29. September 2007

Ein spätherbstliches Schülertreffen
Meine Fahrt mit Uwe nach München Ende September 2007

Bilder auf http://picasaweb.google.de/Fritz.Joern/HerbstferienInMNchen2007

Uwe, mein alter Schulfreund, der neun Jahre lang mit mir im selben Internat gelebt hat, der mit mir geteilt hat Tisch (»Bett« höchstens bei Karl-May-Lektüre) war am Sonntag, den 23. September 2007, mit dem Zug aus seinem heimatlichen Hamburg zu uns nach Bonn gekommen. Wir genossen einen schönen Abend beim Operá-Türken, mit Uwes in Recklinghausen studierenden Tochter und ihrem Freund. Der Herbst war noch spätsommerlich warm und schön, wir saßen draußen, unsere Tochter Carla (6) übte Radschlagen am Rasen. Übrigens: Schorsch, von uns der Dritte, den es neun Jahre im Internat gehalten hatte, sonst in München und Augsburg wohnhaft, steigt gerade in Tibet umher.

Am Montag dann, nachdem Gisela brav zur Arbeit gefahren war – wir danken dem Generationenvertrag – machten wir Rentner uns mit meinem über zehn Jahre alten Wagen (* 15. 7. 1997) auf nach München. Und weil wir erst gegen Abend dort eintreffen wollten, und weil das Wetter g’rad so schön war, und wir natürlich Carla dabei hatten, es sind Herbstferien, sind wir bei Nürnberg zum Playmobil-Land gefahren: »Playmobil-Funpark«, »heute für Senioren ab 60 Jahren Eintritt frei, für Carla 6 €«, hatte uns Gisela gemailt. Die Anlage ist fast so groß wie das Legoland bei Augsburg, wo wir im Juni gewesen waren (s. Blog), sehr modern, aber insbesonders für Erwachsene nicht so abwechslungsreich wie Lego – wo es allerdings für Normalsterbliche recht teuer ist. Wir hatten unseren »Fun«, in Burg und auf der Piratensee, die Uwe und Carla mit dem Floß erkundeten. Ein herrlicher Tag, und über allem fröhlicher Herbst. Der verließ uns den ganzen Tag nicht, in München bei Ankunft 27 Grad.

Schulfreund Herneid empfing uns in seinem neuen Haus in Grünwald. Ihm und dem Architekten Dominik Meyer, den ich schon einmal mit Birte am Gardasee kennengelernt hatte, großen Glückwunsch dazu! Des Architektenehepaars Zwillinge sind übrigens wohlauf, sagte Herneid.

Am Dienstag, 25. September 2007, kam der angesagte Regen. Der Herbst stürzte förmlich in einen grauslichen Frühwinter ab, bis unter zehn Grad. Das hat uns vom geplanten Wiesnbesuch aber nicht abgehalten. Außerdem war dort Dienstag »Familientag«, die Preise mancher Attraktionen ziviler – eine Maß gleich ein Liter Bier kostet € 7,85. Das Oktoberfest ist ja tagsüber ein ganz normales, wenn auch sehr ausgedehntes Volksfest, mit den klassischen Attraktionen für Kinder und Erwachsene, allerdings in Perfektion. Abends wird um halb elf geschlossen. Wir haben den Tag genossen – nachdem wir erst einmal mühsam hingekommen sind. Auto-Anfahrt Theresienwiese, nirgends Parkhinweise, dann Parken am Bahnhof im Türkenviertel (Hotel Goethe: Das O in Goethe mit türkischer Flagge!) und Regenwanderung zurück zur Wiesn. Carla mochte am liebsten Kettenkarussellfahren (österr.: »Kettenprater«), wir »Alten« gingen mit ihr dann aber in alle »alten« Jahrmarktattraktionen wie Kleben an rotierender Steilwand (selbst nicht mitgemacht) und den Motorradfahrern in der Tonne (»älteste Steilwandshow der Welt«), fuhren auf zwei Riesenrädern, einem kleinen und dem ganz großen, Carla aus dem Fernsehen bekannt. Der Blick über die regenverhangene Stadt war unspektakulär, die modernen Menschenschwenkanlagen allerdings schon. Wild, was sich die Leute antun! Carla durfte »Hau den Lukas« schlagen und wählte sich als Preis – meine Tochter! – einen kleinen roten Schraubenzieher aus.
In einem gemütlichen aber lauten Festzelt haben wir uns dann wieder aufgewärmt und spät zu Mittag gegessen. Unsere junge Bedienung, Barbara Starr, hatte zur Tracht die Haare so schön hochgezopft, dass ich sie fast gebeten hätte, Carla einen Zopf zu winden, oder besser noch, es mir beizubringen. Nachher verabschiedete sich Uwe, er wollte noch seinen Freund Klaus Rösch treffen. Carla und ich blieben noch ein wenig und ließen uns dann von einer Fahrradrikscha für fünfzehn Euro zum Parkhaus zurückradeln, gut abgeschirmt. Beim türkischen Obst-, Gemüse- und Alleshändler bekam Carla ihre Tomate geschenkt, ich kaufte einen Bollywood-Film für drei Euro (Devdas, scheinbar eine Fortsetzung von Hum Tumhare Hain Sanam – Ich gehöre dir, mein Schatz! – 151 Minuten lang). Bin neugierig.
Den Abend hatten wir bei Herneid »zur freien Verfügung«, denn weder Rosi noch er hatten Zeit für uns. Ich habe uns dann Nudeln gemacht, Uwe und Carla sind mit »Oskar« Gassi gegangen, Carla hat noch ein wenig gemalt, und zu Bett gegangen sind wir auch nicht zu spät.

