3. November 2015

Selbstmord


Max Klinger: Die Toteninsel (Radierung, 1890), Wikipedia
Nach katholischer Auffassung ist Selbstmord eine Todsünde. Da steht klar: »Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen«.
   »Du sollst nicht töten«, das gilt im ganzen Christentum. Auch sich selbst darf man nicht umbringen; das fünfte Gebot macht da keine Ausnahme. Im Islam ist der Selbstmord streng verboten, mehr dazu hier, besonders über die Ausnahmen.
   Ein unerklärlicher Selbstmord in unserer Familie, den ich vor Jahren erlebte, war – für mich klar – eine Sauerei, gegen Frau und Kinder, gegen die Freundin, die Verwandten, besonders gegen die Eltern. Gesagt hat das keiner, in der Trauer. Ich aber, familiär etwas ferner, kann’s selbst bis jetzt nicht anders einschätzen. Sowas tut man nicht.
   Inzwischen behandeln das Thema schon populäre Internet-Ratgeber, die sonst vielleicht Fleckenentfernen thematisieren, »Gutefrage« zum Beispiel, insbesonders im Spannungsfeld zwischen religiöser, gesellschaftlicher und teils entgegengesetzter gesetzlicher Auffassung.

Gesetzlich ist Selbstmord erlaubt: »Der Suizidversuch ist in Deutschland als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts straffrei, dies gilt grundsätzlich auch für die Teilnahme, also Anstiftung oder Beihilfe, nicht aber die Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB)« (Wikipedia).
   Man darf sich mit einer Pistole umbringen, sogar mithilfe eines Freundes, der einem das Ding (illegal?) besorgt. Schießen darf der aber nicht, dazu muss man (noch) selbst in der Lage sein. Warum? Wohl weil sonst der wirklich letzte Wille des Subjekts nicht nachweisbar bliebe, weil es hätte Mord sein können. (Ein kurioser Fall ist der Siriusfall aus dem Jahr 1980.)
   Zwischen Beihilfe und Tötung auf Verlangen macht das Recht einen großen Unterschied. Beihilfe darf sein, auch in Deutschland, Tötung auf Wunsch aber nicht – außer es werden »nur« lebenserhaltende Maßnahmen abgeschaltet, typischerweise von anderen, dann ist das wiederum erlaubt.
   Für mich ist’s ein Durcheinander, das hier entsteht, ein Hin und Her, weil der Staat zutiefst moralische, weltanschauliche Auffassungen zu regeln versucht, und sich gerne auf die Zustimmung einer Mehrheit beruft. Doch greift bei so Grundsätzlichem nicht viel mehr Naturrecht als Demokratie? Der res publica könnte es inzwischen eigentlich egal sein, ob einer früher strirbt …
   Dazu kommt, dass der Tod ein sehr individuelles Erlebnis ist. Da besteht die Gefahr, dass das Gesetz versucht, ihn allgemein zu regeln, dass wir über immer speziellere Todesfälle diskutieren, und die Einzigartigkeit, das Mehr-als-Epochale für das Individuum ignorieren. Trivial stellt sich die Frage: Ist das wie bei Geschwindigkeitsbegrenzungen? Ist keine angezeigt, so darf man beliebig schnell fahren, auch über 250 Stundenkilometer. Ist alles erlaubt, was nicht verboten ist?  
   Es gilt das Argument, was einem selbst erlaubt ist, sei noch lange nicht einem anderen gestattet. Im FAZ-Artikel vom 25. Juni 2015 »Es gibt kein gutes Töten!« schreibt Professor Dr. Christian Hillgruber aus Bonn: »Der Staat muss verhindern, dass Private, seien es Angehörige, Ärzte oder Dritte, andere Menschen auf Verlangen töten. Tragender Grund dafür ist die das Fundament der staatlichen Schutzpflicht für das Leben bildende Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). ›Die Würde des Menschen ist unantastbar‹ heißt, dass das Leben eines Menschen niemals und von niemandem rechtmäßig mit der Begründung ausgelöscht werden darf, es sei nicht mehr wert, gelebt zu werden.« – »Lasst die Finger davon!« mahnt am 1.11. ein FAZ-Gastbeitrag zur Suizidbeihilfe von Thomas Sören Hoffmann.
   Ein Gesetzentwurf (Sensburg-Dörflinger-Entwurf) für einem neuen Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches will diese heutige Rechtslage stärken, und vor allem keine Ausnahmen zulassen. Das ist nur konsequent.
   Meines Erachtens wäre es für den Staat, dem jeder Bürger gleich wertvoll sein müsste, auch nur konsequent, Selbstmord ebenfalls zu verbieten.
   Zur Argumentation mit der »Würde des Meschen« aus dem schönen ersten Kapitel des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«, sie krankt meines Erachtens am edlen, aber unscharfen Begriff der »Würde«. Ist ein Dementer »würdevoll«? Wäre nicht (weniger salbungsvoll) das Leben des Menschen zu achten und zu schützen? Wie auch immer: Ob Würde oder Leben, beides müsste für alle gelten, den Beteiligten eingeschlossen. Oder ist eine noch höhere Würde die Selbstbestimmung, inklusive der Selbsttötung? (So bezeichnet der Entwurf den Suizid, den ich hier altmodisch – ohne Beigeschmack – Selbstmord zu nennen mir gestatte.)
   Das Thema ist recht aktuell und nicht einfach so kurz abzuhandeln. Dazu gibt es ganze Bücher, von diesem bis zu jenem … und viele Vorträge, etwa den von Prof. Lübbe über Palliativmedizin (knapp dreißig Minuten). Am Tod sind viele interessiert.
   (Das Morden in Konflikten und Kriegen, Bomben, Drohnen, Attentate, bleibt seltsam unumstritten.)

