Godesberg II – »Ich Touri«
When a tourist, be a tourist – das ist meine Devise, wenn ich das erste Mal wo hinkomme. Den Michelin abklappern! In Bad Godesberg, das seit 1969 zu Bonn gehört, bin ich allerdings weniger fremd, hatte zwei Jahre lang jeden Montag Carla zum Singen in die Musikschule gebracht. Und jetzt eben eine Woche lang zur Zirkusschule. Also letzte Gelegenheit zu Besichtigungen, nicht nur arabischer Kaffeehäuser. Zumal die Tage ausnehmend heiß waren.
Vorgestern habe ich mir die Redoute (wörtl. Kostümball) und die anschließenden Gebäude angesehen. Das ganze schöne Ensemble soll aus der Hand der verarmten Stadt Bonn »in private Hände« gegeben werden. Europaweit wird ein Investor gesucht, der ein »hochwertiges Wellness-Hotel« daraus macht. Ein Luftschloss? Es regt sich Bürgerunwillen. Die Argumente werden gegenseitig auf Plakaten ausgetauscht. Ich kenne das aus Bonn selbst. Sind städtische Gebäude einmal gebaut oder aufwendig renoviert, lässt man sie langsam herunterkommen, müsste die Stadt doch die Erhaltung aus ihrem (leeren) Säckel bestreiten. Ein Neubau hingegen gilt als Investition und gelingt mit neuen Schulden. Land oder Bund legen dann noch etwas dazu, auf dass es von der Stadt her unwidersprechbar heißt: ›Hätten wir das Geld nicht ausgegeben, so wären die fremden Mittel verschwendet gewesen …‹ Oder: ›Wir haben ohnehin nur einen Teil zahlen müssen.‹ Kameralistik über mehrere »Kammern« hinweg.
Zurück zur Schönheit des Vergangenen, Vergehenden. Die Redoute ist heute ein Ballsaal, geschlossen; von außen, vom Stadtpark her aber ein schöner, barocker Anblick, repräsentativ. Rechts daneben (nördlich) das »Redüttchen«, ein Gasthaus; gleich links daneben ein schöner zugänglicher Bau, das »Haus an der Redoute«. Im Erdgeschoss eine Bildergalerie in den klassizistischen Räumen. Eine freundliche Dame am Empfang erzählt vom Bau. Ehemals in Privatbesitz, jetzt städtisch – oben hat sich, recht passend, der Denkmalschutz mit seinen Büros niedergelassen. Reste schöner Marmorierungen. Über hundert Jahre alte Parkettfußböden, weißer Stuck. Leider Türen und Türstöcke (der Stuck auch?) weiß überstrichen. Sonnendurchflutet. Die ausgestellten Bilder Geschmacksache. Ein paar Gebäude weiter unten die Musikschule, die hatte ich schon gekannt. Alles zusammen ein ausnehmend schöner Straßenzug.
Gestern dann – meine Zeitung war ausgeblieben, das Kaffeehaus fiel also aus – habe ich mich zur »Burg« aufgemacht. Ein beflaggter Turm in einer Burgruine überragt Bad Godesberg. Da wollte ich hinauf. Ich erspare uns Historisches und Offensichtliches: Im Zeitalter von Internet, Wikipedia und Panoramio-Bildern sieht man sich besser dort um, als selbst zu beschreiben oder zu fotografieren. Unten in der Alten Bahnhofstraße war die hochdeutsche Dame im Buchladen nicht von hier, wusste nicht, wie man auf die Burg kommt. Ein ausländischer Taxifahrer hat es mir dann liebevoll beschrieben. Da, wo sich Häuser über die Straße spannen, quert man die Hauptstraße (Aennchenplatz), und dann geht man den Berg hoch.
Die Godesburg-Promenade (ich nenne sie so) führt zunächst an einem an den Berg geklebten Wohnblock hinauf. Unten waren noch die städtischen Gärtner tätig gewesen und hatten entlang des Weges ordentlich gemäht. Doch schon auf der Freitreppe am Bau und der Brücke zum Berg hin kommt Hinterhofstimmung auf: Verwüstungen, Scherben, Grafitti (sogar ein verblasstes Hakenkreuz) und abgeschirmte Dachwohnungen, die noch nachträglich mit Nato-Stacheldraht gegen Seiteneinsteiger geschützt worden sind. Am Berghang leuchtet idyllisch eine rote Blechdose mitten im alles überwuchernden Schlingpflanzengestrüpp (»Naturschutz«). Weiter aufsteigend hat man einen schönen Blick über Brennnessel und die Stadt, oben ist ein anständiges Restaurant; es gibt Apartments zu mieten, monatsweise, die könnte man empfehlen. Ich unterhalte mich mit einer Journalistin, die den Morgen genießt und auf ihren Gesprächspartner wartet. Schön. Und immer der weite Blick auf das Siebengebirge.
Ich lasse mir dann noch den Turm öffnen und steige hinauf, wäre fast auf halber Höhe stehen geblieben. Durch einen schmalen Gang geht es weiter hinauf, zum Schluss über eine Holztreppe. Oben empfängt einen ein atemberaubender Rundblick – und eine breite Brüstung, auf dass keinem schwindlig werde. Da ist die Welt wieder ganz in Ordnung.
Ich mache Fotos, zoome mir Bonn heran, das Haus unserer Freunde im Kucksteinweg, das Hansa-Haus mit der Zirkusschule unten »im Dorf«. Der Bonner Posttower, ursprünglich umstritten, ist ein schönes Wahrzeichen.
Am Rückweg finde ich die Michaelskapelle. (Die zugehörige Eremitin soll Kerzen schmücken und Samstags Gespräche anbieten.) Innen ist’s eine Barockkapelle, offen, ungeschändet, mit rührendem Gästebuch für Gedanken, für Dank und Bitten an Gott und die Welt. Ich nehme für Carla ein Heftchen Mariengebete mit. Gisela ruft an. Bald muss ich Carla wieder abholen.
Mit der Journalistin hatte ich darüber gesprochen, dass nur eine erneuerte innere Einstellung wird Ordnung in die Verhältnisse bringen können, weniger elektronische Überwachungen und städtische Reparaturtrupps. Nun sinne ich darüber nach, wie krass unterschiedlich die öffentlichen Meinungsäußerungen in Grafittis auf Mauern und Gebäuden, in Gästebüchern sind. Schlimme Schweinereien – noch dazu in fehlerhaftem Englisch –, daneben rührend simpel: »Konni, I love you, Ma Schadtzi. Hab euch alle ganz doll lieb!« Alles überragend die frommen Eintragungen in das Gästebuch der Kapelle oder ganz oben am Turm, schön verziert: »Esteban aus Spanien war hier«. Die »Diversität« unserer Gesellschaft. Wenn sich die »Positiven« nur deutlicher, offener zeigten!
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