8. Juli 2008

Ein FeriendienstagDas ägyptische Museum in Bonn

Carla sollte mittags nach Limperich gebracht werden, das ist auf der anderen Rheinseite, südöstliches Beuel. Es ist regnerisch. Also fuhren wir mit der Straßenbahn. Die aber fährt nicht. Mitten in Beuel ist große Baustelle, ein neues Schienenbett wird gelegt, Schwellen, die nach Karbolineum riechen, blitzende Schweißarbeiten, kunstvolles Teeren, ein Bild hoher Kosten, wie es sich für das mittellose Bonn und dieses rein öffentliche Verkehrsmittel gehört. »Schienenersatzverkehr« war angekündigt, dessen Haltestellen nicht zu finden, jedenfalls nicht für mich Gelegenheitsverkehrsverbundenen. Also haben wir die Beueler City zu Fuß gequert, sind am alten Beueler Bahnhof wieder eingestiegen in die Linie, und dann aus unbändiger Fahrfreude gleich noch eine Station zu weit gefahren. Carla ging nur unter Protest wieder zurück. (Bild links: Uschebtis und Gesicht einer Königsfigur, Fayence, Spätzeit und neues Reich, um 600 und 1200 v. Chr., mit Blick auf die Adenauerallee; rechts: Frauenfigur auf einem Bett, bemalter Kalkstein, Neues Reich, ca. 1550—1290 v. Chr, im Hintergrund der schöne Kopf einer Grabstatue eines hohen Beamten, Altes Reich, ca. 2300 v. Chr.)

Ich bin dann zur Strafe ganz zu Fuß zurückgegangen von Beuel-Limperich nach Bonn, zwischendurch eine Schiffsreise mit der Fähre. Eine Stunde. Schön, erlebnisreich – große Wiesen, zwei reife Brombeeren, ein Wegkreuz (das, wo Birte ihren Radunfall hatte), an der Anlegestelle ein sehnsüchtiger Anschlag mit der Suche nach der am 29. Juni verlorenen »wunderschönen Frau. … Zuerst trafen sich unsere Blicke, als ich auf einer Bank saß, und dann einige Minuten später an der Fähre. …« Da wird einem doch gleich warm ums Herz. Mögen sie sich treffen und mögen.

Oben im Hofgarten hatte ich immer noch nicht genug »Exkursion«. Ich suchte mir das ägyptische Museum. Ein großer, schöner Saal im ersten Stock des Palais, Eingang östlich der Durchfahrt der Adenauerallee vom Park aus. Eine wahre »Musterausstellung«: genug für Reminiszenzen, ein bisschen Bildung, nicht zu viel für eine kurze Visite. Ein viertausend Jahre alter Holzsarg, Modelle wie Spielzeug, die Eleganz bescheidener Mittel, künstlerisch und handwerklich perfekt bearbeitet. Eine wilde Schlachtszene als großes Platten-Halbrelief. Katzen (Bilder: Mumienmasken, Karton bemalt, vergoldet, ptolomäisch, 3.—1. Jh. v. Chr.) Ewiges Leben. Für mich eine Erinnerung an Berlin, Pergamon (noch DDR-verstaubt), 6×6-Schwarzweißfotos mit der Mamiyaflex. Nun, da höre ich jetzt hier aus dieser meiner Studentenzeit dazu Chanson pour l’Auvergnat etc.

Das ägyptische Museum in Bonn, Di—Do 12—18 Uhr

6. Juli 2008

Carla morgens in der Bahn

Godesberg III – »klassisch«
– Besuch am Burgfriedhof

Jetzt weiß ich, dass mein erster Aufstieg zur »Godeburg« über die Direttissima (Südflanke) nicht gerade der schönste war. Wer diese »Burg« – als Burgenkenner kann man das Godesberger Ruinchen nur in Anführungszeichen setzen – und die Michaelskapelle besichtigen möchte, sollte entweder comme if faut mit der Limousine vorfahren oder hintenherum einen der Wege zum Burgfriedhof« wählen (Nordostflanke).

Der alte Friedhof ist schön, gepflegt, aktiv – ich erlebte sogar eine Beerdigung und hoffe nicht gestört zu haben. Ein Grabmal wohl aus Rudolf-Steinerscher Zeit fiel mir auf, das »Grabmal Dernen: ›Mutter Erde‹« (1912 vom Österreicher Adolf Simatschek), zuletzt dort begraben Irmgard von Wittgenstein, † 31. Mai 2000.

