11. Juli 2017

Mein erstes Hörgerät

Natürlich sind’s meine ersten zwei Hörgeräte, rechte eins und links eins.
   Schon seit Jahren hatte mir der gelegentlich besuchte Ohrenarzt ein Hörgerät empfohlen. Das Gehirn sollte sich rechtzeiting an die Nebengeräusche gewöhnen können; mit zunehmendem Alter fiele ihm das schwerer. Außerdem halten mich tatsächlich manche für schwerhörig; ich nicht, aber die kritische Familie.
   Also habe ich mir nach dem Tod meines Schwiegervaters im Juli 2014 dessen Hörgeräte erbeten (Phonak Certéna Art micro HdO, für »hinter dem Ohr«). Drei Jahre habe ich gebraucht, sie für mich einstellen zu lassen – dazu später.
   Erst erste Erfahrungen: Zunächst stören einen helle Geräusche. Das geht aber schnell weg – vielleicht weil mein Gehirn jung geblieben ist? Nach ein paar Minuten hatte ich mich dran gewöhnt. Ich trage jetzt meine Geräte allerdings auch konsequent immer, außer zur Nacht.
   Die hellen Töne – die akustisch eigentlich gar nicht gut durch das enge Verbindungsröhrchen vom Verstärker hinter dem Ohr in das Ohr hinein laufen dürften – diese altersbedingt unbekannten Töne, die ich jetzt höre, sind mir meist unnötig. Vom Aufziehen der Armbanduhr bis zum Knarzen der Dielen, vom Umblättern der Zeitung bis zum Mausklick und dem Klappern der alten Cherry-Tastatur (ca. 1985), vom Schwalbenpfeifen bis zum Straßen­bahn­quiet­schen, vom Schlüsselbund über den Regenguss bis zum hellen Plätschern des Wassers (beim »Lassen«) – ich lebte ohne diese Geräusche auch ganz gut.
   Hohe Töne sind meist »Eigengeräusche« – aber sie sind die einzigen, die einen die Schallquelle orten lassen. Das liegt an der allgemeinen Wellen­aus­brei­tung: Langwellige (tieffrequente) Wellen beugen sich mehr um alle Ecken, »schnelle«, hochfrequente Wellen erreichen pfeilgerade ihr Ziel – oder gar nicht. 
   Im lauten Biergarten beim Essen oder in der nachalligen Kirche am Sonntag hat mich meine Schwerhörigkeit am meisten behindert: Was hat der Herr hinten am Tisch gesagt? Wovon predigt der fromme Mann, der bei den Katholiken unbedingt ein voller Priester sein muss? Alles andere ist wie Bachesrauschen – schön ist’s auch ohne. Überhaupt ist eine tieftönige Umwelt heimeliger, gemütlicher. Man kann sich besser versenken, besser schlafen (ohnehin ohne Hörgeräte), besser weghören. Als Techniker bevorzuge ich einstweilen natürlich die volle “High Fidelity” (technisch ist’s auch mit Hörhilfe keine!), den Schall sozusagen nach Reinheitsgebot; da sollte nichts fehlen.
   Zumal die Geräte total unauffällig sind. Im Lauf der Woche hat mich noch niemand angesprochen: »Aha, Sie haben jetzt auch Hörgeräte!«. Die Leute merken es nicht einmal, oder sie ignorieren es wie eine Brille. 
   Neuere Geräte haben übrigens keine Ton­leit­schläuche ins Ohr, sondern nur eine Stromleitung dorthin. Der »Wandler« (Lautsprecher) befindet sich dann ganz im Ohr, was für hohe Töne besser ist. Allerdings geht das nicht ohne individuell angepasstes Ohrstück. Meine Orstücke sind standard und »offen«, wie Schirmchen ohne Stoff. Oft werden aufladbare Akkus statt Wegwerfbatterien verwendet.
   Rasch noch ein paar Nachteile: Wieder was Technisches zum Mitnehmen, und Batterien braucht’s auch; das Bluetooth-Freisprechset im Ohr fürs Handy passt nicht mehr draf, oder?. Wenn es juckt, traut sich anfangs nicht, sich im Ohr zu kratzen – ohnehin eine Unsitte (aber durchaus wie gewohnt möglich!). Wie lang die Batterien halten und was sie kosten schreib’ ich unten.
   Was die »Hörprogramme« sind, habe ich auch noch nicht he­raus­ge­fun­den, und ob ich solche überhaupt habe. Jedenfalls braucht man zum Pro­gramm­wech­sel nur auf einer Seite zu drücken, die Geräte sagen sich’s untereinander weiter … Die Anleitung meint: »Der Pro­gramm­wahl­schal­ter ermöglicht das Umschalten zwischen der Betriebsart Automatik‹, ›Stumm‹ und in­di­vi­du­ellen Hör­pro­gramm­en. Eine kurze Melodie bestätigt die Aktivierung der Betriebsart ›Automatik‹.« Bei mir gehen die Geräte erst aus (kein Bestätigungssignal, weil ja aus) und beim nächsten Mal wieder an: Tütalidadü in Stereo von einem Ohr zum anderen. 