Mittwoch, 16. September 2007, war unser Deutsches-Museums-Tag. Nach wieder einem gemütlichen Frühstück fuhren wir in die Rosenheimer Straße, dorthin, wo eigentlich unser dritter Neun-Jahres-Altmarquartsteiner wohnt. Gerade, als wir im Deutschen Museum waren, im Bergwerk, kam seine SMS, er sei eben glücklich in Lhasa angekommen, keine Selbstverständlichkeit unter den immer politischer werdenden Bedingungen allerorten. Im Deutschen Museum haben wir uns ebenfalls an die klassischen Sehenswürdigkeiten gehalten: Um elf den Glasbläser mit einer sehr interessanten Vorführung (das Grün im Glas kommt von Eiseneinschlüssen), einer fast werkzeuglosen Kunst, dann die Blitze um zwei – Uwe war da schon wieder bei einem anderen alten Freund – und um vier als Höhepunkt und stimmungsvoller Abschluss das Planetarium. Das mochte Carla am liebsten, aber auch das Schiff unten mit dem Kapitänsblick über den Hamburger Hafen. Zum neuen »Kinderreich« mit den Wasserspielen sind wir erst ganz am Ende gekommen. Das Deutsche Museum schließt um fünf, danach sind Carla und ich noch draußen im Flugsimulator »Schlitten im Eiskanal« gefahren.
Am Abend hatte Herneid Götz und seine Frau eingeladen. Sie sehen sich anscheinend öfters, was die Atmosphäre noch herzlicher machte, also sie es eh schon war. Carla durfte lang mit aufbleiben, hielt sich brav und wach, malte und bastelte schließlich bei uns am Boden auf der weißen Decke. Nachdem ich sie schlafen gebracht hatte, hat sich leider die Runde schon aufgelöst. Was uns Altmarquartsteiner nicht davon abhielt, noch ein, zwei Stünderl unter uns Alten zusammenzubleiben, zu philopsychologisieren, ein paar Schulfreunde durchzuhecheln und überhaupt. Übrigens: Wir sollen und unbedingt www.care-and-click.org ansehen!