Außerdem hatte ich diesmal ja ein besonders aufmerksames Auge für Geschriebenes. Schon bei der Hinfahrt war mir in der U-Bahn der Sprachschmarren aufgefallen: »Bitte beachten Sie das Verzehrverbot auf Kölner Stadtgebiet!«. Zurück zu weniger verschrobenen Zeiten: Hier am Friedhof kann man fromme Sprüche über die Jahre kennenlernen, vom »frommen Andenken an die wohlachtbaren Eheleute Joh. Wilh. Düren, gew. Bauunternehmer (und seine Frau) … Fromme Christen! betet für Sie, damit Sie ruhen in Frieden« (sic) zu Ende des 19. Jahrhunderts über »in deutscher Heimaterde in Ostpreußen ruhen …« bis zur heutigen Sprachlosigkeit im Angesicht des Todes.

Sehr schön sind die Wegkreuze überall in Godesberg – hier die von 1751 und 1686 auf dem Burgfriedhof. Zu den unerklärlichen Zeichen schreibt mir dankenswerterweise Hans-Jürgen Müller von der die Denkmalbehörde in Bonn:»Es handelt sich um ein ehemaliges (Stein-)Wegekreuz aus dem Marienforster Tal. Die Symbole (Hauszeichen) sind nicht vollständig beziehungsweise eindeutig zuzuordnen. Vermutlich handelt es sich um die Initialen der Stifter des Kreuzes, die möglicherweise Pächter der Wattendorfer (Wasser-)Mühle waren. Dieses Kreuz - wie auch das zweite aus dem Jahre 1751 - gelangte nach 1890 im Zuge von Straßenausbauten auf den Burgfriedhof. Beide sind als historische Ausstattungsstücke des Baudenkmals Burgfriedhof anzusehen, der seit 1984 unter Denkmalschutz steht.«

Zur Kapelle bin ich dann gleich zweimal gepilgert, alleine in der Früh und Mittags mit Carla. Wir begrüßten sogar aus gebührender Ferne die fromme Eremitin Schwester Benedicta, eine Servitin, als sie die Monstranz aus dem Tabernakel nahm (»Zeit für geistliche Gespräche Samstag 15.00 bis 17.00»).

Dann ging es mit Carla hinauf auf den Turm, gleich zwei Mal, denn Carla hatte vergessen, die Treppenstufen zu zählen. Wir kamen hinaufzu auf 157, hinunter auf 156, plus die fünf außen … Der Blick war nach den Unwettern am Vortag besonders klar und weit, hier der Kölner Dom von Bad Godesberg aus gesehen – und ein Lob auf meinen neunen Fotoapparat, eine Panasonic Lumix DMC-FZ18, die bei Bildgrößen bis zu drei Megapixeln von 28 bis 804 Millimeter Brennweite (auf 35 mm ungerechnet) optisch zoomt und einen das auch noch frei aus der Hand verwacklungsfrei nutzen lässt!

Noch ein letztes kleines Schriftbild aus Godesberg, das ja ganz in arabischer Hand ist:


PS: Ich mag bald keine Bilder mehr einstellen. Man muss sich nur einmal ansehen, was schon alles im Netz steht. Da kann man seine Kamera gleich zu Hause lassen! Birte hat mich auf die Tour de France im Netz aufmerksam gemacht: http://www.google.fr/landing/tourdefrance2008/. Ich bin gleich ein wenig durch mein geliebtes Kalifornien gereist – deutsche Städte sind noch nicht zur Durchfahrt (»Straßenansicht«) mit Google bereit. Hier dafür ein Stück Champs-Elysées – auf den Link klicken und herumfahren.

