Um was geht’s?
Es geht um den vorletzen (oder letzten) Satz im Vaterunser: »Und führe uns nicht in Versuchung.«
Aus dem Schott |
Richtig findet man bei Radio Vatikan im Blog unter »Wer führt in Versuchung?« Ausführliches, bis hin zum griechischen Original – http://blog.radiovatikan.de/mehr-als-nur-worte/
Ich selbst habe die Versuchung nie als eine Schlucht gesehen, in die einen der Herrgott als Bergführer hineinführen täte oder nicht. Er führt ja leider eher überhaupt nicht, und lässt dem Menschen die Freiheit zu sündigen. »Lass’ uns nicht in Versuchung kommen«, so verstehe ich das – wie einen Stoßseufzer oder eben ein Stoßgebet, von dem man ja nie weiß, ob es wirkt. Man bittet halt darum.
Was ich mich immer gefragt habe, ist, ob »Denn dein ist das Reich usw.« wirklich dazugehört, weil uns doch der Herr schwerlich gelehrt haben kann, ihn derart zu bauchpinseln. Wörtlich sagt dazu die gewöhnlich gut unterrichtete Wikipedia, hochgestochen wie so oft:
»Nur die matthäische Version beschließt die Bittenreihe mit einer Doxologie (›rühmendes Wort‹), die auf die Anfangsbitte um das Kommen des Reiches Gottes zurückkommt und die vorausgegangene Zusage Gottes im Munde Jesu gleichsam appellativ an Gott zurückgibt: ›Denn dein ist das Reich …‹ Dieser Schluss ist allerdings in den ältesten Handschriften nicht überliefert, fehlte somit vermutlich im ursprünglichen Matthäusevangelium.«
Zum Thema:
Hiobs Schweigen http://j.mp/2CyQLSV =
https://www.nzz.ch/feuilleton/hiobs-schweigen-ld.1343521
Nicht Gott, der Teufel versucht den Menschen, sagt der Papst. Doch in der Versuchung des gottesfürchtigen Menschen liegt das tiefste Paradox des Christentums.
Permalink:
https://blogabissl.blogspot.com/2017/12/dem-papst-gefallt-das-vaterunser-nicht.html
Links:
• Deutschlandfunk 2010
• Ebenfalls zum Thema Übersetzung aus der Bibel:
«pro multis»: http://blogabissl.blogspot.com/2009/03/pro-multis-fur-viele-so-stand-das-fast.html
Da pfeifen die Pfarrer auf die Bibel …
Ergänzungen
Ein befreundeter Theologe, kenntnisreich wie wenige, gab mir vielfältige Präzisierungen und vor allem den Hinweis auf einen Jakobusbrief. Für mich sind Bibelstellen einfach »je später desto besser«, aktueller sozusagen. Ich ziehe das vor. Mein Freund schreibt mir:
Hintergrund bzw.
Referenzstelle der Diskussion ist aber auch eine andere Passage, nämlich aus dem
Jakobusbrief:
„13 Μηδεὶς πειραζόμενος λεγέτω ὅτι ἀπὸ θεοῦ πειράζομαι· ὁ γὰρ θεὸς ἀπείραστός ἐστιν κακῶν, πειράζει δὲ αὐτὸς οὐδένα. 14 ἕκαστος δὲ πειράζεται ὑπὸ τῆς ἰδίας ἐπιθυμίας ἐξελκόμενος καὶ δελεαζόμενος·“ (Jakobus 1,13-14)
„13 Μηδεὶς πειραζόμενος λεγέτω ὅτι ἀπὸ θεοῦ πειράζομαι· ὁ γὰρ θεὸς ἀπείραστός ἐστιν κακῶν, πειράζει δὲ αὐτὸς οὐδένα. 14 ἕκαστος δὲ πειράζεται ὑπὸ τῆς ἰδίας ἐπιθυμίας ἐξελκόμενος καὶ δελεαζόμενος·“ (Jakobus 1,13-14)
[13 Niemand, der versucht
wird, soll sagen: „Ich werde von Gott versucht“. Gott nämlich kann nicht vom
Schlechten versucht werden; er selbst aber versucht niemanden.
14 Jeder aber wird versucht,
indem er von seiner eigenen Begierde mitgerissen und geködert wird.]
Hier wird ein anderer Akzent
gesetzt, der weder Gott noch den Teufel für Versuchungen verantwortlich macht.
Die „eigene Begierde“ (griechisch: epithymia) wird dort als Teil der
menschlichen Existenz beschrieben und macht so etwas aus wie eine
grundsätzliche Versuchbarkeit, die allerdings vom Ich des Menschen unterschieden
wird und werden muss. Erst wenn dieser Begierde gefolgt wird, welche (so
sinngemäß die griechische Vokabel) „in den Hedonismus“ verführt, dann wird daraus Sünde (so das Konzept des Jakobusbriefes).
Selbst im Alten Testament im Buch Hiob (Ijob) ist es nicht Gott, der verführt. Zu Versuchszwecken erlaubt er dem Teufel, Hiob in Bedrängnis zu führen. Este einmal allein durch Armut.
