Konformitätsdruck oder Fahnen im Wandel der Zeit. Wir hatten hier die »Oxfordwoche«. Eine Woche lang, vom 24. bis 28. Oktober, sollte die Städtepartnerschaft Bonn—Oxford gefeiert werden. Und weil Straßenfeste samt rotem Teppich kommerziell die lange vernachlässigte Friedrichstraße in der Innenstadt Bonns so schön gefördert hatten (s. Generalanzeiger-Bericht), sollte auch diesmal gehörig gefeiert werden. Dazu hatte man sich ausgedacht, die Straße insgesamt mehr als zwei Wochen lang mit Flaggen zu schmücken, so eine Art vorgezogene Adventszeit, wo Plastiktannenreisiggirlanden und sparsame Glühbirnen angesagt sind. (Hier ein Bild von heute vormittag.)
Also klingelte eines Tages ein junger Geschäftsmann bei mir an der Tür. Er trug zwei Deutschlandfahnen bei sich, liebevoll zurechtgemacht zum Beflaggen des Hauses. Ich habe ein bisschen herumgedruckst, sei Österreicher, und überhaupt hätte ja Bonn-Oxford nicht direkt etwas mit Deutschland-Großbritannien zu tun.
Draußen wurden erst einmal die fehlenden Querseile über die Straße nachgespannt, die wir wegen den neuen, elegant im Weg stehenden Straßenlampen nicht vermisst hatten. Doch auch an den Laternen wurde wieder herumgearbeitet, wieder Hubwagen, Materialwagen, zwei Mann fast einen Tag lang, Bonn-amtlich, wie gehabt. Dann spannte ein privater Wagen mit Hebebühne Flaggen quer über die Straße, abwechselnd deutsch und britisch. Nur ich hatte mir Zeit gelassen mit dem Beflaggen. Fast wäre es darüber zum Streit gekommen mit dem Haus- und Ladenbesitzer (zugleich Vorsitzendem der »Immobilien- und Standortgemeinschaft Friedrichstraße«) . Wir einigten uns dann auf eine Flagge an einem Tag ... Ja, inzwischen sind Fahnen zu reinen Dekorationsartikeln verkommen, und das ist eigentlich ganz gut so!
Hier noch der Text des abgebildeten Briefes: Der Oberbürgermeister von Andernach-Land als Ortspolizeibehörde Abt. III – Andernach, den 21. April 1941 – An [handschriftlich:] Herrn Johann ... [den Familienamen habe ich weggelassen – fj] in [...], [...]str. – Wie festgestellt wurde, haben Sie am Geburtstage des Führers, einem hohen nationalen Feiertage, Ihr Haus nicht beflaggt. Dieses Verhalten ist eines deutschen Mannes oder einer deutschen Familie nicht nur nicht würdig, sondern stellt eine Mißachtung der Person unseres Führers dar. Ich will diesmal davon absehen, es zum Anlass für Weiterungen gegen Sie zu nehmen, erwarte aber von Ihnen, dass Sie in zukünftigen Fällen, in denen eine Beflaggung vorgeschrieben ist, diese pünktlich vornehmen werden. Dadurch können Sie unangenehme Folgen von sich abwenden. – Ich kann nicht annehmen, dass Sie nicht im Besitze einer Hakenkreuzfahne sein sollten, da Ihnen zu deren Anschaffung eine Reihe von Jahren zur Verfügung stand. – Möge Ihnen dieser Hinweis für die Folge als Warnung dienen.
P.S. Die Fahnen wurden am 12. November abgenommen, nach vier Wochen. Man hatte vergeblich gehofft, gleichzeitig die Adventsdekoration montieren zu können.
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