Heute, am Donnerstag, den 27. September 2007, nach wie vor Regen mit gelegentlichen, frechen Aufhellungen, hatten Rosi und Herneid noch weniger Zeit. Trotzdem sahen wir ihn von halb bis Neun, kleines Frühstück, dann Packen, Gassi-Gehen mit »Oskar« – was Carla und Uwe so gerne machten – und ab gen Norden.
Nein. Wir hatten noch Freund Hansl (Huber) in Dußlingen angeläutet, und wollen nun auch noch den besuchen. Und weil Hansl sagte, er habe erst ab zwei Uhr Zeit, sind wir noch zu einer Besichtigung der Bavaria-Filmstudios gegangen. Jede Viertelstunde wird ein Trupp Touristen durchgeschleust. Das Programm hat sich in den Jahren wenig gewandelt. Man bekommt den Eindruck, die Zeit des deutschen Films sei schon etwas länger vorüber. Es werden immer noch »das Boot« und »die unendliche Geschichte« hochgehalten, als seien’s Goethe und Schiller. Carla durfte auf dem Drachen Fuchur vor blauem Hintergrund fliegen. Ein fast spaßiger Film mit uns, den Besuchern, hatte schon grün statt blau als Projektionshintergrund.
So, und jetzt fahren wir – oder stauen wir – Richtung Hansl.
Bei Hansl und seiner Frau Lore war es richtig nett. Sie hatten gerade zwei Enkel zu Besuch. Lore hatte schnell für uns einen Kuchen gebacken, Hansl zeigte uns seine Bilder, und Carla konnte draußen ein wenig baumklettern. Dann erzählte Hansl Uwe schnell seine Lebensgeschichte, was man halt so tut, wenn man sich ein paar Jahre lang nicht gesehen hat. Herzlich und schön.
Erst gegen sechs kamen wir wieder los, in immer stärkeren Regen auf der Fahrt nach Bonn. Gisela hat uns noch erwartet, obwohl es schon viertel vor elf geworden war, bis wir endlich ankamen. Dann musste ich noch weit umherfahren mit dem Auto, um einen Parkplatz zu suchen, auf dem von uns gemieteten hatte sich (wohl nach dem langen Regen ...) eine Doline gebildet. Ich gab das Gerücht aus, das vormals dort gestandene Gefängnis sei mit geheimen unterirdischen Folterkammern ausgestattet gewesen, die nun langsam einfielen.

Zu guter Letzt kam am Freitag, 28. September 2007, am Vormittag um zehn noch Henning zu Besuch; er hatte sich von der Hausbauerei für seine Tochter ein paar Stunden frei machen können. Es gab das traditionelle Jörnsche Frühstück für Herren mit Spiegelei. Uwe hatte Henning nicht mehr so genau in Erinnerung – wo er doch ein »Externer« gewesen war –, um so größer war die Freude und um so angeregter die Unterhaltung. Henning ist halt ein begnadeter Redner ...
Kurz vor drei ist Uwe dann wieder weggefahren, mit dem Zug zurück nach Hamburg.

Die Kilometer:
Mo
24. 9. 7 Bonn 203924 9.15
Mo
24. 9. 7 Grünwald 204512 18.40
Di
25. 9. 7 Hauptbahnhof 204524
Mi
26. 9. 7 Grünwald 204535
Mi
26. 9. 7 Gasteig 204545
Do
27. 9. 7 Grünwald 204554
Do
27. 9. 7 Dußlingen 204815 18.00
Do
27. 9. 7 Bonn 205222 22.45

22. September 2007

Wieder ein Konzert! Diesmal habe ich Tochter Carla nicht mitgenommen. Dafür habe ich mich ein bisschen hübsch gemacht. Es müssen ja nicht immer Standard-Jeans sein und ausgelatschte, teure Timberland-Schuhe (ein Kapitel für sich: Wie man so einen Schrott nur so gut verkaufen kann!). Also stilecht in grauer Hose, einfarbig blauem Hemd und passendem, leichtem Walkjanker (doch ohne Fliege) bog ich um zwanzig vor acht um die Ecke Friedrichstraße—Bonngasse und schritt mit anderen besser Betuchten hinein ins Beethovenhaus-Konzerthaus (»Kammermusiksaal«). Da tritt man in einem ganz normalen, allerdings neuen Stadthaus, direkt anschließend an Beethovens Geburtshaus, durch eine Drehtüre in einen kurzen Gang, der sich dann etwas erweitert mit Garderobe und zwei Verkaufstischen, der eine eine Art Kasse, der andere diesmal eine Ausstellung verschiedener CDs des Beaux-Arts-Trios, die sie auf Wunsch nach dem Konzert signieren würden. Familiär-gehoben. Ich müsste Thomas Mann sein, wenn ich’s beschreiben könnte. (Lange Sätze kann ich schon!) Von der freundlichen Kassenwärtin bekam ich nach hoffnungsfrohem Warten auf hoffentlich keine Spätkommenden wie am Vortag meine Pressekarte zugesteckt und fand diesmal in der Mitte des Auditoriums einen Platz.

