When a tourist, be a tourist – das ist meine Devise, wenn ich das erste Mal wo hinkomme. Den Michelin abklappern! In Bad Godesberg, das seit 1969 zu Bonn gehört, bin ich allerdings weniger fremd, hatte zwei Jahre lang jeden Montag Carla zum Singen in die Musikschule gebracht. Und jetzt eben eine Woche lang zur Zirkusschule. Also letzte Gelegenheit zu Besichtigungen, nicht nur arabischer Kaffeehäuser. Zumal die Tage ausnehmend heiß waren.
Vorgestern habe ich mir die Redoute (wörtl. Kostümball) und die anschließenden Gebäude angesehen. Das ganze schöne Ensemble soll aus der Hand der verarmten Stadt Bonn »in private Hände« gegeben werden. Europaweit wird ein Investor gesucht, der ein »hochwertiges Wellness-Hotel« daraus macht. Ein Luftschloss? Es regt sich Bürgerunwillen. Die Argumente werden gegenseitig auf Plakaten ausgetauscht. Ich kenne das aus Bonn selbst. Sind städtische Gebäude einmal gebaut oder aufwendig renoviert, lässt man sie langsam herunterkommen, müsste die Stadt doch die Erhaltung aus ihrem (leeren) Säckel bestreiten. Ein Neubau hingegen gilt als Investition und gelingt mit neuen Schulden. Land oder Bund legen dann noch etwas dazu, auf dass es von der Stadt her unwidersprechbar heißt: ›Hätten wir das Geld nicht ausgegeben, so wären die fremden Mittel verschwendet gewesen …‹ Oder: ›Wir haben ohnehin nur einen Teil zahlen müssen.‹ Kameralistik über mehrere »Kammern« hinweg.
Gestern dann – meine Zeitung war ausgeblieben, das Kaffeehaus fiel also aus – habe ich mich zur »Burg« aufgemacht. Ein beflaggter Turm in einer Burgruine überragt Bad Godesberg. Da wollte ich hinauf. Ich erspare uns Historisches und Offensichtliches: Im Zeitalter von Internet, Wikipedia und Panoramio-Bildern sieht man sich besser dort um, als selbst zu beschreiben oder zu fotografieren. Unten in der Alten Bahnhofstraße war die hochdeutsche Dame im Buchladen nicht von hier, wusste nicht, wie man auf die Burg kommt. Ein ausländischer Taxifahrer hat es mir dann liebevoll beschrieben. Da, wo sich Häuser über die Straße spannen, quert man die Hauptstraße (Aennchenplatz), und dann geht man den Berg hoch.
Die Godesburg-Promenade (ich nenne sie so) führt zunächst an einem an den Berg geklebten Wohnblock hinauf. Unten waren noch die städtischen Gärtner tätig gewesen und hatten entlang des Weges ordentlich gemäht. Doch schon auf der Freitreppe am Bau und der Brücke zum Berg hin kommt Hinterhofstimmung auf: Verwüstungen, Scherben, Grafitti (sogar ein verblasstes Hakenkreuz) und abgeschirmte Dachwohnungen, die noch nachträglich mit Nato-Stacheldraht gegen Seiteneinsteiger geschützt worden sind. Am Berghang leuchtet idyllisch eine rote Blechdose mitten im alles überwuchernden Schlingpflanzengestrüpp (»Naturschutz«). Weiter aufsteigend hat man einen schönen Blick über Brennnessel und die Stadt, oben ist ein anständiges Restaurant; es gibt Apartments zu mieten, monatsweise, die könnte man empfehlen. Ich unterhalte mich mit einer Journalistin, die den Morgen genießt und auf ihren Gesprächspartner wartet. Schön. Und immer der weite Blick auf das Siebengebirge.
Ich lasse mir dann noch den Turm öffnen und steige hinauf, wäre fast auf halber Höhe stehen geblieben. Durch einen schmalen Gang geht es weiter hinauf, zum Schluss über eine Holztreppe. Oben empfängt einen ein atemberaubender Rundblick – und eine breite Brüstung, auf dass keinem schwindlig werde. Da ist die Welt wieder ganz in Ordnung.

Am Rückweg finde ich die Michaelskapelle. (Die zugehörige Eremitin soll Kerzen schmücken und Samstags Gespräche anbieten.) Innen ist’s eine Barockkapelle, offen, ungeschändet, mit rührendem Gästebuch für Gedanken, für Dank und Bitten an Gott und die Welt. Ich nehme für Carla ein Heftchen Mariengebete mit. Gisela ruft an. Bald muss ich Carla wieder abholen.

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen