Aschermittwoch heuer, nach zwei Jahren ohne Karnevalszügen, mit medizinischen Masken statt Verkleidungen, Krieg, Ungewissheit, Pazifismus vorbei. Und das bleibt weiter so, tempora mutantur: Die Zeiten, die ändern sich, für alle – wie noch nie in unserem Leben.
Wie vor dem neuen Krieg gewohnt war ich auf Aschensuche. « Memento homo, quia es pulvis, et in pulverem reverteris ». Der alte Spruch lief mir im Kopf herum; reverteris fand ich noch nie wohlklingend, sollte es auch nicht sein. (Als Techniker hätte ich reverberis lieber.) Und so heißt es heute auch nimmer, sondern: »Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst«. Oder so ähnlich, inzwischen immer nur deutsch, Landessprache, weniger schlagkräftig also, außer das Staub wird gezischt wie ein Fluch.
Unser Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken, groß von Figur und telegen, der konnte das, herab vom fernen Hochaltar im Bonner Münster. Doch ich greife vor.
In meiner gewohnten Stiftskirche in der Altstadt, da war nichts. Das passiert öfter. Ich hatte mir erst einmal den elektronischen Wecker im Smartphone für Viertel nach neun in der nahen Remigiuskirche gestellt, da sollte es eine Messe mit anschließender Asche geben. Dem aber war nicht so. Ich muss mich vielleicht im Jahr getäuscht haben. Ein einsamer Zeitungsleser saß hinten herum, mürrisch oder hingegeben, jedenfalls blieb er grußlos. Bei ein paar historischen schwarzen Messbüchern stand, es seien alle aktuellen entwendet worden. Ein Kugelschreiber-Kommentator hatte dazugeschrieben: Vielleicht haben die Leute gemeint, die gäb’s geschenkt? Die Kirche war geheizt, wie wohl alle in der Innenstadt Bonns. »Meine« Stiftskirche in der nahen Kölnstraße bleibt im Winter kalt bis saukalt, weil wir da Gott in seiner Schöpfung loben, wie uns der letzte »Eckstein«, das zugehörige Kirchenmagazin, weis macht. Ein Umweltpamphlet. Die letzten alten Katholiken werden auch noch verscheucht, die Orgeln leiden unter Kondenswasser, wenn es wieder wärmer wird. Ärgerlich, doch selbst auf Irrwegen kommt man zu Gott, tiefgefroren.
Die Mittagsandacht in St. Remigius – aus meiner Sicht |
Zu Mittag, entnahm ich dem Remigius-Schaukasten, gäb’s wieder eine Messe, 12.15 Uhr. So richtig klar war’s nicht mit der Asche, mit der Messe auch nicht; aber ich bin alt. Hingegangen bin ich trotzdem, ist nicht weit für mich. Tatsächlich: Zwei junge Gläubige kamen und setzten sich rechts vorn in die erste Bank, schlugen College-Blöcke auf, und bereiten sich vor auf das, das kommen sollte. Pünktlich schellte die Glocke an der Sakristei, und es kamen sechs gewandete Frauen und Männer heraus, nahmen feierlich und ohne Umstände Platz (kein Knicks vor dem Herrn). Sie sangen schön, etwas lau fand ich, aber bitte, mir war’s wie eine feingefühlige Vorsuppe, in Ehren. Ich saß in der Mitte der Kirche, gehörig (für Männer) rechts, und dachte an »unser« samstägliches Mittagsgebet im Stift, wo außer der Handvoll Habituees auch keiner kommt. Die Fürbitten waren ähnlich. Danach habe ich mich noch etwas mit den weißen Herren unterhalten, nett, und als Besonderheit ökumenisch!
Der Nachmittag ging dann so herum. Ich rang mit mir, ob ich noch einen letzten, dritten Versuch im Münster machen sollte, 18 Uhr. Und ging dann doch hin. Dechant Dr. Picken nennt’s die »Kirche in der Stadt«. Er ist zwar bei uns in der Altstadt auch »Leitender Pfarrer« mit großem L. Aber gegen das Münster sehen wir alt aus, obwohl der Stift näher an den Menschen ist, einheitlicher, und Gott dort nahbarer durch den fehlenden Hochaltar.
Und richtig. Mengen – nicht unbedingt Massen – strömten ins abendliche Bonner Münster, das voll besetzt war, schätzungsweise achthundert Leute. Das war eine richtige Messe, ein Hochamt im Wortsinn oben am Hochaltar, erst großer Einzug mit Vorantrage-Kreuz, erwachsenen Ministranten (Maxistranten gibt’s nicht), einer wohlgewandeten »Münsterschola«, die dann zart sang, Weihrauch, geschwenkt, und bei der Wandlung echtes Klingeln, wie zu guten, alten Zeiten überall. Bei uns im Stift ist dergleichen schon wegrationalisiert, aber da pressiert’s auch, schon wegen der Kälte.
Das Aschenkreuz auf die Stirn gab es gegen Anfang der Messe. Das ist eher eine fette, schwarze Creme auf die Stirn, jeweils mit dem Spruch »Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst«. Lektorinnen waren ausgeschwärmt in die Tiefen der Kirche damit.
Zu Asche und zur Fastenzeit predigte dann auch ausgiebig Dr. Picken, zumal die Messe ins Internet übertragen wurde. Er sprach immer von Staub, mit heftigem St, und das klang wie sich’s gehörte donnernd und zischend und streng. Danach Wandlung und allgemeine Kommunion, was mich innerlich eher stört, immer und zu jedem Anlass Kommunion. Protestanten machen das nicht, jedenfalls früher nicht, und auch wir Katholiken gingen immer nur gut vorbereitet zur Kommunion – nüchtern und frisch von Todsünden befreit durch eine Beichte jüngeren Datums. Nun, Gott wird’s inzwischen nicht mehr so genau nehmen. Die abendliche Stimmung, der leichte Dunst von Weihrauch im Münster, aufgeräumte Teilnehmer, das war schon denkwürdig, erinnerungswürdig. Ein lautlos herumkurvender Rollstuhlfahrer. Ein leicht behinderter Junge mit Mutter und Bruder, den sie zurechtwies. Das schreiende Baby, das Gott so schätzt. Wer weiß, ob es das in zwanzig Jahren noch gibt …
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Links
Die Messe im Münster
https://youtu.be/oMSbsE77pho (eineinhalb Stunden)
https://www.bonner-muenster.de/export/sites/bonner-muenster/.galleries/dokumente/04_kis.pdf
Die Bonner Stadtkirche feiert an Aschermittwoch um 8 Uhr, 12.15 Uhr und um 18 Uhr die Heilige Messe im Bonner Münster. In den Gottesdiensten wird das Aschenkreuz ausgeteilt. Es singt die Münsterschola unter der Leitung von Sylvia Dörnemann – an der Orgel: Thiemo Dahmen.
Link hierher:
https://blogabissl.blogspot.com/2023/02/mein-aschermittwoch-2023.html
Bonner Münster, temporärer Westeingang. Februar 2023 |