Ijob 1,12 | Der Herr sprach zum Satan: Gut, all sein Besitz ist in deiner Hand, nur gegen ihn selbst streck deine Hand nicht aus! Darauf ging der Satan weg vom Angesicht des Herrn. |
Ijob 1,22 | Bei alldem sündigte Ijob nicht und äußerte nichts Ungehöriges gegen Gott. |
In einer zweiten Runde darf der Teufel Hiobs Gesundheit angreifen. Hiob bleibt auch da Gott treu. Er flucht noch nicht einmal seiner »mit Worten«, er hadert nicht mit ihm, was man ihm schon jetzt nicht hätte verdenken können. Seine Frau findet’s unverständlich.
Ijob 2,10 | Er aber sprach zu ihr: Wie eine Törin redet, so redest du. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? Bei all dem sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen. |
Ijob 6,11 | Was ist meine Kraft, dass ich aushalten könnte, / wann kommt mein Ende, dass ich mich gedulde? |
Ijob 12,9 | Wer wüsste nicht bei alledem, / dass die Hand des Herrn dies gemacht hat? | |
Ijob 12,10 | In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens / und jeden Menschenleibes Geist. |
Ijob 13,5 | Dass ihr endlich schweigen wolltet; / das würde Weisheit für euch sein. |
Ijob 19,11 | Sein Zorn ist gegen mich entbrannt, / gleich seinen Gegnern gelte ich ihm. |
Ijob 19,25 | Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, / als Letzter erhebt er sich über dem Staub. | |
Ijob 19,26 | Ohne meine Haut, die so zerfetzte, / und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. | |
Ijob 19,27 | Ihn selber werde ich dann für mich schauen; / meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. / Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust. |
Ijob 31,35 | Gäbe es doch einen, der mich hört. / Das ist mein Begehr, dass der Allmächtige mir Antwort gibt: / Hier ist das Schriftstück, das mein Gegner geschrieben. |
Ijob 42,10 | Der Herr wendete das Geschick Ijobs, als er für seinen Nächsten Fürbitte einlegte; und der Herr mehrte den Besitz Ijobs auf das Doppelte. |
Ijob 42,17 | Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen. |
Nun weiter in den Anmerkungen meines Freundes:
1) Der Wortbefund: Matthäus und Lukas haben die Bitte genau gleich (fettgedruckt und unterstrichen von mir) >
„13 καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς
πειρασμόν,
1. „Und führe uns nicht in Versuchung“ ist im Deutschen
doppelcodiert, sprich: Wir hören a) „Führe uns nicht in Versuchung
hinein...“ oder/und b) „Versuche uns nicht“, denn „in Versuchung
führen“ kann im Grunde in unserer Sprache dreifach verstanden werden:
so klar wie möglich gemacht – stellt sich die Frage gar
nicht mehr, ob Gott versucht oder nicht, sondern die Bitte impliziert „nur“,
dass Gott (vgl. Jesu Versuchung durch den Teufel in der Wüste, in die aber
wiederum der Geist ihn führte!) ggf. in die Versuchung
hineinführt. Wir beten zwar „dagegen“, und es scheint nach Gottes Willen und dem
Gebet Jesu auch das Ziel zu sein, dass wir nicht in Versuchung hineingeführt
werden; dennoch sagt diese Bitte gerade nicht aus, dass Gott versucht,
sondern „der Versucher“ ist deutlich der Teufel (so wiederum nach der Erfahrung
Jesu in der Wüste). Nichtsdestotrotz bleibt der Punkt mit Jakobus 1 bestehen,
dass „die Begierde“ auch lockt und mitreißt – die Lage ist und bleibt
komplex.
2. Französisch wie Spanisch steht sinngemäß in der
Vater-Unser-Bitte: „Lass uns nicht in Versuchung fallen“. Daher m.E. der „Trubel“, denn „dass Gott uns fallen lässt“ ist auch wiederum mehrfach
konnotiert. Wir kennen das auch im Deutschen: Wenn ich „in
Versuchung falle“, dann _gerate_ ich in Versuchung; wenn ich aber „in
Versuchung falle“, dann bin ich bereits in der Versuchung und
scheitere, sündige, versage, etc. – Daher kann ich der päpstlichen
Sicht noch etwas abgewinnen in gewisser Hinsicht, aber eigentlich ist
sie philologisch fragwürdig (zumal die Bitte im Lateinischen analog zum
Griechischen funktioniert – Gleiches gilt für das Italienische) und nach wie vor
theologisch nicht so komplex, wie sie m.E. sein sollte bzw. von
biblischer Basis ausgehend sein könnte.