PS. Über den berühmtesten Godesberger Stein habe ich nichts geschrieben, weil ich lange – und immer noch – an den Titeln dieses Herrn Venidius Rufus herumrätsele. Latein steht auf besagtem Stein, etwas ergänzt: Fortunis Salutaribus Aesculapio Hygiae Quintus Venidius Rufus Martius Maximus Lucius Calvinianus legatus legionis I Minerviae legatus Augusti pro praetore provinciae Ciliciae dono dedit. Soviel, so gut, und zu deutsch: Den Fortunae salutares (heilbringenden Gottheiten), dem Aesculap und der Hygia (vergl. unser Fremdwort Hygiene) stiftete diesen Stein Quintus Venidius Rufus Martius Maximus Lucius Calvinianus (dessen viele Namen auf Adoption und Hinzufügung der Namen mütterlicher Verwandten beruhen), Legat (= Kommandeur) der I. Minervischen Legion, kaiserlicher Statthalter der Provinz Cicilien.
···
Die Römer hatten eine Menge »Fortunen«, Glücksgöttinnen, der Gesundheit zumal. So gab es z. B. eine Fortuna Balnearis, der Bäder. Fortunis ist weiblich, Plural, Ablativ. Aesculap, vom Zeichen für Ärzte bekannt, ist deren Gott, Hygieia seine Tochter, für Hygiene zuständig. Der Stifter Lucius Calvinianus war der Chef der Legion, und zugleich – oder später, oder wie? – Statthalter in Sizilien? (Man hat die Vornamen als drei Stifter interpretiert. Marius Maximus soll ein Geschichtsschreiber gewesen sein. Ich meine, das waren einfach weitere Vornamen Calvinianus’.) Die Legio I Minervia wurde 82 vom römischen Kaiser Domitian für seinen Feldzug gegen die Chatten gegründet. Das Zeichen der Legion war die Göttin Minerva, Patronin und Namensgeberin der Legion. Die Legion war zunächst in Bonna (dem heutigen Bonn) stationiert, nahm aber an Feldzügen im gesamten römischen Reich teil. 89 war sie an der Niederwerfung des Saturninus-Aufstands in der Provinz Germania Superior beteiligt und erhielt den Beinamen Pia Fidelis Domitiana. Unter dem Kommando des späteren Kaisers Hadrian nahm die Legion an den Dakerkriegen Kaiser Trajans teil. Ihr Feldzeichen lässt sich noch heute auf der Trajanssäule betrachten. Nach der Eroberung Dakiens kehrte die Legion nach Bonn zurück.
···Doch meine Frage war nun nun: Wo war der Mann Statthalter? Provinciae Ciliciae – wo war das?
···In Sizilien, wie’s gern übersetzt wird? In Kilikien, wie andere vermuten – noch weiter weg von Bonn? Hat er den Stein gestiftet, als er dorthin zog? Ich weiß es nicht.
···Jedenfalls steht eine Kopie des Steins an der Godeberger Burg, das Original im Rheinischen Landesmuseum Bonn, ist dort allerdings meines Wissens nach nicht ausgestellt. Das Original ist aus hiesigem Trachyt, also schwarz; die Kopie hat Restaurator Keller aus Zement gemacht, also hell, aber das macht nichts. Farbe würde bloß abblättern.
Mein Foto 201004\Godesbergstein.jpg, meine Datei Godesbergstein.doc

3. Juli 2008

Godesberg II – »Ich Touri«

When a tourist, be a tourist – das ist meine Devise, wenn ich das erste Mal wo hinkomme. Den Michelin abklappern! In Bad Godesberg, das seit 1969 zu Bonn gehört, bin ich allerdings weniger fremd, hatte zwei Jahre lang jeden Montag Carla zum Singen in die Musikschule gebracht. Und jetzt eben eine Woche lang zur Zirkusschule. Also letzte Gelegenheit zu Besichtigungen, nicht nur arabischer Kaffeehäuser. Zumal die Tage ausnehmend heiß waren.

Vorgestern habe ich mir die Redoute (wörtl. Kostümball) und die anschließenden Gebäude angesehen. Das ganze schöne Ensemble soll aus der Hand der verarmten Stadt Bonn »in private Hände« gegeben werden. Europaweit wird ein Investor gesucht, der ein »hochwertiges Wellness-Hotel« daraus macht. Ein Luftschloss? Es regt sich Bürgerunwillen. Die Argumente werden gegenseitig auf Plakaten ausgetauscht. Ich kenne das aus Bonn selbst. Sind städtische Gebäude einmal gebaut oder aufwendig renoviert, lässt man sie langsam herunterkommen, müsste die Stadt doch die Erhaltung aus ihrem (leeren) Säckel bestreiten. Ein Neubau hingegen gilt als Investition und gelingt mit neuen Schulden. Land oder Bund legen dann noch etwas dazu, auf dass es von der Stadt her unwidersprechbar heißt: ›Hätten wir das Geld nicht ausgegeben, so wären die fremden Mittel verschwendet gewesen …‹ Oder: ›Wir haben ohnehin nur einen Teil zahlen müssen.‹ Kameralistik über mehrere »Kammern« hinweg.