Der Eindruck war ein ganz anderer als seitlich sitzend mit Carla. Nicht die Leute lenkten ab, höchstens das bewegte Spiel der Interpreten. Besonders der Gründer und Pianist Menahem Pressler sang so offensichtlich (natürlich tonlos) mit, dass manche einfach wegsehen mussten, um die Musik pur zu genießen. Wird es spannend – und das ist es ja beinahe in jedem Augenblick – so holt er Luft wie ein Karpfen, der eine heiße Kartoffel isst. Er wirkt alt, weiche Haut, dabei verschmitzt und höchst agil, zumal er fast zwei Kopf kleiner ist als der Violinist Daniel Hope, ein wahrer Hüne, noch dazu mit passender Beethoven-Mähne, vorne schütter, hinten wallend, rötlich. Er hat immer extra einen hohen, breiten Klavierstuhl unter sich (oben das Foto anklicken oder hier), er steht fast, und wiegt sich mit der Musik, schon damit ich ihn nicht immer nur hinter dem Mikrophonständer der Deutschen Welle zu sehen bekam. (Das Konzert soll am 3. Jänner 2008 um 21.05 Uhr vom Deutschlandfunk übertragen werden.) Die drei Herren sind, finde ich, publikumswirksam arrangiert, aber für sie wenig praktisch: Der Pianist im Hintergrund sieht seine Kollegen nur von hinten, höchstens schräg, und muss sich ganz nach rechts lehnen, um zu sehen, was der Violinist macht. Aber vermutlich könnten die Herren selbst im Stockdunkeln spielen.

Zuerst gab es Dvořáks Trio für Violine, Violoncello und Klavier e-Moll opus 90, das »Dumky-Trio« (übrigens alles gut erklärt im Programmheft von Ute Verwimp), nach der Pause Mark-Anthony Turnages »A Slow Pavane« für Klaviertrio und Beethovens »Erzherzog«-Trio in B-Dur opus 97, am Schluss als Zugaben Mendelssohns Scherzo aus seinem ersten Trio, einen »Diamanten«, wie Pressler sagte, und ganz zum Abschluss, Beethoven zu Ehren, »eine der schönsten Melodien«, das Adagio aus seinem Opus 11. Man kann sich vorstellen, wie gerührt das Trio sein Publikum entließ.

Ich hatte ja jahrelang keine Konzerte mehr gehört (höchstens Opern mit und für Carla). Meine »klassischen« Hörgewohnheiten gehen auf Berlin zu meinen Studentenzeiten zurück (1961—68), auf große Stücke in der Philharmonie – wir hatten dort sogar ein Karajan-Abonnement –, auf Bruckner, Brahms und Elgar, dirigiert von unter anderen Sir John Barbirolli (dem mit dem Daumen), auf Herbert von Karajan, dieser schon mit sehr pointierter Interpretation. So nahe, so intim fast wie gestern und vorgestern kenne ich Musik gar nicht. Dazu kommt, dass das Beaux-Arts-Trio (und vielleicht alle guten Interpreten heute?) Tempi und vor allem Dynamik der Stücke voll ausspielen. Ich hatte fortwährend Angst, ein leiser Ton am Klavier würde einmal nicht erklingen, die Taste ginge leer hinunter, so zart war zuweilen das Spiel Presslers. Wie weiß er nur – an einem fremden Steinway-Flügel – wann ein Ton gerade noch kommt? Ähnlich bei der Violine. Wie fein kann Spiel sein – oder haben wir die Töne nur im Geist gehört, im Kopf? Gewiss nicht. Dafür kennen wir Laien die Stücke doch zu wenig. Diese Spannung, die sich dann erst wieder in den schnellen, lauten Stellen furios entlädt, war fast nicht auszuhalten.

Dafür hatte ich diesmal im Hintergrund nicht noch mehr Leute anzugucken sondern die Rückwand des Saales. Man muss sich einen fast altmodisch nussholzgetäfelten Raum vorstellen, durch das steile Halbrund der Sitze so hoch wie breit, dunkelblaue Sitze, hellere Teppiche über die Treppenstufen, kein Podium, und als Bühnenabschluss zurückgesetzt ein Portal aus schwarzem Marmor mit seinen weißen Spuren. Stein spiegelt gut den Schall; die Leute vorne genießen ihn nicht nur, sie schlucken ihn auch: Die Akustik muss sehr gut sein. Was keiner hört, das ist der edle Duft von allerlei Parfüm, der im Saal liegt, frisch gepflegte Aufgeräumtheit.

