5. Juni 2019

Laurentius-Konzert

St.-Laurentius-Kirche Bonn Lessenich
Tausend Worte könnte ich schreiben. So schön war’s; draußen Frühling, in der kühlen Kirche kräftige Kinderstimmen, am Sonntagnachmittag den 2. Juni 2019.
   Die Bonner Joseph-Woelfl-Gesellschaft, die jeden ersten Sonntag im Monat (außer im Juli und August) um 16 Uhr ein Konzert anbietet, hatte ausnahmsweise in die Laurentius-Kirche gebeten. Da hatte der große  Kinder- und Jugendchor vom Theater Bonn (der Oper) Platz und Akustik. Die unermüdliche Ekaterina Telegina (Klewitz) leitete und dirigierte. Die Kirche war voll; so zweihundert Zuhörer erlebten die Vorträge.
   Von Moskau als erfahrene Musikerin und (Chor)dirigentin nach Bonn gekommen, leitet Frau Telgina seit 2007 Bonns Vorzeigechor, ja »Vorsingechor«, mit etwa hundertzwanzig Sängerinnen und Sängern.
   Entsprechend professionell und engagiert ging’s zur Sache, zunächst mit ernsten Liedern und Texten von Ilse Weber (1903 Witkowitz – 1944 Auschwitz) wie etwa »Ich wandre durch Theresienstadt«.  
   Am Klavier begleitete Antonis Selemidis das ganze Konzert, stellte die Elektronik später sogar auf Orgel um, oder spielte von der Orgel her?
   Es folgten Auszüge aus der in Theresienstadt über fünfzigmal aufgeführten Kinderoper Brundibár, Musik Hans Krása (1899 Prag –1944 Auschwitz). Die Oper wurde in den Neunzehnhundertsiebzigerjahre aus »einem Klavierauszugs in tschechischer und hebräischer Sprache« (Wikipedia) rekonstruiert. Ob es das ursprünglich deutsche Libretto von Adolf Hoffmeister (1902 Prag – 1973 bei Brünn) noch gibt, weiß ich nicht. Dieser schrieb: »Wir haben eigentlich die Oper als Brechtsches Lehrstück gefasst. Die Mutter ist krank, ihre zwei Kinder, Pepiček und Aninka, gehen Milch holen, aber sie haben kein Geld. Da sehen sie, dass die vorübergehenden Menschen dem Leierkastenmann Geld geben: So stellen sie sich an die Straßenecke und fangen an zu singen. Aber ihre Stimmen sind zu schwach. Da kommen die Tiere der Stadt und raten ihnen, einen Kinderchor zu formen, damit ihre Stimmen stärker wirken. Und die Tiere laden die Schulkinder ein, und die Kinder fangen an zu singen, und ihre Stimme ist stark genug, und der Leierkastenmann ist geschlagen. So, durch die Solidarität aller Kinder, haben sie den Leierkastenmann Brundibár besiegt, weil sie sich nicht unterkriegen ließen.«
Im zweiten Teil standen Lieder zur Natur im Programm, übrigens von der erfahrenen Moderatorin Elisabeth Einecke-Klövekorn charmant angesagt, der Vorsitzenden der Theatergemeinde Bonn.
   »Die launige Forelle« von Fraz Schlöggl konnte da singen, original à la Schubert, nachts nach Mozart-Art und tags wie Beethoven, schließlich frei nach Weber.
   Von Joseph Woelfl (1773 Salzburg – 1812 London) folgten »O Tell Me No More« und »der Wald«.
   Vier Lieder zu Schuberts Winterreise, Text Wilhelm Müller (Dessau 1794 – 1827) hatte die Dirigentin Ekaterina Telegina arrangiert.
   Danach hörten wir aus dem populär gewordenen »Kindern des Monsieur Mathieu« den «Cerf Volant», einen Flugdrachen, und die «Caresse Sur L'océan», wo ein Vogel hoch über den Wassern fliegt.
   Ein wahrer Höhepunkt war die von Amerikanern für die österreichische Nationalhymne gehaltene Richard-Rogers-Melodie »Edelweiss« aus »Sound of Music«. Ohne den Film kam das gar nicht schmalzig rüber, ein Ohrwurm halt. (Die alte österreische Hymne von Joseph Haydn »Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz!« haben schon 1922 die Deutschen übernommen, lang vor dem »Anschluss« – bis angeblich auf eine Note
   Es folgte aus dem Disney-Film »Moana« von ♂ Lin-Manuel Miranda (2016. Bei uns heißt Moana Vaiana, um nicht mit Moana Pozzi verwechselt zu werden) »How Far I’ll Go«, 2016, noch ein schönes Meer- und Sehnsuchts-Lied (»Wieder zieht es mich zum Meer …«) – Damit kann man Deutsch lernen!
   Das Konzert schloss mit »A Million Dreams« aus dem Zirkus-Barnum-Film von 2017 »The Greatest Showman«. Zugabe wieder »How Far We’ll Go«.