Wie sagte ein
Kollege aus der Philologie so treffend: „Der Papst könnte höchstens sagen, dass
ihm dieses Gebet nicht mehr so gefällt, aber nicht, dass es eine schlechte
Übersetzung ist.“ – Trotzdem ist für mich am Ende des Tages
das Problem am einfachsten damit gelöst, dass „in Versuchung führen“ griechisch wie lateinisch mit Richtungsangaben grammatikalisch klar markiert
ist, so dass klar ist: Nach den biblischen Vater-Unser-Fassungen führt Gott zwar
(wenn es denn dazu überhaupt kommt, dass er in Versuchungen hinein
führt) in die entsprechenden Versuchungen hinein – wir hoffen und beten, dass
nicht! – , aber keinesfalls wird ER selbst zum Versucher, sprich:
Teufel+Satan, der dem Menschen gegenübertritt, um ihn fallen und
scheitern zu sehen. So macht ein Wort (z.B. „hinein“ [in: „Führe uns nicht in
Versuchung hinein...“] manchmal erhebliche Unterschiede.
ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ
πονηροῦ.“
(Matthäus 6,13; in Lukas 11,4b steht ebenfalls wortgleich wie bei Matthäus
„καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς
εἰς πειρασμόν.“
[13 Und führe uns nicht
hinein in die Versuchung/Prüfung/Probe, sondern rette uns von dem
Bösen.]
Meine Übersetzung macht
hoffentlich deutlich: Subjekt ist offenkundig der Vater, an den diese Bitte
gerichtet wird. Das Prädikat meint so viel wie hinein-führen, hinein-tragen,
hinein-bringen und „εἰς“ ist quasi richtungsweisend: Eine
Präposition, welche die Richtung angibt. „peirasmos“ (das letzte Wort des
Satzes) hat nun die Bandbreite von Versuchung, Probe, Prüfung – jedenfalls das
gleiche Wort, das auch Jesus betrifft, der
nach der Taufe in der Wüste vom Teufel versucht wird (Lukas 4,2 bzw. Matthäus
4,1) - allerdings führte der Geist Jesus in die Wüste, wie Matthäus 4,1 steht
(vergleichbar Lukas 4,1).
Zwei Aspekte sind mir hier
wichtig:
• Was sagt das über den
Menschen? Mit der Formulierung eines Kollegen gesprochen: „Da der Mensch aus
eigener Kraft nicht in der Lage ist, solchen Anfechtungen zu widerstehen, lautet
die abschließende Bitte, Gott möge verhindern,
daß der Mensch hilf- und schutzlos der Versuchung und dem Bösen ausgeliefert
werde.“
• Was sagst das über Gott?
Gott ist offenbar in der Lage dazu, sprich: zu der „Versuchungsprävention“. Wir
sagen mit der Bitte im Grunde etwas über uns aus, über unsere Versuchbarkeit und
die Abhängigkeit von Gott. Das christliche
Gottesbild damit zu entschärfen, dass an der Stelle glattgebügelt wird, fände
ich in vielfacher Hinsicht problematisch, was ich hier aber nicht weiter
ausführe. Nehmen wir aber nur analog ein alttestamentliches
Beispiel:
„5 Ich
bin der HERR und sonst keiner. Außer mir gibt es keinen Gott. Ich gürte dich,
ohne dass du mich erkannt hast,
6 damit
man erkennt vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang her, dass es außer mir
gar keinen gibt. Ich bin der HERR - und sonst keiner -,
„Ich habe
die Versuchung nie als eine Schlucht gesehen, in die einen der Herrgott als
Bergführer hineinführen täte oder nicht. Er führt ja leider eher überhaupt
nicht, und lässt dem Menschen die Freiheit zu sündigen.. »Lass’ uns
nicht in Versuchung kommen«, so verstehe ich das – wie einen Stoßseufzer oder
eben ein Stoßgebet [...]“ (Fritz Jörn) trifft es daher mit
Stoßgebet ganz gut: Im Bewusstsein der eigenen Handlungsfreiheit, der väterlichen
Barmherzigkeit sowie seiner Bewahrungsmacht angesichts unserer eigenen
Versuchungen – bzw. der letzten finalen Versuchung, welche biblisch „die große
Bedrängnis" heißt – bitten wir. Bitten, da wir wissen, dass wir Hilfe
brauchen, und bitten an den, der helfen kann.
Oben habe ich vor allem erläutert, warum philologisch und
theologisch an der Stelle gerade gute Argumente existieren, die Bitte im
Vater-Unser so zu belassen.
Zwei sprachliche Beobachtungen aus dem Deutschen
bzw. dem Französischen/Spanischen (s. Papst aus Argentinien!) könnten
aber einen recht banalen Grund für diese – m.E. überflüssige – Debatte
liefern:
i. In der / Durch die Versuchung führen;
ii. In die Versuchung hinein führen;
iii. versuchen (so wie wir sagen „Führ’ mich nicht in Versuchung!“ = „Versuche
mich nicht!“).
Vor dem Hintergrund klärt sich auch die Frage, ob
Gott nun versucht oder nicht (was ja Franziskus’ wichtiger Punkt ist): Bei
richtiger Übersetzung der Vater-Unser-Bitte (Führe uns nicht in Versuchung
[hinein]) – Griechisch mit doppelter Richtungsangabe um den „Hinein-Faktor“
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