Der Leser – so er mir bis hier gefolgt ist – merkt, dass ich die Freude, das Erlebnis dieses Abends weiter in die Länge ziehen wollte, und doch klappe ich jetzt im Interesse aller den Laptop zu. Es ist ein anderer Tag, eine andere Welt, und Klassik ein in der Ferne verklingender Hintergrund.

(Unten, von gestern, dem 21. 9. 7, mehr ...)

21. September 2007

Religion und Ramadan, Kunst und Kultur, ein altes Windows in neuen Schläuchen

Ramadan. Da traf ich gestern meinen marokkanischen Freund, Austräger von UPS-Paketen, auf der Straße. Er erzählte mir begeistert, wie er den Ramadan durchhält, obwohl seine Schicht schon um fünf Uhr früh beginnt. Ja, er sei nachgerade fitter als sonst. Dazu sollte man wissen, dass der unscheinbare Mann seine Arbeit stets im Laufschritt erledigt, fleißig, freundlich, zuvorkommend, zufrieden. Wie weit sind wir »Deutsche« davon entfernt. Mindestlöhne für die Post, und wenn es um unser »Bekenntnis« geht, so trauen wir uns nicht einmal, in der Kirche ein Knie zu beugen und ein ordentliches Kreuz zu schlagen. Dafür schwafelt Bischof Meisner von entarteter Kunst und anschließend davon, dass sich das Christentum »überall inkulturieren kann, wo Menschen zusammenleben« (siehe FAZ, »Wenn Gott nicht mehr in der Mitte steht«). Nicht einmal das Wort »inkulturieren« gibt es. (Im Bild Carla – Mitte – mit Freunden verkleidet gestern im Garten)

