liebt mich – nicht!
– Meist bin ich dieses Gerede einfach leid über den Jesus, der uns immer und überall liebt als sei er der Heilige Geist, der uns umschwebt. Jesus, dein Freund, Jesus dein Retter in der Not, immer bei dir. Auf ihn kannst du dich verlassen. Wie auf ein gut geladenes Handy. Jedenfalls wird das gelehrt, unseren Kindern in der Schule und uns allen von der Kanzel, sofern wir noch in die Kirche gehen. Die alten Drohungen mit Hölle und Fegefeuer, die waren einfach unmenschlich, vorvatikanisch, wobei das letzte Vaticanum Anfang der Sechzigerjahre wieder einmal für gefällige Deutungen herhalten muss1). Der Gott der Christen wird zu einem Armleuchter, auf dem möglichst viele Lichtlein brennen, auf dass es einem warm werde ums Herz und man glücklich lebe auf Erden. Früher muss es fürchterlich gewesen sein als Christ, lauter Vorschriften, die die persönliche Freiheit einschränken, von der vorgeschriebenen Messe am Sonntag zur besten Skilaufzeit bis zur unnatürlichen Enthaltsamkeit gerade in Phasen vorehelichen Sturm und Dranges – beides Kategorie »schwere Sünde«. Nach Jahrhunderten Hadern mit Gott ist nun eine freie Zeit ausgebrochen, in der der Herr nur leuchtet und liebt. Komisch, dass ihm trotzdem alle weglaufen. Es muss der langjährige Friede sein, der weit entfernte Krieg (wir verteidigen unsere Freiheit bekanntlich am Hindukusch), der uns diese süße Götterspeise eingebrockt hat. – Doch genug polemisiert.
   Was dem modernen Christen passiert, wenn ihn einmal Christus nicht so sehr liebt und zum Beispiel schwer erkranken lässt, oder ihn seine Freundin verlässt, was dann, das mag ich mir gar nicht ausmalen. Eine fromme Dame berichtete mir jüngst, ihre Mutter sei da einfach »vom Glauben abgefallen«.  
   Also habe ich mich gefragt: Liebt dich Jesus? Dass wir einander lieben sollen wie uns selbst, das ist bekannt, das hat Jesus oft genug gesagt. Aber hat er wo gesagt: Ich liebe euch? Wo soll das denn stehen in der Bibel? Die bekannteste Stelle ist die im dritten Kapitel des Johannesevangeliums auf eine Frage des Pharisäers Nikodemus: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.« Ich zitiere das (schwer verständliche) Kapitel bis zum Ende, damit es nicht heißt, ich hätte da etwas aus dem Zusammenhang gerissen: »Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse. Wer Arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, auf dass seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.«  
   Heißt das jetzt, dass Gott, dass Christus mich liebt? Er bietet mir die Erlösung im Jenseits, er lässt mir die Erbsünde nach und meine eigenen Sünden, wenn ich sie ordentlich beichte und die Absolution bekomme, aber das macht ihn noch lange nicht zu einem Kuschelgott, zu einem schlechten Vater, der dem Sohn alles durchgeben lässt. Wenn Jesus Bartimäus wunderbar von seiner Blindheit heilt, dann um uns zu zeigen, wie stark Glaube helfen kann – aber eben nur kann, nicht muss. Wie enttäuscht waren die Jünger, als Jesus nicht rechtzeitig als König der Juden vom Kreuz heruntergestiegen ist, zur heimlichen Zufriedenheit seiner Peiniger, bewies ihnen das doch, dass er Gotteslästerer war und nicht Gott.  
   Ich will das zentrale, das ungeheuer große Opfer von Gottvater und das Leiden Christi ganz gewiss nicht kleinreden, will die Liebe sehen, die uns erlöst vom Bösen – das aber ist kein Automatismus, kein Naturheilmittel, kein Schema F, kein »Gott liebt alle«. Das ist Verpflichtung. Im Glaubensbekenntnis heißt es: »Ich glaube an Gott, den Vater« und nicht »den lieben Vater«, »Und an Jesus Christus, … er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort (vormals: dannen) wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.«  
   Nun, vielleicht bin ich heute zu alt oder war schon früher, zu meiner Schulzeit, zu früh geboren, um nicht auch an das Jüngste Gericht zu denken, nicht bloß an die Lichtlein.  
   Ich hab’ dazu einen Theologen befragt: »Worin äußert sich Gottes Liebe?«, antwortet er mir, »Er sendet seinen Sohn. Was sagt dieser Sohn über die Liebe? ›An der Liebe werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.‹ (Johannes 13,35) und: ›Es gibt keine größere Liebe, als wenn jemand sein Leben für seine Freunde hingibt.‹ (Johannes 15,13).« – Nun gut, das ist gewiss keine Händchenhalt-Liebe, das ist Liebe für etwas Bestimmtes, für die Erlösung. Es geht da nicht um Irdisches. Richtig fährt mein Freund fort: »Einseitige Theologie bringt nicht nur die Lehre in Schieflage, sondern es entstehen falsche Handlungsanweisungen; und selbst wenn nicht: Es entsteht ein schräges Gottesbild, was so oder so seine fatalen Wirkungen zeigen wird: Entweder wird nur ›die Liebe‹ gepredigt und der ›Ernst der Lage‹ nicht mehr erkannt. Das suggeriert eine falsche Sicherheit. – Oder es wird nur ›das Gericht‹ gepredigt und die gute Botschaft der Rettung durch die Vergebung der Sünden unterschlagen; Verzweiflung grassiert.« … »Ein Verschweigen der Hölle macht gar nichts besser – ganz im Gegenteil. … Ein Schweigen hüllt die Gläubigen in falsche Sicherheit und redet ihnen ein, dass sowieso jeder selig wird (und wenn nicht, dann doch nach der Läuterung im Fegefeuer; da zeigt sich übrigens gleich eine negative Konsequenz des Fegefeuers: Wir heben uns die Sünden bzw. die Buße für das Jenseits auf und verfallen dem Wahn, dass dann noch dort dieses und jenes in Ordnung kommen kann. – Ganz abgesehen davon: Das Fegefeuer ist nichts originär Christliches.)« – Und ich füge dazu: Das Fegefeuer, so es denn ein solches Hilfsmittel gibt, wird ganz gewiss kein Honigschlecken.

