15. Juni 2007

Heute Historisch-Persönliches, zur Abwechslung. Stichwort Benno Ohnesorg
Die Achtundsechziger
1 Stück Aufgabe am 3. 3. (?) 1962 – 312 151
von München Hbf nach Berlin Zoo über Probstzella
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Nach neun Jahren Erziehung in einem staatl. bayrischen Internat wollte ich in Berlin studieren, 1961. Zu Bayern die Antipode. Da hatte ich aber die Planung ohne meinen sel. Großvater Hödl gemacht. Er war zwar persönlich sehr Berlin-affin, hatte dort seine erste Stelle gehabt, lehnte einen Umzug des angehenden Studenten Fritz Jörn dorthin aber ab, der Politik halber. Ich hätte ja zum Revolutionär werden können. Berlin war damals, noch vor der Mauer, eine politisch brummende (brummelige?) Stadt – und sonst schön verschlafen, westgefördert, wie immer unwirtschaftlich, Wehrdienstverweigerer bevorzugt. Also fing ich in Stuttgart an zu studieren. Vorher durfte ich  (als Kompromiss) in Berlin das Vorpraktikum machen. Das war damals insgesamt ein halbes Jahr. Als bayrischer Sommer-Abiturient erlaubte man mir, das Vorpraktikum in Teilen abzuarbeiten, ein langes Stück vor dem Studium und den Rest in Semesterferien. So kam es, dass ich schon im Sommer 1961 nach Berlin kam. (Im Bild ein Detail meines Rohrplattenkoffers, 102 × 55 × 31 cm, in dem ich all meinen Besitz trug). Ich wohnte in einem Studentenheim in der Reuterstraße im Wedding. Die erste Nacht schlief ich quer über zwei Sofasesseln, weil das dort eher nicht so geklappt hat, in den Ferien. Gearbeitet habe ich bei der AEG. Erst nach dem Vordiplom bin ich dann auch als Student ganz und gar nach Berlin gezogen. Da hatte ich mich wohl in den Augen meines sel. Großvaters bereits politisch korrekt erwiesen.
Ich studierte also zur Zeit der 68er – bis 1969 – an der Technischen Universität Berlin. Vom ganzen 68er-Rummel habe ich nichts mitbekommen. Nicht, als ob wir »Techniker« Veranstaltungen gemieden hätten. Ich erinnere mich noch jeweils dreitägiger Faschingsveranstaltungen der bildenden Kunst, gegenüber dem Steinplatz-Kino, das wir wegen der Eddi-Spätvorstellungen stets gerne besuchten. Nur hat uns halt Politik weniger interessiert, vor allem nicht diese eskalierende Gewalt, erst einmal gegen Sachen, bald gegen Leute, das bleibt nicht aus. Es ging um Persien. Was hatten wir mit Persien zu tun? Gab es in Deutschland nichts demonstartionswürdiges? Die Teilung? Die Schikanen durch den Osten. Überhaupt die Eingesperrten in der Zone, wo es ja ganz nett und billig war (vor allem die Schallplatten), so schön nicht-hochglanz, fast waldorfsch tät man heute sagen, aber halt doch recht eingeschränkt.
Warum sollte der Schah nicht mit Gattin in die Oper gehen, die Waschebeton-hässliche? Das war zwei Häuserblocks von mir entfernt. Ich lebte in einem gemütlichen Laden in der Hebbelstraße, einer wegen Bodensenkung gesperrten Nebenstraße der Charlottenburger Schlossstraße. Ich bin doch nicht zu dem Rabatz gegangen, hab mir das im Radio angehört, die gegenseitigen Sprechchöre, dann die Nachricht über den Tod von Benno Ohnesorg, angeblich eingekesselt in einem Innenhof. Entsetzen machte sich breit, sonst nichts.
Inzwischen wird der arme Mann hingestellt fast wie ein zufälliger Passant, der unter die Räder der Polizei gekommen ist. Man musste damals nicht hingehen. Man durfte auch studieren. An der »Freien Universität« im Berliner Süden war das wohl weniger üblich. Überhaupt haben uns meiner Meinung nach die 68er in Deutschland um rund dreißig Jahre zurückgeworfen. Wir haben statt einer Entwicklung unseres Gemeinwesens, statt Computer zu erfinden und fleißig den Wohlstand zu mehren, statt unsere Kinder auszubilden die Belastbarkeit des Staates, die Durchlässigkeit der Institutionen getestet. Wir haben uns abgekoppelt, die 68er von der Welt, die Bürger vom Staat.
Persönlich fand ich den ganzen Zauber bis hin zu den Demonstrationen gegen Startbahnen, Atomkraftwerken, Straßenbauten usw. als tief undemokratisch. Mit großem Aufwand von Moralin und staatlichem Geld wurden Heerscharen von Polizisten bereitgehalten, gewaltsamen Widerstand möglichst liebevoll zu beenden. Wer »nur« zur Wahl ging wie ich, der war der Dumme. Seine Meinung war nicht gefragt und kam selten zur Wirkung. Nur wer sich Zeit nahm, umherzudemonstrieren, sich auf Straßen zu setzen oder an Gleise zu ketten, wurde ernst genommen. Demokratie wurde buchstäblich mit Füßen getreten. Und jetzt – haben wir da eine?

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