Beethoven. Beethovens Geburthaus und der zugehörige Konzertsaal sind doch bei uns gleich um die Ecke, sozusagen in W-Lan-Entfernung. Carla und ich kamen am Rückweg von der Zahnärztin dran vorbei. Die Deutsche Welle stand mit offenem Übertragungswagen davor und bereitete eine Aufnahme vor. Also Konzert! Ich wollte schon immer mit Carla einmal am Abend ins Beethovenhaus. Nach kleinen Diskussionen ließ uns Gisela auch gehen, heute, am Tag danach, ist letzter Schultag vor den Ferien, »Spieltag« (dabei Pflichtunterricht!), wie Carla berichtete. Also machten wir uns spontan auf, nicht besonders feingemacht, mit Carlas rotem Rucksack für Geld, ihr »Schnuffituch« (die Schlaf-Windel) und eine Flasche Wasser. Die Atmosphäre war familiär, Kenner unter sich. Wir haben gerade noch zwei der letzten Karten bekommen, sogar als »Presse«. Freundlichkeit überall. Der hörsaalähnliche, halbrunde »Kammermusiksaal« war voll besetzt, auf allen 199 Plätzen gespannte Erwartung. Die angekündigte Einführung fand nicht statt. Stattdessen Applaus für einen großen, alten Herren, der sich unten in der ersten Reihe niederließ. Es stellte sich heraus, dass zunächst das Liszt-Trio aus Weimar eine Auftragsarbeit des Beethovenfestes von Mauricio Kagel uraufführte, das Trio Nummer drei für Violine, Violoncello und Klavier. Mauricio Kagel war Ende vorigen Jahres 75 geworden, das wurde gefeiert. So erklärte sich auch der Applaus für den konzentriert lauschenden Herren in der ersten Reihe. Wir beide saßen ganz rechts außen in der zweiten Reihe, blickten in den offenen Flügel und später auf den Cellisten. Neben uns saß ein Franzose, bewunderte die Musik und Carla, die mucksmäuschenstill und (noch) wach zuhörte. Das Werk war gar nicht atonal, melodiös freilich auch wieder nicht, dafür aber sehr spannend, kontrast- und abwechslungsreich, gelegentlich fast mit einem Quentchen Humor, fand ich, und ich höre Musik gänzlich unvorbelastet, laien-, ja ganz und gar banausenhaft. Was in der geringen Entfernung zu den Musikern auffällt: Die ungeheure Konzentration, die Straffheit, Bewegung, das Temperament, mit denen vorgetragen wird. Selbst Carla fiel das lose Haar vom Bogen des Violinisten auf. Kurzes Zurücklehnen gibt es nicht, oder höchstens einmal, wenn ein Partner seinen Einsatz ein paar Takte früher hat. Selbst das Notenumblättern wird zum Stess; der Cellist hatte sie sich kunstvoll so zusammenkopiert und -geklebt, dass er ohne Umblättererer auskam. Am Flügel stand immer Hilfe bereit. Dann energischer Applaus, mehrere »Vorhänge«, wenn man das bei einer so familiären Atmosphäre sagen kann, Blumen, erleicherte Künstler und ein wohl noch erleichterter Komponist, und Pause. Das Klavier, das eine Menge erleiden hatte müssen, wurde nachgestimmt. Wir beide perambulierten verschämt zwischen der illustren Gesellschaft, Carla wurde mehrfach nach ihrem Alter gefragt, aufgeräumte Stimmung. Nach der Pause spielte das Beaux-Arts-Trio von Beethoven die »Variationen über Wenzel Müllers Lied ›Ich bin der Schneider Kakadu‹«, Opus 121a, und da war Carla noch fast die ganze Zeit wach. Der Schneider hatte es ihr angetan. Dass niemand auf der Welt besser spielt als die Herren wenige Meter vor uns, das war ihr gewiss nicht bewusst. Dann kam Schuberts Trio in Es-Dur D 929 Opus 100, schön, so schön, »zum Sterben schön« fand ich, bin aber am Leben geblieben und habe zwischendurch Carla ein wenig unterstützt, als sie dann doch gelegentlich einnickte. Schade, dass es bei Google keine Suche nach »Musik« gibt, einfach für die Melodie, um zeigen oder besser hören lassen zu können: »Das meine ich!«, nicht um ganze Stücke zu kaufen oder zu klauen. Hernach frenetischer Applaus, Blumen, und dann kündigte der alte, kleine Pianist zu Ehren Kagels und zur allgemeinen Freude eine Zugabe an: Schostakowitsch, ein Scherzo, »teuflisch« meine ich gehört zu haben. Jedenfalls war es ein aberwitziges Bravourstück. Dann sogar noch eine Zugabe, kürzer, kleiner, ein erster Satz aus – ja, richtig verstanden haben das die Leute leider nicht. Mauricio Kagel wird’s schon gekannt haben. Carla war wieder fest dabei beim Applaus. Begeistert und müde durfte sie ausnahmsweise bei uns im Bett schlafen und war heute früh ganz gut wach.
Die Geschichte von Carlas Klassikfreude sollte ich gelegentlich aufschreiben: Jim Knopf, Puppenspiele überhaupt, DVDs, speziell die Zauberflöte von den Salzburger Marionetten, aber auch die von den Augsburgern, später einmal die Salzburger Festung mit dem Puppenspielmuseum, dann aus Versehen eine falsche DVD mit einer Monumentalaufführung der Zauberflöte, schließlich einmal wirklich in Salzburg die zauberhaften Marionetten; am Anfang noch Smetana, Moldau, Verkaufte Braut; am Ende bei Hausaufgaben schwarze Schallplatten, die man umdrehen kann, Mozart unter einem Tonarm, auf dem ein Playmobil-Ritter reitet – als Gewicht, das Originalgewicht ging verloren.

Windows zum Schluss. Technik muss sein. Mein neuer Hewlett-Packard-PC ist gekommen. Ich habe ihn einfach aufgemacht, erst einmal die neue S-Ata-Platte an ihrer roten, schmalen Datenleitung abgeklemmt, damit mir Windows Vista nicht startet, und stattdessen meine alte IDE-Systemplatte samt breitem Verbindungskabel eingesteckt, und los gings. Das Betriebssystem habe ich schon wieder bei Microsoft registriert. Jetzt muss ich noch irgendwie den Rest zum Laufen kriegen, erst einmal vielleicht eine Internet-Verbindung – selbst das simple Lan-Kabel tut’s nicht, was mich wundert. Jedenfalls jede Menge »neue Hardware gefunden«. Sogar Outlook will neu registriert werden. Der Bildschirm lässt sich nicht wieder hochkant stellen. Mal sehen, ob ich durchkomme mit meinem alten Fenster in der neuen Hütte.