Link hierher http://j.mp/2ETYP0m =
https://blogabissl.blogspot.com/2019/06/laurentius-konzert.html

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Siehe auch
   http://blogabissl.blogspot.com/2014/02/verstehen-nicht-urteilen.html
   http://blogabissl.blogspot.de/2010/01/flucht-und-vertreibung-im-zusammenhang.html

Noch ein paar persönliche Gedanken. Und da muss man zurückblicken.
Sprachen in der Tschechoslowakei um 1930 (Wikipedia). Prag
Als ich nach dem Konzert ein wenig herumfragte, wo und wann denn Theresienstadt war, wusste das so genau keiner. Dabei kam es damals auf Leben und Tod darauf an, wann man genau wo war, welchen Pass man hatte, welche Großeltern …
Theresienstadt – nach Maria Theresia benannt – liegt südlich von Leitmeritz in Nordböhmen.
Kartenausschnitt aus Andrees Handatlas 1910, Karte »Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien«.
Die Gegend blieb 1938, als die sudetendeutschen Gebiete ans Deutsche Reich abgetreten werden mussten, bei der »Resttschechei«, die dann ein paar Monate später im März 1939 zum »Protektorat« wurde.
   Theresienstadt war von 1941 bis 1945 deutsches »Vorzeige«-Lager, als »Durchgangslager« beschönigt.
danach von 1945 bis 1948 tschechisches Internierungslager für zu vertreibende Deutsche, vor allem aus Prag. 
Durch Theresienstadt, Terezín, fließt die Eger – die »Eger« vom »Egerland« –, die dann gegenüber von Leitmeritz in die Elbe mündet, südlich, auf der anderen, linken Seite der Elbe. Ihr Wasser fließt weiter mit der Elbe an Aussig – bis vor kurzem Außig geschrieben – vorbei, durch Dresden und zuletzt durch Hamburg in die Nordsee.
   Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das ganze Gebiet – hier wohl das vorwiegend deutsche Sudetenland am Nordwestrand der Tschechoslowakei und die ganze mehrheitlich tschechisch beziehungsweise slowakisch sprechende Tschechoslowakei – tschechoslowakisches Staatsgebiet.
  Die Einwohner mussten sich zu einer Volksgemeinschaft bekennen. Meine Großeltern – obwohl aus Innsbruck in Tirol beziehungsweise Witkowitz in Böhmen stammend, meldeten sich als Tschechen.
   Also: Die »Tschechei« (ganz ohne modernen negativen Klang)  umfasste – von kleinen Veränderungen an der schlesischen Grenze (von Friedrich II bezw. Maria Theresia) abgesehen – den heutigen Staat »Tschechische Republik«, genannt »Tschechien«, mit Prag als Hauptstadt. Die alte Gliederung in Böhmen (drei westliche und nördliche Viertel), Mähren (südöstliches Viertel mit der Hauptstadt Brünn) und Mährisch Schlesien (auch Sudetenschlesien, gebirgige Randzone gegen Schlesien mit der Hauptstadt Troppau) ist überholt. Die »Slowakei«, amtlich »Slowakische Republik« hat Pressburg (bei Wien) als Hauptstadt. Alles EU-Staaten.
  Die Karte des Protektorats mit Aufdruck Mapa Protektorátu Čhechy a Morava z roku [ab Jahr] 1941, links ein Ausschnitt, zeigt blau strichliert die damalige Reichs-Protektorats-Grenze ungefähr west-östlich geschlängelt, zwischen Leitmeritz (zum Deutschen Reich gehörend) und Theresienstadt (Protektorat Böhmen und Mähren) in der Elbe liegend.
   Danach gehörte Leitmeritz zu Deutschland und Theresienstadt zur Tschechei, siehe auch die Postkarte.
   Wikipedia teilt mit, daß Theresienstadt noch bis zur Mitte des 19. Jh. eine deutsche Bevölkerungsmehrheit hatte. Bis 1918 war die Sprachgrenze aber an die Elbe herangerückt und sechs Kilometer oberhalb von Leitmeritz sogar über die Elbe »gesprungen«. (Muss ich noch belegen!)