   Noch ein paar staatskritische Bemerkungen.
• Hörgeräte sind »Medizinprodukte« und unterliegen detaillierten staatlichen und europäischen Gesetzen (Wikipedia). Gebrauchte dürfen offiziell nicht wieder angepasst werden. 
   Solche Vorschriften erhöhen das Nationalprodukt.
• Hörgeräte sind teuer, selbst gebrauchte. 
   »Hörhilfen«, sogar mit Wandler im Ohr, hingegen gibt’s ab rund vierzig Euro (Beispiel).
   Auch eine App am Smartphone kann Hören helfen (kostenloses Beispiel), allerdings dürfen die Smartphones nicht zu lange brauchen, um den Ton widerzugeben (Latenzzeit). (Weitere, Amazon-Hilfe) – Nicht zu verwechseln mit App-Steuerung von Hörgeräten (Beispiel).
Meine Hörkurve 2016 vom rechten, besseren Ohr
• Die Krankenkasse verlangt die »ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe« etwa mit der Diagnose beidseitiger »Schall­empfindlich­keits­schwer­hörigkeit«. Trotzdem kann (»muss«) sie eine Hörhilfe ablehnen, wenn ihres Erachtens die Schwerhörigkeit (wie bei mir) noch zu schwach ist: »Der ton­audio­met­ri­sche Hörverlust muss auf dem besseren Ohr mindestens 30 Dezibel (dB) in mindestens einer der Prüffrequenzen zwischen 500 und 4.000 Hertz betragen. Zudem darf sprachaudiometrsisch die Ver­stehen­squo­te auf dem besseren Ohr mit Kopfhörern bei Verwendung des Freiburger Einsilbertests bei 65 dB nicht mehr als 80 Prozent be­tra­gen.« (Brief vom 21.12.2016.)
   Bloßes Einstellen alter Geräte ist natürlich tabu.
   Wenn, dann erstattet sie nur einen Basisbetrag, die Techniker-Kran­ken­kasse € 1.534,02. Batterien muss man immer selbst zahlen.
• Der erste Hörakustiker, Tegtmeier neben dem Woki in Bonn, wollte zweihundert Euro nur für das Einstellen der zwei Geräte. Mir war das zu teuer. Nach zweimaligem Ohrenarzbesuch (Händeschütteln durch Arzt, Vermessen durch Assistentin) lehnte meine Kasse eine Kostenbeteiligung ab – was das gekostet haben mag, weiß höchstens unser »Gesundheitssystem«. Nach drei Jahren fand ich dann einen Akustiker, der mir die Geräte kostenlos einstellte. Um ihn nicht bloßzustellen, nenne ich ihn hier nicht. Ich gab ihm ein Trinkgeld.
• Die Kultusministerkonferenz schreibt deutschlandweit eine einzige Hörakustikerberufsschule vor, die »Bundesoffene [stets großgeschrieben] Landesberufsschule für Hörakustiker und Hörakustikerinnen« in Lübeck. »Die ham was offen!«, hätt’ man ordinär gesagt …

Ausziehbares Hörrohr (dann 37 Zentimeter lang), um 1900, Schildpattimitat
Link hierher:
https://blogabissl.blogspot.com/2017/07/mein-erstes-horgerat.html

 Nachtrag: 23.7.2017. Erfahrungen mit den Batterien
»Rayovac Proline Advanved
Premium Zink Air«-Hörgerätebatterien,
angeblich weltweit die meistverkauften.
   Die neuen Batterien vom Hörgeräteakustiker haben genau zwei Wochen und einen halben Tag gehalten. Die Geräte hatte ich nur nachts aus­ge­schal­tet, tagsüber getragen. Also habe ich geerbte frische alte eingelegt, vom November 2012 – fünf Jahre alt also –, und die arbeiten einwandfrei. Wie lange, werde ich hören. 
   Gegoogelt kosten 60 Batterien (also 30 Pärchen) des Typs »Rayovac« (nominal 1,45V 180mAh) »PR 41 Typ 312« 15 bis 20 Euro. Die müssten dann für ein Jahr reichen …
 1., frische, Batterie hielt ca. 3 Wochen, Wechsel Mitte Juli 2017
 2. hielt ebenfalls ca. 3 Wochen bis 14.8., Batteriewechsel 16.8. 
 3. Wechsel am 26.8. – 10 Tage nur. Allerdings immer noch die alten Akkus vom Schwiegervater. 
 3. Rechts wieder am 5. und zwei Tage später am 7. 9. – einmal etwas zeitversetzt – links. 
 4. 18.9.2017 – Beide Batterien neu eingesetzt.
 5. 28.9.2017 – Danach blieben die Geräte leider unauffindbar.
Das Hörgerät sendet erst ein Morse-M » — — « zur Warnung, dass die Batterie gleich aufgibt, und Minuten später ein zweites. Danach bleibt es aus.
   Feriennachtrag Juli 2017. Grillen. Das Zirpen (mit zwei In­ten­si­täts­ma­xi­ma: einem schmalen bei 4—5 kHz und einem breiten bei 10—16 kHz) kann man mit den Hörgeräten ganz stummschalten, etwa beim Santnerwirt im Sarntal … Dazu eine Kuriosität aus Amerika: Zur Temperaturbestimmung »muss man lediglich 13 Sekunden lang zählen, wie oft das Insekt [Oecantus fultoni] zirpt. Addiert man zu dieser Zahl 40, dann erhält man die Temperatur am Standort der Grille in Grad Fahrenheit