12. September 2007

Hilf Himmel! Mit der Kirche geht es bergab. Nicht nur die Schützenvereine klagen über mangelnden Nachwuchs, die Kirchen erst recht. Genaues weiß man nicht, denn das »Bekenntnis« wird öffentlich nicht bekannt, Zahlen sind meist Hochrechnungen, und die kosten was, siehe www.Remid.De. Selbst das statistische Bundesamt schätzt und hinkt hinterher. Egal.

Stiftskirche Bonn (Wikipedia)

Hier in Bonn wird die Gemeindebetreuung – ich nenne das einmal Seelsorge – konsequent in die Wohnbezirke verlagert. In der City versucht unser Stadtdechant (persönlicher PR nicht immer abgeneigt) durch schöne Veranstaltungen und Modernisierungen wie einen Kreditkarten-Opferstock und jetzt einem 3,7 Millionen Euro teuren gläsernen »Schaufenster der Kirche«*) Laufkundschaft anzuziehen. Wie gut das gelingt, weiß ich nicht. Familien wie wir, die in der Innenstadt leben, werden in die nördlich gelegene Stiftskirche verwiesen. Der letzte innerstädtische Kindergarten soll 2008 geschlossen werden, auch er zieht nach Norden. Der letzte katholische Kinderhort für Schulkinder ist bereits 2006 aufgegeben worden, angeblich, weil diese Aufgabe jetzt die Schulen selbst übernehmen (stimmt nicht, Nachmittagsbetreuung wird outgesourct). Die ansehnliche Stiftskirche ist zwar nicht weit weg, doch erfahrungsgemäß werden deutsche Städte im Süden »besser«, und im Norden, da sind sie armseliger, was wir eitle City-Gläubigen nicht goutieren. In der City selbst werden jahrhundertealte Klöster bescheidener »Minderbrüder« (Minoriten) geschlossen, Kirchen wenn möglich dem Land zurückgereicht zur allfälligen Nutzung (Namen-Jesu-Kirche in der Bonngasse, wo das Beethovenhaus ist).

Viele dieser Entscheidungen finde selbst ich richtig, auch wenn sie mir nicht passen. Bloß, dass man innerstädtische Kirchen nur für Leute ohne Kinder attraktiv machen soll, woher auch immer sie kommen, finde ich kurzsichtig. Selbst der innerstädtische Kinderspielplatz im Hofgarten ist hervorragend besucht, obwohl dort keine Kinder wohnen, und der Weihnachtsmarkt passiert natürlich im Zentrum am Münsterplatz. Warum also keine Kindergottesdienste im Zentrum? Vielleicht »edle« Kindergottesdienste? Doch gemach: Ich wage mich vor zu Vorschlägen. Dabei bin ich gewiss kein Experte, nicht einmal ein regelmäßiger Kirchgänger. Trotzdem hier die Gedanken eines katholischen Laien.

• Kirchliche Angebote sollten wenn, dann regelmäßig sein. Jeden zweiten Sonntag im Monat, nicht im Sommer (und nur nach Vollmond :–), das kann sich keiner merken. Die Qualität einer Messe hängt nicht von der Zahl der Besucher ab. Ich erinnere mich an stille Messen an Seitenaltären in der Franziskanerkirche in Salzburg, da war ich fast allein mit dem Zelebranten. Da wirkt Gott, nicht wir.

• Es dürfen ruhig weniger »Vollmessen« sein. Gottes Segen und die Kommunion kann auch ein Diakon spenden. Merke: Nicht »Ich segne dich im Namen des Vaters usw.«, also affirmativ, lautet der Segensspruch, leider, sondern etwas vager bloß: »Es segne dich ...« – was es dann dem lieben Gott überlässt, das zu tun oder zu lassen.

• Die Gemeindearbeit sollte sich mit Vorrang um den Nachwuchs kümmern. Das ist vielleicht nicht so spektakulär wie gut besetzte Kirchenkonzerte, langfristig aber segensreicher. Dazu sollte kindliche Begeisterung früh geweckt und genutzt werden. Hier werden Ministranten erst nach der Erstkommunion ausgebildet, und die Erstkommunionvorbereitung beginnt erst ab der dritten Schulklasse. Ich könnte mir vorstellen, dass die Kinder dann »andere Sorgen« haben, als Ministranten zu werden. Ich selbst bin – ein Kuriosum – im selben Matrosenanzug getauft (25. 11. 1948, noch 6-jährig), gefirmt und »erstkommuniont«, in Bozen. (Diese »Eventualtaufe« nach meiner »richtigen« evangelischen Taufe am 11. 2. 1942 ist eine typisch katholische Überheblichkeit, aber das ist eine andere Geschichte.)

