Religion und Ramadan, Kunst und Kultur, ein altes Windows in neuen Schläuchen
Ramadan. Da traf ich gestern meinen marokkanischen Freund, Austräger von UPS-Paketen, auf der Straße. Er erzählte mir begeistert, wie er den Ramadan durchhält, obwohl seine Schicht schon um fünf Uhr früh beginnt. Ja, er sei nachgerade fitter als sonst. Dazu sollte man wissen, dass der unscheinbare Mann seine Arbeit stets im Laufschritt erledigt, fleißig, freundlich, zuvorkommend, zufrieden. Wie weit sind wir »Deutsche« davon entfernt. Mindestlöhne für die Post, und wenn es um unser »Bekenntnis« geht, so trauen wir uns nicht einmal, in der Kirche ein Knie zu beugen und ein ordentliches Kreuz zu schlagen. Dafür schwafelt Bischof Meisner von entarteter Kunst und anschließend davon, dass sich das Christentum »überall inkulturieren kann, wo Menschen zusammenleben« (siehe FAZ, »Wenn Gott nicht mehr in der Mitte steht«). Nicht einmal das Wort »inkulturieren« gibt es. (Im Bild Carla – Mitte – mit Freunden verkleidet gestern im Garten)
Beethoven. Beethovens Geburthaus und der zugehörige Konzertsaal sind doch bei uns gleich um die Ecke, sozusagen in W-Lan-Entfernung. Carla und ich kamen am Rückweg von der Zahnärztin dran vorbei. Die Deutsche Welle stand mit offenem Übertragungswagen davor und bereitete eine Aufnahme vor. Also Konzert! Ich wollte schon immer mit Carla einmal am Abend ins Beethovenhaus. Nach kleinen Diskussionen ließ uns Gisela auch gehen, heute, am Tag danach, ist letzter Schultag vor den Ferien, »Spieltag« (dabei Pflichtunterricht!), wie Carla berichtete. Also machten wir uns spontan auf, nicht besonders feingemacht, mit Carlas rotem Rucksack für Geld, ihr »Schnuffituch« (die Schlaf-Windel) und eine Flasche Wasser. Die Atmosphäre war familiär, Kenner unter sich. Wir haben gerade noch zwei der letzten Karten bekommen, sogar als »Presse«. Freundlichkeit überall. Der hörsaalähnliche, halbrunde »Kammermusiksaal« war voll besetzt, auf allen 199 Plätzen gespannte Erwartung. Die angekündigte Einführung fand nicht statt. Stattdessen Applaus für einen großen, alten Herren, der sich unten in der ersten Reihe niederließ. Es stellte sich heraus, dass zunächst das Liszt-Trio aus Weimar eine Auftragsarbeit des Beethovenfestes von Mauricio Kagel uraufführte, das Trio Nummer drei für Violine, Violoncello und Klavier. Mauricio Kagel war Ende vorigen Jahres 75 geworden, das wurde gefeiert. So erklärte sich auch der Applaus für den konzentriert lauschenden Herren in der ersten Reihe. Wir beide saßen ganz rechts außen in der zweiten Reihe, blickten in den offenen Flügel und später auf den Cellisten. Neben uns saß ein Franzose, bewunderte die Musik und Carla, die mucksmäuschenstill und (noch) wach zuhörte. Das Werk war gar nicht atonal, melodiös freilich auch wieder nicht, dafür aber sehr spannend, kontrast- und abwechslungsreich, gelegentlich fast mit einem Quentchen Humor, fand ich, und ich höre Musik gänzlich unvorbelastet, laien-, ja ganz und gar banausenhaft. Was in der geringen Entfernung zu den Musikern auffällt: Die ungeheure Konzentration, die Straffheit, Bewegung, das Temperament, mit denen vorgetragen wird. Selbst Carla fiel das lose Haar vom Bogen des Violinisten auf. Kurzes Zurücklehnen gibt es nicht, oder höchstens einmal, wenn ein Partner seinen Einsatz ein paar Takte früher hat. Selbst das Notenumblättern wird zum Stess; der Cellist