Soft-Gott, Wellness-Himmel. Reden wir über Kirche. Weil es Sonntag ist. Ich erlebe ein Wochenende voller Ereignisse, voller modernem Leben, spiritual High-Life sozusagen. Verwandte kommen zur Konfirmation von Schwägerin Ann-Kristin, Tochter Carlas Schule feiert ihr 150-jähriges Bestehen und weiht einen Nachmittags-Spielplatz ein, man trifft Kinder, Eltern und Lehrer. ›Man‹ geht zum Auftakt sogar in die Kirche – ich komme noch drauf.
Schon am Freitag nach der OGS (›Offene Ganztagsschule‹, euphemistisch für Nachmittagsbetreuung) hatte ich mich mit Carla und einer ihrer Freundinnen zur Begrüßung der Ehemaligen in der Kreuzkirche frech dazugesetzt, und so ein überraschendes, wunderschönes kleines Konzert erlebt, Hausmusik, siehe http://picasaweb.google.de/Fritz.Joern/Schulkonzert150Jahre.
Am Samstag sollte dann um halb elf das eigentliche schulische 150-Jahr-Fest mit einem ökumenischen Gottesdienst ebendort auftakten. Bloß: Es kam fast keiner! Da saßen in der großen Bonner Kreuzkirche vielleicht siebzig, achtzig Leute, und das von einer Schule mit 215 Kindern. Das Lehrerkollegium war mit vier Lehrerinnen und dem Chef vertreten. Selbst die kirchlichen Ereignisträger waren eher absent. Glücklicherwiese hat unser Schulleiter einen emeritierten Bischof zum Vater, der kam und ordinierte mit, gab eine schöne Predigt samt klassischen Zitaten. Der protestantische Pfarrer, Hausherr, leitete die Sache. Katholischerseits war eine schlicht weißgewandete Priesterin gekommen – ich nenne sie einmal so, gewiss war sie etwas anderes. Sie überbrachte Grußworte – von wem eigentlich? Katholische Familienseelsorge gibt es in der Bonner Innenstadt nicht mehr.
Am Nachmittag dann weitere Festreden in der zugehörigen Sporthalle. Alles recht erbaulich, musikalisch, aufgeräumt in Stimmung und mit Ballons. Lernen kann man nur mit Freude, die Montessori-Pädagogik soll ausgebaut werden, Erfolg spielerisch. Die abschließende Spielplatzeinweihung war ein fröhliches, kindliches Durchschneiden eines Bandes bei Freisekt und wunderschön aufsteigenden Luftballons. Eine Einweihung, wie man das als Alter kennt, war es nicht. Von der ganzen ›Weihe‹ ist nur der Begriff übrig geblieben.
Und es gab noch mehr Schönes, eine kindliche Vorführung früherer Schulzeiten, eine reichhaltige Tombola, gute Gespräche und dazu eine Ausstellung alter Erinnerungen und Utensilien. Hier ein Muster aus einer Klassenarbeit vom 1. 12. 1910: »Die Bedeutung des Pfarrers für den Gang der Handlung in Hermann und Dorothea«. Fleiß, Fleiß, Fleiß! Doch zurück zum Heute.
Wir leben in einer weltlichen Welt. Für mich ist das – so verkehrt es einem Heutigen erscheinen mag – eine verkehrte Welt, eine irreale Welt. Die Menschen werden doch von ihrem Inneren bewegt, nicht von Autos, nicht von Geld, nicht ›wirklich‹. Und in ihrem Inneren ist Gott, oder eben nicht. Zu dieser inneren Irrealität durch den Verlust von Gott kommt außen der Realitätsverlust bezogen auf eine gewandelten Welt. Da machen wir es uns zu bequem. Selbst die Kirche verlangt nichts mehr von uns. Gott ist ja so lieb und nett, er hört uns, tröstet uns, ist immer dabei, umgibt uns mit himmlischer Wellness, der Softy. Man bräuchte nur einmal das Glaubensbekenntnis zu sprechen und innezuhalten beim Gott, der »kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten.« »Von dannen er kommen wird« – ich habs noch so in Erinnerung. Das Leben ist ein ernste Sache. Sie wird beurteilt. Moral ist nicht optimales Durchwursteln, Nettsein, bloßer Kantscher Imperativ. Hier auf Erden ist Moral unsere einzige Hoffnung gegen das Chaos (und nicht nur bessere Flughafenscanner und biometrische Pässe), in der kommenden Welt ist Moral der Unterschied zwischen Himmel und Hölle – oder was glauben wir denn?
Ich mag es nicht, dieses Larifari-Christentum, das mühsam alte Formhülsen aufrechterhält, soft bis zur Verlogenheit. Es verlangt nichts von den Menschen. Die Folge: Die Menschen bleiben einfach weg. (Da sollten wir uns ein Beispiel an den Koranschulen nehmen …)
Genug. Zorn verengt nur den Blick. Ann-Kristins Konfirmation heute war schön, war feierlich, fast tausend Leute in der Kirche am Kottenforst, 26 Konfirmanden bei dieser zweiten Tranche von insgesamt 48 heuer. Jedes Lied hörte sich an wie ein melodiöses Raunen der Menge, griff mir ans Herz. Zum Gleichnis über das Senfkorn schenkte der Pfarrer den Konfirmierten ein schönes kleines Kreuz mit drei Senfkörnern und zuletzt – eine Tube Löwensenf, scharf.
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