Aus moralischer Sicht finde ich den mir neuen Ansatz des Theologen Hans Küng sehr interessant. Der Spiegel zitiert ihn 2013 mit den Worten: »Der Mensch hat ein Recht zu sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf ein nach seinem ureigenen Verständnis humanes Weiterleben«. »Dass ich schließlich auch noch ein Leben auf vegetativem Niveau zu akzeptieren hätte, lasse ich mir von niemandem als Wille Gottes für mich einreden. Auch möchte ich gerade als Christ nicht, dass man dies anderen Betroffenen einredet«, soll er laut Hans-Martin Schönherr-Mann im Deutschlandfunk zu Anne Will gesagt haben. »Dabei bin auch ich der Überzeugung, der festen Überzeugung, dass das Leben Gnade Gottes ist. Es ist mir geschenkt. Ich habe es nicht selber erworben. Das ist mir als gläubigem Menschen, durch die Eltern von Gott geschenkt. Aber das heißt, dieses Gnadengeschenk bedeutet für mich auch Verantwortung. Das sagt übrigens auch der Katechismus. Wir haben alle eine Verantwortung für unser Leben. Und warum soll die in der letzten Phase aufhören, diese Verantwortung? Die ist für mich auch in der letzten Phase da. Die kann ich dann auch wahrnehmen.« – Für Christen nimmt Küng damit den Selbstmord aus der Angst vor der Hölle heraus, er entspannt ihn. Mir ist, also ginge Küng gerne erhobenen Hauptes »hinüber« – eine schöne, gnädige Vorstellung.

Die aktuelle Diskussion in der Gesetzgebung
   Darauf gehe ich nicht ein, verweise auf eine Übersicht der Deutschen Welle: »Vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe«. (Ein fünfter kam später dazu.)
1. Verbot jeder kommerziellen, »gewerbsmäßigen« Suizidbeihilfe (Brand-Griese u.v.a.).
2. Ärzte sollen unheilbar Kranken beim Suizid helfen dürfen.
3. Verbot nur für gewinnorientierte Sterbehilfe – »selbstlose« Vereine und Ärzte sollen beim Suizid assistieren und Kostenerstattung erhalten dürfen.
4. Totalverbot jeder assistierter Suizidbeihilfe.
   Inzwischen ist am 6. 11. 15 die Entscheidung gefallen, siehe Wikipedia, weitere Einzelheiten wieder bei der Deutschen Welle. Mit 360 von 602 Stimmen wurde der Brand-Griese-Antrag (hier oben der erste) angenommen: 

„§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die
Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger
des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“ (Quelle)
   Die Bewertungen sind meist positiv, dagegen ist etwa dieser von Bartholomäus Grill. Hier der Bericht der NZZ.
   Persönlich finde ich das alles gut gemeint, allerdings unscharf (»gewerbsmäßig«?) und inkonsequent. Warum soll man sich nicht von Profis umbringen lassen, wenn’s einem schon »gutes Recht« ist? Den Staat geht das nichts an, mein’ ich. Polemisch: Meist verlangt der Staat Profis – z. B. bei Elektroinstallation …

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 Hans Küng. Selbstbestimmtes Sterben und Glauben
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Joseph Croitoru: Todesverachtung als Waffe
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WDR-Sendung zum Sterben: Wie man lebt, so stirbt man
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 NZZ Begleiteter Freitod, »Es ist Zeit für eine bessere Lösung«
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Link hierher:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/11/selbstmord.html

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