Christusbild: gemeinfrei aus der Kathpedia, ohne Autorenangabe. Fegefeuer: Darstellung in St. Egid (Klagenfurt am Wörthersee), Wikipedia sei Dank.

1) Man mache sich die Mühe und lese den Abschlussbericht des Vaticanums »Gaudium et Spes«, ein meiner Meinung nach deutlich mehr von seiner Zeit als von ewigen Glaubensweisheiten geprägtes Dokument.

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Weitere religiöse Themen bei mir:
• Soft-Gott im Welness-Himmel http://blogabissl.blogspot.com/2008/04/soft-gott-wellness-himmel.html
• »Es ist würdig und recht, billig und heilsam, …« www.Joern.De/billigundheilsam.htm
• »Zum Altare Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.« www.Joern.De/zuGott.htm
• Vorweihnachtlicher Friede http://blogabissl.blogspot.com/2007/12/kalb-und-lwe-weiden-zusammen-ein.html
• Beten ohne Glaube? http://blogabissl.blogspot.com/2007/10/beten-fr-unglubige-gestern-am-sonntag.html
• Gottesglauben, Frauen und Geld (polemisch) http://blogabissl.blogspot.com/2009/09/gottesglauben-frauen-geld-und-etwas.html
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• »Der gute Mensch von Saratow«, über Bischof Clemens Pickel http://blogabissl.blogspot.com/2009/02/der-gute-mann-von-saratow-so-hie-wohl.html
• Das »Vaterunser-Übel« ist die Politik, pessimistisch-polemisch http://blogabissl.blogspot.com/2009/02/sondern-erlose-uns-von-dem-ubel.html
• Zölibat http://blogabissl.blogspot.com/2010/02/ein-eher-zufallig-zustandegekommener.html
• pro multis http://blogabissl.blogspot.com/2009/03/pro-multis-fur-viele-so-stand-das-fast.html

1 Kommentar:

Fre,erey hat gesagt…

Tja, Fritz;

Es ist schon die Frage, ob der moralische Zeigefinger mit amtlicher Drohkulisse namens "Hölle" im Jenseits tatsächlich zu mehr Wohlverhalten führt als die Hölle auf Erden, die sich zum Beispiel Frankreich und Deutschland mit ihrer Erbfeindschaft geliefert haben.

Die Leute waren irgendwann vom Krieg satt, ja übersatt, sodass sie Adenauer und De Gaulle und später Kohl und Mitterand stellvertretend als Fridenschließer akzeptiert haben.

An die Hölle auf Erden muss man nicht groß glauben, für die braucht man bloß den Fernseher einzuschalten.

Die Liebe, die Vergebung und die Versöhnung, die jede für sich ungewöhnlich sind, nicht alltäglich sind die Komponenten des glaubens an die tatsächlich häufiger erinnert werden sollte.

Ohne süßlich zu werden, da gebe ich Dir Recht.

Liebe, Vergebung und Versöhnung sind harte Arbeit, das gibt es nicht umsonst.

Wer sind daran besäuft, dem ist halt nicht zu helfen.

Herzlich

Frank