hatte sie sich kunstvoll so zusammenkopiert und -geklebt, dass er ohne Umblättererer auskam. Am Flügel stand immer Hilfe bereit. Dann energischer Applaus, mehrere »Vorhänge«, wenn man das bei einer so familiären Atmosphäre sagen kann, Blumen, erleicherte Künstler und ein wohl noch erleichterter Komponist, und Pause. Das Klavier, das eine Menge erleiden hatte müssen, wurde nachgestimmt. Wir beide perambulierten verschämt zwischen der illustren Gesellschaft, Carla wurde mehrfach nach ihrem Alter gefragt, aufgeräumte Stimmung. Nach der Pause spielte das Beaux-Arts-Trio von Beethoven die »Variationen über Wenzel Müllers Lied ›Ich bin der Schneider Kakadu‹«, Opus 121a, und da war Carla noch fast die ganze Zeit wach. Der Schneider hatte es ihr angetan. Dass niemand auf der Welt besser spielt als die Herren wenige Meter vor uns, das war ihr gewiss nicht bewusst. Dann kam Schuberts Trio in Es-Dur D 929 Opus 100, schön, so schön, »zum Sterben schön« fand ich, bin aber am Leben geblieben und habe zwischendurch Carla ein wenig unterstützt, als sie dann doch gelegentlich einnickte. Schade, dass es bei Google keine Suche nach »Musik« gibt, einfach für die Melodie, um zeigen oder besser hören lassen zu können: »Das meine ich!«, nicht um ganze Stücke zu kaufen oder zu klauen. Hernach frenetischer Applaus, Blumen, und dann kündigte der alte, kleine Pianist zu Ehren Kagels und zur allgemeinen Freude eine Zugabe an: Schostakowitsch, ein Scherzo, »teuflisch« meine ich gehört zu haben. Jedenfalls war es ein aberwitziges Bravourstück. Dann sogar noch eine Zugabe, kürzer, kleiner, ein erster Satz aus – ja, richtig verstanden haben das die Leute leider nicht. Mauricio Kagel wird’s schon gekannt haben. Carla war wieder fest dabei beim Applaus. Begeistert und müde durfte sie ausnahmsweise bei uns im Bett schlafen und war heute früh ganz gut wach.
Die Geschichte von Carlas Klassikfreude sollte ich gelegentlich aufschreiben: Jim Knopf, Puppenspiele überhaupt, DVDs, speziell die Zauberflöte von den Salzburger Marionetten, aber auch die von den Augsburgern, später einmal die Salzburger Festung mit dem Puppenspielmuseum, dann aus Versehen eine falsche DVD mit einer Monumentalaufführung der Zauberflöte, schließlich einmal wirklich in Salzburg die zauberhaften Marionetten; am Anfang noch Smetana, Moldau, Verkaufte Braut; am Ende bei Hausaufgaben schwarze Schallplatten, die man umdrehen kann, Mozart unter einem Tonarm, auf dem ein Playmobil-Ritter reitet – als Gewicht, das Originalgewicht ging verloren.
Windows zum Schluss. Technik muss sein. Mein neuer Hewlett-Packard-PC ist gekommen. Ich habe ihn einfach aufgemacht, erst einmal die neue S-Ata-Platte an ihrer roten, schmalen Datenleitung abgeklemmt, damit mir Windows Vista nicht startet, und stattdessen meine alte IDE-Systemplatte samt breitem Verbindungskabel eingesteckt, und los gings. Das Betriebssystem habe ich schon wieder bei Microsoft registriert. Jetzt muss ich noch irgendwie den Rest zum Laufen kriegen, erst einmal vielleicht eine Internet-Verbindung – selbst das simple Lan-Kabel tut’s nicht, was mich wundert. Jedenfalls jede Menge »neue Hardware gefunden«. Sogar Outlook will neu registriert werden. Der Bildschirm lässt sich nicht wieder hochkant stellen. Mal sehen, ob ich durchkomme mit meinem alten Fenster in der neuen Hütte.
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