2. Oktober 2016

Was ist deutsch?

Immer wieder wird gefragt: Was ist deutsch, was ist ein Deutscher? … eine Deutsche? politisch korrekt? Dann wird herumgeeiert.
   Deutscher: Vor allem ein unscharfer Begriff, höchstens in ganz engem Zusammenhang zu gebrauchen. In Südtirol ist ein Deutscher ein Einheimischer mit Deutsch als Muttersprache, im Gegensatz zu einem Italiener oder Ladiner dort. 
   Allerdings wäre danach schon Luis Trenker Ladiner, und nicht – oder erst in zweiter Linie – Deutscher. 
   Schon in diesem Beispiel ist der Begriff »Deutscher« grenzenlos unscharf. Allerdings weiß heute ohnehin kein »Deutscher« mehr – jetzt als typischer Bürger der Bundesrepublik gesehen –, dass Südtirol mehrsprachig ist, und wer Luis Trenker war. 
   Das interessiert die aktuellen Deutsch-Frager nicht. Sie wollen wissen, wie sich ein Fremder hier »integriert«, um wirklich Deutscher zu werden. 
   Ich plädiere für klare Regeln zur deutschen Staatsbürgerschaft, wie in Frankreich nach Geburtsort oder wie früher hier nach Abstammung – aber nicht beides. Da sollte Ordnung sein. Oder man gibt diese »deutsche Staatsbürgerschaft« praktisch auf, und lässt alles Brüssel entscheiden, so, wie man bereits jetzt Brüssel bestimmen lässt, wer hier visumsfrei einreisen darf, wer hier wie sesshaft werden darf usw.  Das Thema ist mir zu weitscheifig; als Beispiel ein Zeit-Artikel dazu.
   Lassen wir den Nationalismus ganz sein. Lassen wir »deutsch sein« weg. (Das ist schon orthographisch mühsam, mal klein, mal groß geschrieben … Das »Deutschsein«, aber wohl wie oder was: »deutsch sein«.) 
   Uns Nachkriegsgeneration wurde der Nationalismus ausgetrieben. Wir wurden zur Kollektivschuld erzogen, noch bevor es den Ausdruck Holocaust überhaupt gab (angeblich ab 1972). Um die Kollektivschuld zu umgehen, haben dann viele von uns lieber auch auf Beethoven, Schiller und Goethe verzichtet, sogar auf Einstein. Das Thema haben wir umgangen.
   Stichwort Einstein: Auf die Thematik deutscher Juden, die sich – jedenfalls im Ersten Weltkrieg – selbstverständlich als Deutsche fühlten, kann man heute gar nicht politisch korrekt eingehen. Auch nicht auf die Thematik »Österreicher«, schon wegen Beethoven und Hitler. Warum sollen Bayern Deutsche sein, Österreicher nicht? Österreich hat heute 8,6 Mio. Einwohner, viele deutsche Bundesländer weniger. »Den Traum hat uns Hitler gestohlen«, sagte mein Großvater*). Obwohl ich kleinere Solidargemeinschaften bevorzuge, bin auch ich in diesem Sinn »Großdeutscher«. Hoffnungslos.
   Zurück zum Heute. Eine deutsche Nation gibt es nicht; da hilft auch keine Fußballweltmeisterschaft 2014. (Die Versuche Österreichs, sich als Nation zu geben, waren noch lächerlicher.) Europäer im Brüsseler Sinn gibt es auch nicht, sonst wären Briten bald nur Europäer gewesen und Schweizer bloß »assoziierte«. Von einem »afrikanischen Deutschen« – oder wie heißt inzwischen ein Schwarzer politisch korrekt (früher, in allen Ehren: Neger, noch früher: Mohr)? – von ihr oder ihm kann keiner erwarten, dass er sich die deutsche Geschichte (samt Hitler) »anzieht«. Oder?


Lassen wir also für eine Weile »deutsch« ganz sein.  (Ich selbst bin ja sowieso auch Österreicher … )
   Vielleicht fangen wir einfach mal an, uns zu überlegen, was sich hier »gehört«, was nicht, und sprechen das aus. Jeder weiß, dass man in Moscheen die Schuhe auszieht. Dass man in der Kirche die Hände aus der Hosentasche zieht und die Mütze abnimmt, gerät in Vergessenheit. Im Orient verbeugt man sich zur Begrüßung, bei uns gibt man sich die Hand – Thema »Handschlagverweigerung«. Dergleichen Sitten und Gebräuche und ihr Wandel sind interessante Themen und näher dran am sekundären Thema »deutsch« – ein weites Feld.

*) »Ich bin nicht und war nie ein nationaler Chauvinist. Ich habe aber das Recht der Deutschen auf Erreichung ihres nationalen Zusammenlebens und auf Erhaltung ihrer Volkstumsgrenzen immer und mit tiefer Überzeugung vertreten. Ich glaubte damals und glaube noch heute, daß wir Deutsche, wie jede andere Nation, mit allen Kräften die Vereinigung aller Deutscher in einem Staate anzustreben haben. Das, was für Franzosen, Italiener, Russen eine Sebstverständlichkeit ist, ist auch für uns Deutsche gutes Recht. Adolf Hitler hat sich dieses Traums der deutschen Einheit bemächtigt, um damit uns alte ›Großdeutsche‹ zu fangen. Er hat diesen berechtigten Wunsch durch seine Untaten so beschmutzt, daß heute seine Verwirklichung auf Jahrzehnte zurückgeworfen ist – an eine dauernde Verunmöglichung mag ich nicht glauben. In meiner Jugend glaubte die Mehrzahl von uns deutschen Studenten an das Ideal des geeinten Großdeutschen Reiches; noch 1919, nach dem Zusammenbruch Österreichs und Deutschlands, erklärten die frei gewählten Abgeordneten den Anschluß von ›Deutsch-Österreich‹ an das Deutsche Reich. Und heute würde es schlechten politischen Geschmack beweisen, vielleicht sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen, wenn man unter den ›schwarzen‹ und ›roten‹ Österreichern dieses Thema überhaupt berühren würde... Ich werde die Ideale meiner Jugend nicht aufgeben, auch wenn Hitler sie für seine Zwecke mißbraucht hat.« (Aus den Memoiren meines sel. Großvaters, ca. 1965, http://www.Joern.De/hoedl.htm#Nationales)

Permalink http://blogabissl.blogspot.com/2016/10/was-ist-deutsch.html
Siehe auch: http://blogabissl.blogspot.com/2016/06/ich-bin-ein-schengener.html  

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