• Das Bild unseres Gottes könnte klarer, strenger, direkter gepredigt werden. Ich erinnere mich an die Predigt eines eingeladenen Wanderpredigers (mein sel. Großvater war auch einer) in Parker, Colorado, der mit dem Zeigefinger durch die Reihen ging. Vielleicht kann einmal die Gemeinde gefragt werden, was sie zu einem Thema meint? Ob sie eine Lesung verstanden hat. Manche Texte sind wirklich nicht mehr zu verstehen, nicht mehr zeitgemäß. Desto wichtiger wäre es, die guten, zeitlosen, die schwierigen und kompromisslosen Texte aufzudröseln. »Gott liebt dich« – ich kann das schon nicht mehr hören – »er spricht mit dir, tröstet dich« usw. (Einzig dem polnischen Minoritenpater Richard Stefaniuk habe ich es abgenommen, dass er Christus unter uns wusste.) Besonders in den Kindergottesdiensten herrscht eher ein heidnischer Lichterglanzglaube vor, esoterisch fast, als das Bild eines Gottes, der klar ist und streng und schließlich, wenn wir ihn annehmen, auch liebevoll, ja. Verlangt er von uns, dass wir am Sonntag regelmäßig in die Kirche gehen? Verlangt er von uns, dass wir einigermaßen ordentlich vor ihn treten, wenn wir die Kommunion empfangen, oder ist es egal, wenn wir in schwerer Sünde und mit sattem Bauch am Altar stehen? Wenn die Kirche nichts verlangt von uns, dann wird sie auch nichts bekommen – jedenfalls keine einigermaßen verbindlichen Gläubigen. Fasten, das tun nur die gläubigen Muslime. Regelmäßig beten. – Oh, wie weit sind wir doch fern Gottes.

Die Beichte, auch die ist verloren gegangen. Man schämt sich, nicht seiner Sünden, sondern seines Bekenntnisses, was sogar dem Wortsinn widerspricht. Ich schreibe ja »Beichten« auch nicht auf den Einkaufszettel, bleibe da sozusagen »unter mir«. Konkret kann man in der uns für die Seelsorge zugewiesenen Stiftskirche nur beichten, ginge man am Sonntag zu den polnischen Priestern. Da habe ich vor Ostern lange Schlangen vor den Beichtstühlen gesehen.

• Und dann könnte man einmal die Gemeinde fragen, zum Beispiel, ob sie die Messe lieber »tridentinisch« hätte, also lateinisch, wie früher, wo das doch jetzt der Papst allgemein erlaubt hat. (Siehe auch www.Joern.De/zuGott.htm)

So, nun aber genug der Anregungen eines Suchenden, laienhaft und gottergeben. Er wird’s schon richten. (Und uns dann am Jüngsten Tag.)
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*) Von www.Kath-Bonn.De:
»Geschrieben von KKB online Team am 24.06.2007 um 10:18.
Die katholische Kirche in Bonn errichtet an der Münsterbasilika ein großes Zentrum für die Cityseelsorge. Das sogenannte Foyer am Münster solle zu einem ›Schaufenster der Kirche‹ werden. Es solle Rat suchenden Menschen als erste Anlaufstelle dienen, kündigte Stadtdechant Schumacher in Bonn an. Der Zülpicher Architekt Markus Ernst setze mit seiner Glas-Beton-Konstruktion einen wichtigen städtebaulichen Akzent in der Innenstadt. Gleichzeitig werden die ehemaligen Stiftsgebäude zu einem Pastoralem Zentrum der Stadtkirche ausgebaut. Dort finden alle Einrichtungen der Stadtkirche Platz. Die Bauarbeiten beginnen am Montag. Schumacher rechnet mit Baukosten von 3,7 Millionen Euro. Rund ein Drittel übernimmt die Gemeinde, zwei Drittel das Erzbistum Köln.«