25. August 2010

Toponomastik
Zum Südtiroler Ortsnamensstreit

Die Ortsnamensfrage ist im zweisprachigen Südtirol ein Dauerbrenner. Neuerdings geht es um die hölzernen Wegweiser des Alpenvereins Südtirol, des AVS – im Bild ein Beispiel. (Mehr zur Sache bezw. ein Einführungsartikel zum Thema aus der Neuen Zürcher Zeitung durch Klick drauf.) Wieder einmal gibt es einen Gesetzentwurf. Wieder einmal streiten sich die hier Gebildeten um die »Toponomastik«. Dabei kennt man diesen Begriff in normalen Gegenden (oder Word-Programmen) nicht einmal. Inwieweit die speziellen Wegweiser ungesetzlich sind, inwieweit sie Italienisch berücksichtigen – das tun sie gelegentlich wie hier im Bild – kann ich nicht beurteilen und bitte um Vergebung, hier nur sprachlich generell zu werden.

Ich sehe Benennungen sprachtechnisch, kommunikationstechnisch. Mir sind sprachliche Höflichkeit, Verständlichkeit, Merkbarkeit wichtig. Wer sich einen Namen ausgedacht hat und wann, das finde ich zwar recht interessant, aber für die Kommunikation unerheblich – selbst wenn der Name, wie hier so oft – von einem Faschisten stammt oder nur schlampig übersetzt ist. Ob ein Name einen amtlichen Segen hat oder nicht, auch das will mich nichts angehen. Die Frage ist: Versteht der Leser, der Hörer, der Angesprochene die Sache? Weiß er gleich, worums geht? Wie sagt er?
Wie verwendet er den Namen? Wie gibt er den Begriff weiter?

Zurück also zur Sache, zum Benannten. Selbst wenn der ein Mensch ist, werde ich ihn zwar höflichkeitshalber mit dem von ihm gewünschten Namen ansprechen, ihn aber im »Eigengebrauch« nach eigenem Gusto benennen. Nichts und niemand hat das Recht, anderen vorzuschreiben, wie sie unter sich über ihn reden. Engländer schreiben Habsburg gern mit p (s. http://en.wikipedia.org/wiki/Hapsburg), das klingt richtig.

Zugegeben: Schwierig wird es mit Orten, die sich mutwillig umbenennen. Muss ich aus Protest vor den Untaten der frühen Türkischen Republik, die 1930 Istanbul als Name festschrieb, weiter Konstantinopel sagen? Sollte ich Afing (it. Avigna), eine Fraktion Jenesiens, Avia nennen, nur weil der Name von a via kommt? Deutsche schreiben statt Wilna inzwischen ja auch Vilnius, sprich Vilnus. Oder Mumbai, wenn ich Bombay meine? Das hängt davon ab, mit wem ich spreche, wem ich mich verständlich machen will, und wann. Früher oder später mag sich Mumbai einbürgern, so wie heute niemand mehr Agram sagt sondern Zagreb, viele aber noch Pressburg, und wir alle (mit Ausnahme der deutschen Illustrierten Stern): Trient.

Unser Hof heißt Siebenfahrer oder kurz Siebenfahr. Der Name ist natürlich falsch, das Fahren gewiss, und sehr wahrscheinlich auch das Sieben. Früher hat man es beim Schreiben nicht so genau genommen, konnte es oft auch nicht, und dann ist im Zeitalter der Schreibmaschinen irgendeiner der Namen stehen geblieben. Die Italiener haben aus Siebenfahrer Settecarri gemacht. Ich rege mich nicht auf darüber. Wenn sie sich das besser merken können, warum nicht? Einen Hiesigen dürfen sie danach nicht fragen, der kennt nur den Siebenfahr. – Am Hof gibt es Flurnamen, Namen der Äcker, die einmal bearbeitet wurden, Lehen, Raut, Angerwies, Ebenwies, Leite, Wasendraht und so weiter, die gibt es italienisch meines Wissens nicht, und deutsch auch nicht mehr, weil sie keiner mehr nennt, keiner mehr kennt. Aus Äckern ist eine Wiese geworden. Das finde ich schade. Zudem sind manche schon ganz zugewachsen, wie die Noag Wies oder das Anreuthel, da ist jetzt Wald, Abteilung 17 oder 16.

Es hängt also ab davon, ob ein Name einer bestimmten Gruppe von Leuten geläufig ist. Der Rest ist Höflichkeit. Und um allgemein zu Schildern zu kommen, um die es beim Südtiroler Toponomastikstreit immer am meisten geht: Da würde ich mir wünschen, wenn es in Bozen Richtungsschilder auch nach Trient gäbe und nicht nur nach Trento, und in Trient gelegentlich welche nach Bozen – sofern man in Trient annimmt, dass sich dort auch Deutsche zu orientieren versuchen. Ich werde nie ein Schild zum Maso Settecarri aufstellen, aber nur, weil so wenig Italiener kommen, und die meisten eh Siebenfahrer sagen. Überhaupt haben wir kein Schild zum Hof (dafür eine Anfahrbeschreibung im Internet).

Also. Die Namen, die Hinweise, die Tafeln und Wegweiser müssen sich auf die einstellen, die sie lesen oder lesen sollen. Kommunikation heißt, dass der Angesprochene das Gesagte versteht, schnell, leicht und flüssig – nicht der Sprechende. Es geht um den Empfänger, nicht den Sender. Wie die Sache wirklich heißt, wie sie sich nennen mag, wie Ämter, Verkehrsbetriebe und Straßenverwaltungen sie zu benamen geruhen, ist wichtig nur für die, ist nachgerade eine Karl-Valentin-philosophische Frage. Die mögen sich Rechtschreibregeln ausdenken, die feiner gesponnen und gnadenloser sind als jeder Duden, der bereits Spaghetti mit und ohne h zulässt, aus Flexibilität und Freundlichkeit denen gegenüber, die kein Italienisch können. Regel 33: »Häufig gebrauchte Fremdwörter, vor allem solche, die keine dem Deutschen fremde Laute enthalten, können sich nach und nach der deutschen Schreibweise angleichen.«

Bei höflichen Hinweisen müsste man, feingesponnen, noch die sprachliche Nähe der jeweiligen Begriffe berücksichtigen, was vollends eine Geschmacksfrage ist: Venezia klingt ähnlich wie Venedig, also deutsch-verständlich, aber mit San Candido bringt niemand so schnell Innichen in Verbindung; ein Italiener, der nach San Candido will, ist von einem Hinweis auf Innichen dann eher verwirrt. Bushaltestelle und Fermata Autobus könnte man vielleicht zu einem knappen Bus-Stop wandeln.

Speziell Italiener haben gern eigene Begriffe. Das mag damit zusammenhängen, dass ein Deutscher zwar alle italienischen Laute einigermaßen direkt aussprechen kann, ein Italiener aber keineswegs deutsche. Zum Beispiel fehlt ihm das h, vom ch ganz zu schweigen. Statt also Gast’aus ’irsch sagen zu müssen nennt er’s halt gern Ristorante Cervo. Wir sollten das nicht krummnehmen. Ich habe mich schon vor Jahren damit beschäftigt, etwa in meinem Sprachtipp Ortsnamen.

Vor allem: bitte Gelassenheit. Keine Aufregung, wie andere etwas nennen. Sprache, Bezeichnungen wandeln sich, auch unsere. Nicht einmal feste Namen werden im Deutschen überall gleich genutzt: Ein Tiroler Huber Franz ist anderswo Franz Huber. Schlimm?

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