Juni 2007
Die Mücken machens möglich. Sie wecken einen. Das Morgengrauen – fünf Uhr früh – ist allmählich einem Morgenrosa gewichen, die Wolken nehmen Formen an, die Berge schälen sich heraus als Silhouetten.
Es ist kurz vor sechs an einem Freitag in Oberalm. Ich sitze am offenen Fenster im alten Haus meiner Eltern, in dem jetzt mein Bruder Edgar lebt. Carla ist hinter mir im Bett wieder eingeschlafen, nachdem sie schon um fünf hinuntergetapst war in den Garten, ein Stück Aloe abbrechen. Der Saft soll Mückenstiche lindern, meint Edgar. Hier oben im dritten Stock unter Dach füllt, vom Bett her gesehen, der riesige Kirschbaum das Fenster aus. Die grünen Kirschblätter mit ihrer gerichteten Struktur wirken wie eine Tapete oder ein expressionistisches Bild. Dazu Vogelgezwitscher satt. Ein paar Spatzen sieht man zwischen den Kirschen springen. Sonnenaufgang 5 Uhr 59, ein weiches, gelbes Licht in den Bäumen, das den Zweigen Tiefe gibt. Der Tag ist da. Und ich sollte zum Thema kommen.

Zum Bild: Der Kirschbaum ist der in der Bildmitte rechts, der »Zaun« ein modernes Hochbeet für Gemüse, und einen Lan-Anschluss habe ich auch (nicht zu sehen ...), weil Edgar hier oben sein Architekturbüro hat. Alle Bilder hier sind übrigens klickbar und entfalten dann ihre wahre Größe. Doch kommen wir endlich zum Reisebericht.
Carla (5) und ich (65) sind am Montag früh mit meinem alten »Direktionswagen« aus Bonn losgefahren, in den Süden, Reisetasche und Proviant wohl gepackt von Gisela, Schlafsäcke dabei. Ich wollte mit ihr noch einmal eine Reise machen, bevor die Schulzeit sie ab August unabkömmlich macht. Die Schulfreunde, die ich besuchen wollte, ließen sich nicht alle erreichen, aber Schorsch, der mir immer seine Ladakh-Tagebücher (Wie schreibt man »eine dreiviertel Stunde«?) schickt und SMS über die Horrorzustände bei seiner dementen Mutter, ließ sich besuchen, in Augsburg.
Der Tag war herrlich schön, ein heißer Sommertag, der Verkehr flüssig wie in alten Tagen. Wir steuerten zunächst das Legoland bei Ulm an, kamen dort aber erst gegen drei Uhr nachmittags an.
Danach gings dann, Navi-gesteuert, in die Augsburger Innenstadt, Lechviertel. Schorschs Mutter wohnt dort in einem alten Haus, das die Bomben verschont hatten, und das nun langsam unverändert in die Jahre kommt.
Schorsch begleitete uns dann noch zum Parkhaus und dann bis vor die Stadt hinaus, damit wir ja den Weg finden. Wir wollten zu Brittings bei Rosenheim. Der Tag, Dienstag, wurde noch heißer als der Vortag, dabei strahlend klar und einfach herrlich. Am Irschenberg am Parkplatz mit dem Kirchenblick habe ich Pause gemacht. Carla interessierte sich natürlich weniger für die Alpen als für die Frage, ob man auf die dortigen Bäume klettern kann. Leider nicht – siehe Bild.
Wir trafen Brittings um zwölf im Gasthaus Post in Rohrdorf, draußen die Hitze fast unerträglich, drin ein gutes, bayrisches Mittagessen. Es war so schön, die beiden wieder zu sehen, in guter Frische. Wir fuhren dann noch hintereinander zu ihnen nach Höhenmoos, sie legte sich zum Nachmittagsschläfchen, und er zeigte uns noch dies und das, seine Technik – ganz modern TV als PC und umgekehrt mit allen Raffinessen, aber auch Tischlerarbeiten – und schenkte uns einen nicht mehr gebrauchten Receiver, der inzwischen schon hier bei Edgar im Wohnzimmer gute Radiodienste tut. Ein kurzer, ein schöner Besuch.
Am Abend haben wir noch die beiden Enkel Antonio und Felix meiner Schwester Marianne kennengelernt. Das junge Paar war da, scheinbar temporär geflüchtet von der anderen Oma. Wir blieben nur kurz, zogen uns schnell zu meinem Bruder Edgar, »zu uns« zurück – wo gerade Kirschenmassen für Marmelade entkernt wurden.
Mittwoch war genauso heiß, und ein ereignisreicher Tag für Carla. Mittag mit meinen Eltern beim Hammerwirt draußen essen. Am Nachmittag gings ins Halleiner Freibad – mir von ähnlichen Besuchen mit Birte noch wohl bekannt – und am Abend, große Verwöhnung, ins Salzburger Marionettentheater. Es gab die (Carla schon von DVD gut bekannte) Aufführung der Zauberflöte, diesmal aber aus der zweiten Reihe in Natura, groß und beeindruckend. Vorher waren wir noch in den Mirabellgarten gegangen (mit Japaner) und die Stiege in der Residenz hinauf und hinunter (ohne Japaner). Nachher Unwetter.
Der Donnerstag war schon trüber, vielleicht fünfzehn Grad kühler. Wir machten einen Bummeltag. Ich habe Edgar neue Türklinken an der Badtür eingebaut, eine Fummelei, für die man nur so Zeit findet, vergeblich versucht, eine Steckdose zu beleben, den Brittingschen Receiver installiert, einen Herdplattendrehknopf repariert, drei neue Reisehandys für seine Kinder programmiert, die im Sommer kommen, mit Carla ein »Meccano«-Auto zusammengeschraubt. Diese französische Märklin-Kopie verwendet Inbusschrauben! (Ich sollte ein »Wie?« über Inbusschrauben schreiben.) Zu Mittag waren wir bei Oma und Opa, sehr nett, der Explosionsrauch vom Vortag (»Schlüsselfrage«) war verweht. Am Abend saßen wir dann noch mit Edgar und Petra beim Hammerwirt.
Es wurde dann doch wieder ein langer, ereignisreicher Tag. Vormittags packen und Allfälliges, Mittag noch bei Edgar, Mami kam kurz zur Verabschiedung (und zu ihrem ceterum censeo, dem ersehnten Schlagbaumschlüssel am Vorderen Stall, aber das wäre eine andere Geschichte). Kurz: Wir sind erst um halb zwei losgekommen, haben getankt, und sind hinauf auf den Dürrnberg gefahren. Carla hatte sich einen Salzbergwerksbesuch gewünscht, wohl hauptsächlich der Rutschen wegen. Lustig wars wieder. Allerdings war es dann schon nach drei, bis wir loskamen, sodass wir – dank ärgerlichem Baustellenstau – erst um sechs bei Birte »am Campeon« waren – und erst nachts um eins in Bonn.
– Insgesamt 1556 km, der Liter Super in Deutschland 1,329 Euro, in Österreich 1,134 Euro.
Politisches PS. Kristina Stuppi von Harward Public Relations in München entschuldigt sich eine Stunde nach Veröffentlichung einer Toshiba-Pressemitteilung: »... nachdem wir einiges Feedback erhalten haben auf die Überschrift unseres letzten Aussandes, möchten wir uns für die Verwendung des Spruches „Jedem das Seine“ entschuldigen. Dieses Schlagwort, das in der griechischen Philosophie und im römischen Recht genutzt wurde, wurde im 3. Reich pervertiert und stand auch über dem KZ Buchenwald. Eine Anspielung war natürlich keinesfalls geplant.«