Im Zusammenhang mit Erika Steinbach und dem geplanten Dokumentationszentrum »sichtbares Zeichen« – was für ein verkniffener Name! – wird jetzt wieder viel polemisiert.
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt am 6. 1. 2010 in einem Kommentar: »Die Millionen von Deutschen, die gegen Ende des Weltkriegs und danach ihre Heimat verlassen mussten, waren insofern unschuldig, als sie Opfer eines Geschehens wurden, welches sie nicht persönlich verursacht hatten« und kommt zum Schluss: »Ein Zentrum für Flucht und Vertreibung in Berlin ist unnötig, weil das Schicksal der damaligen Flüchtlinge und Vertriebenen genügend im kollektiven Bewusstsein verankert und dokumentiert ist.«
Stefan Schmitz meint im Stern 3/2010 auf Seite 47 unter der Überschrift »Die ewigen Vertriebenen«: »Aber eigentlich geht es 65 Jahre nach Kriegsende um etwas andres: nämlich um Geschichte – und eben nicht um Politik. Das hat Steinbach nicht verstanden. Sie und ihr Verband sind zum Anachronismus geworden. Sie betreiben Lobbyarbeit und Klientelpolitik für eine Klientel, die es kaum noch gibt.« Dazu wird eine Landkarte veröffentlicht, die vertriebene deutsche Volksgruppen bis an die Krim zeigt – gewiss keine Hitler-Wähler.
Ich weiß, dass das Schicksal der Vertriebenen keineswegs »im kollektiven Bewusstsein verankert« ist, ganz im Gegenteil. Fragen Sie mal jemanden, wo »Bessarabien« ist! Mein persönlicher Versuch, die Geschichte einer Frau aus Sebastiansfeld (s. Landkarte) publik zu machen, deren Vater von den Russen verschleppt und deren Mutter 1942 gestorben war. Nach ihrer Flucht mit Bruder und Tante bis Lüneburg wurde sie 1945 als Vierzehnjährige von den Engländern den Russen übergeben und landete im Lager in Sibirien. 1962 durfte sie nach Kasachstan und erst 1988 nach Deutschland. Für diese Geschichte – grob gesagt – interessiert sich »keine Sau« (schon gar nicht Hans-Jochen Vogels Verein »gegen Vergessen, für Demokratie«).
Zum Thema. Die Schuldfrage stellt sich gar nicht, denn derart »Bestrafte« können an ihrem Schicksal gar nicht »selbst schuld« sein, und wären sie noch so böse gewesen. Mord ist nicht Sühne. Und die Vertreiber zu beschuldigen, ist nach so vielen Jahren und so verworrenenen und durchaus unterschiedlichen Verhältnissen ebenfalls unzulässig: Man sehe sich nur einmal in der Landkarte oben (klickbar) die geplanten »Umſiedlungen des Führers« an, die dann bekanntlich ganz anders kamen. (Die Südtiroler wissen ein Lied davon zu singen.)
Je weniger man nach Schuld fragt, desto vorurteilsfreier wird die Erinnerung, die Erkenntnis. Mitgefühl mit den Opfern, Gefühl für die Zeit, für die Umstände, das Leben überhaupt, nicht Zorn auf die »Schuldigen« sind nötig. Auch nicht »Versöhnung«. Mit wem? Mit Heutigen, Nachgeborenen? Das ist total die falsche »Baustelle«. Und selbst und gerade wenn die Opfer aussterben: Gedenken. »Für mich ist kein Unterschied in meiner Trauer um Verwandte, die in Treblinka ermordet wurden oder als deutsche Soldaten am Weichselbogen ›fielen‹. Sollte ich ihrer nicht gedenken? Waren sie weniger unschuldig als andere Unschuldige?« fragt Botho Schneidmann aus Würzburg in seinem Leserbrief an die NZZ. Danke.
PS: »Töten auf tschechische Art« (Original-Film, stumm und schwer verdaulich)
Link hierher:j.mp/fj37tFvCM
= http://blogabissl.blogspot.com/2010/01/flucht-und-vertreibung.html
»Sofern für die Seßhaftmachung zurückkehrender Reichs- oder
Volksdeutscher Grund und Boden im Gebiet des Reichs benötigt wird, so
finden für die Beschaffung des benötigten Landes das Gesetz über die
Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935
(Reichsgesetzbl. I S. 467) und die zu ihm ergangenen
Durchführungsverordnungen entsprechende Anwendung. Die Aufgaben der
Reichsstelle für Landbeschaffung übernimmt die vom Reichsführer-SS
bestimmte Stelle.«
Quelle https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-28467 Dez.2019
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