Zurück zur Schönheit des Vergangenen, Vergehenden. Die Redoute ist heute ein Ballsaal, geschlossen; von außen, vom Stadtpark her aber ein schöner, barocker Anblick, repräsentativ. Rechts daneben (nördlich) das »Redüttchen«, ein Gasthaus; gleich links daneben ein schöner zugänglicher Bau, das »Haus an der Redoute«. Im Erdgeschoss eine Bildergalerie in den klassizistischen Räumen. Eine freundliche Dame am Empfang erzählt vom Bau. Ehemals in Privatbesitz, jetzt städtisch – oben hat sich, recht passend, der Denkmalschutz mit seinen Büros niedergelassen. Reste schöner Marmorierungen. Über hundert Jahre alte Parkettfußböden, weißer Stuck. Leider Türen und Türstöcke (der Stuck auch?) weiß überstrichen. Sonnendurchflutet. Die ausgestellten Bilder Geschmacksache. Ein paar Gebäude weiter unten die Musikschule, die hatte ich schon gekannt. Alles zusammen ein ausnehmend schöner Straßenzug.

Gestern dann – meine Zeitung war ausgeblieben, das Kaffeehaus fiel also aus – habe ich mich zur »Burg« aufgemacht. Ein beflaggter Turm in einer Burgruine überragt Bad Godesberg. Da wollte ich hinauf. Ich erspare uns Historisches und Offensichtliches: Im Zeitalter von Internet, Wikipedia und Panoramio-Bildern sieht man sich besser dort um, als selbst zu beschreiben oder zu fotografieren. Unten in der Alten Bahnhofstraße war die hochdeutsche Dame im Buchladen nicht von hier, wusste nicht, wie man auf die Burg kommt. Ein ausländischer Taxifahrer hat es mir dann liebevoll beschrieben. Da, wo sich Häuser über die Straße spannen, quert man die Hauptstraße (Aennchenplatz), und dann geht man den Berg hoch.

Die Godesburg-Promenade (ich nenne sie so) führt zunächst an einem an den Berg geklebten Wohnblock hinauf. Unten waren noch die städtischen Gärtner tätig gewesen und hatten entlang des Weges ordentlich gemäht. Doch schon auf der Freitreppe am Bau und der Brücke zum Berg hin kommt Hinterhofstimmung auf: Verwüstungen, Scherben, Grafitti (sogar ein verblasstes Hakenkreuz) und abgeschirmte Dachwohnungen, die noch nachträglich mit Nato-Stacheldraht gegen Seiteneinsteiger geschützt worden sind. Am Berghang leuchtet idyllisch eine rote Blechdose mitten im alles überwuchernden Schlingpflanzengestrüpp (»Naturschutz«). Weiter aufsteigend hat man einen schönen Blick über Brennnessel und die Stadt, oben ist ein anständiges Restaurant; es gibt Apartments zu mieten, monatsweise, die könnte man empfehlen. Ich unterhalte mich mit einer Journalistin, die den Morgen genießt und auf ihren Gesprächspartner wartet. Schön. Und immer der weite Blick auf das Siebengebirge.

Ich lasse mir dann noch den Turm öffnen und steige hinauf, wäre fast auf halber Höhe stehen geblieben. Durch einen schmalen Gang geht es weiter hinauf, zum Schluss über eine Holztreppe. Oben empfängt einen ein atemberaubender Rundblick – und eine breite Brüstung, auf dass keinem schwindlig werde. Da ist die Welt wieder ganz in Ordnung.

Ich mache Fotos, zoome mir Bonn heran, das Haus unserer Freunde im Kucksteinweg, das Hansa-Haus mit der Zirkusschule unten »im Dorf«. Der Bonner Posttower, ursprünglich umstritten, ist ein schönes Wahrzeichen.

Am Rückweg finde ich die Michaelskapelle. (Die zugehörige Eremitin soll Kerzen schmücken und Samstags Gespräche anbieten.) Innen ist’s eine Barockkapelle, offen, ungeschändet, mit rührendem Gästebuch für Gedanken, für Dank und Bitten an Gott und die Welt. Ich nehme für Carla ein Heftchen Mariengebete mit. Gisela ruft an. Bald muss ich Carla wieder abholen.

Mit der Journalistin hatte ich darüber gesprochen, dass nur eine erneuerte innere Einstellung wird Ordnung in die Verhältnisse bringen können, weniger elektronische Überwachungen und städtische Reparaturtrupps. Nun sinne ich darüber nach, wie krass unterschiedlich die öffentlichen Meinungsäußerungen in Grafittis auf Mauern und Gebäuden, in Gästebüchern sind. Schlimme Schweinereien – noch dazu in fehlerhaftem Englisch –, daneben rührend simpel: »Konni, I love you, Ma Schadtzi. Hab euch alle ganz doll lieb!« Alles überragend die frommen Eintragungen in das Gästebuch der Kapelle oder ganz oben am Turm, schön verziert: »Esteban aus Spanien war hier«. Die »Diversität« unserer Gesellschaft. Wenn sich die »Positiven« nur deutlicher, offener zeigten!