Monaurales Hörgerät 1955. Tante Mitzi (Marie Hödl, 1880—1959, 75-jährig in Bozen. Foto M. Hödl, Alben 1955—58, 04.jpg. Großvater hatte sehr an ihr gehangen. Sie lebte in Graz, meine ich.)

April 2019 – »Hörverstärker«
   
Ich Depp hab’ die schönen Hörgeräte verloren! 
   Also hab’ ich mir zur Abwechslung für vierzig Euro bei Pearl »HdO-Hörverstärker HV-340« geleistet, http://www.pearl.de/a-NX9094-5250.shtml?vid=914. »HdO« steht für hinter dem Ohr, und sagt einfach nur, dass es ein normales Ohrgerät ist, und HV-340 muss eine Pearl-Bezeichung sein. Der Hersteller, Newgen Medicals, nennt die Dinger NX-9094-675 und ein einzelnes NX-9098-675. Sie sind als »Hörhilfen« oder »Hörverstärker« zum Beispiel auch bei Amazon zu haben, hier
Foto Hersteller
Die Geräte dürfen scheint’s nicht Geräte genannt werden. »Hörverstärker sind als kurzzeitige Hilfsmittel gedacht und können ein Hörgerät nicht ersetzen«, mahnen Optiker und warnen vor »nicht unerheblichen Risiken« wie Rückkoppeln und unangepasstem Betrieb. Diese professionelle Warnung gebe ich hier vorsichtshalber vorangestellt weiter. »Manche Produkte zur Hörverstärkung tragen medizinisch anmutende Namen – wie die Artikel des Herstellers Newgen Medicals«, böse, böse! Ganz »Newgen« scheint mir Hoflieferant oder mehr von Pearl zu sein, und klingt ja auch nicht nach »Oldys«. So what.
   Laut Pearl verstärkt der Hörverstärker Frequenzen von 300 bis 4000 Hz »speziell im Bereich des Sprachverstehens« akustisch »um bis zu« 40 dB – also um vier Zehnerpotenzen
   Darf ich das einmal technisch kommentieren.
   Die Verstärkung ist satt ausreichend. Man muss den Lautstärkeregler stark herunterdrehen und sich am besten mit dem Bleistift die bevorzugte Stellung markieren. Durch den Abstand zwischen den Ohrstöpseln im Gehörgang – es werden dreierlei mitgeliefert – und dem jeweiligen Mikrophon am Gerät hinter dem Ohr lässt sich Rückkoppeln im Gebrauch gut verhindern. Bei mir pfiff das Ding höchstens beim Einstellen am Ohr und der Hand drumrum.
   Der Frequenzgang – also welche Frequenzen mehr, welche weniger verstärkt werden – lässt sich nicht anpassen. Höhere Frequenzen, die erfahrungsgemäß bei Schwerhörigkeit am meisten leiden, werden mehr verstärkt als tiefe. Die 4000-Hz-Grenze ist die obere Frequenzgrenze beim Telefon (ganz früher 3600 Hz), auch bei ISDN (Abtastrate entsprechend 8 kHz). Bei der heutigen Internettelefonie ist das auch so, obwohl man bessere oder schlechtere Qualitäten hört.
   Das Schöne an den Sprachverstärkern ist deren vernünftiger Preis und dass man sie über USB wiederaufladen kann. Sie müssen mit den Bügeln nach hinten, wie im Bild, satt im Lader sitzen, und die Dioden hinten müssen leuchten: erst rot, wenn aufgeladen grün. Sonst stimmt was mit dem Kontakt nicht.
   Im Gebrauch hört man – wie bei Hörgeräten auch – zunächst eine Menge hoher Töne. Das ist nicht angenehm, nachgerade ungemütlich. Dielen knarren, Grillen zirpen, Geschirr klappert, Wasser rauscht, je nach Environment. So, wie Frauenstimmen heller und damit verständlicher sind, versteht man mit verstärkten hohen Tönen besser. Man muss sich erst daran gewöhnen, und man sollte vor allem nicht zu laut aufdrehen. Wie bei Hörgeräten bekommt das Gehirn bald einmal mit, dass Nebengeräusche vernachlässigbar sind. Vielen Dank an den Kopf!

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