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Von der Aufführung habe ich ein paar laienhafte Videos gemacht. Sie stehen Google-abgeschirmt, öffentlich nicht findbar in einem extra Album. Wer sich berechtigt fühlt, die Videos anzusehen und den Datenschutz zu wahren, möge sich bei mir melden. Ich finde es jammerschade, dass der Datenschutz heute so viel verhindert, wofür sich keiner zu schämen brauchte. Fragen kann man nicht alle. Gesetze ersetzen Anstand. 

 »Auschwitz kam 1772 zu Österreich – Deutsch wurde wieder Amtssprache – und lag bald auch an der Grenze zu Preußen und Russland«. Die Stadt hieß Auschwitz und war Teil des neuen Königreichs »Galizien und Lodomerien« des habsburgischen Kaiserreichs (ab 1804).
 • 1867–1918 in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn,
 https://de.wikipedia.org/wiki/O%C5%9Bwi%C4%99cim#%C3%96sterreichisches_K%C3%B6nigreich_Galizien_und_Lodomerien_bis_1918
1918–38 polnisch
• 1938–45 deutsch besetzt
• 1945 polnisch
»Laut dem Großen Brockhaus von 1929 gab es 1921 in Auschwitz unter den 12.200 polnischen Einwohnern 3000 mit jüdischer Religion.« – Ein Viertel also. Ob dort mehr Polen als Deutsche lebten, Ruthenen, Sorben usw. wird nicht gesagt. Schade.

Links:
• Deutscher Propagandafilm »aus dem jüdischen Siedlungsgebiet« – ohne Erwähnung von Brundibár
• Brundibár-Aufführung in Theresienstadt, ungarisch kommentiert, englische Untertitel

Brundibár, aktuellerWikipedia-Eintrag
• Der Bayrische Rundfunk über Brundibár
Radio Prag über Brundibár
Deutsche in der Ersten Tschechoslowakischen Republik 
• Robert Luft, Zwischen Tschechen und Deutschen in Prag um 1900
• Der Bonner General-Anzeiger über die Oper Brundibár

Fehler und Anregungen bitte an Fritz@Joern.De


Theresienstadt: das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, von H. G. Adler j.mp/fj2S86y27
  

»So verstanden, wird Theresienstadt zu einem Anlaß, und wer so will, kann hier sich Lehren holen, die ganz gewiß auch anderswo zu holen sind. Doch wer bis jetzt getreulich uns gefolgt ist, mag das Beispiel hier erkennen. Er wird uns beistimmen, ob er ein Jude ist oder nicht, ob er in einem Lager war oder nicht, ob er in näherem oder weiterem Sinne mit dieser Geschichte verflochten scheint oder nicht, daß Theresienstadt ein Ort in dieser Welt ist, die unser aller Welt ist, daß sich hier eine Geschichte vollzogen hat, die unser aller Geschichte sein kann und zum Teil auch ist. Theresienstadt ist freilich nur ein Name, der vielen wie eine ferne Sage klingen mag. Aber es in unser aller Sage. Das Unheil, das diese Geschichte zum Ende trieb, in nicht zu seinem Ende gelangt, weder für die Juden noch für die anderen Völker. Hier und in anderen Lagern, in Deutschland und in anderen Ländern wurden Überlebende aus ihren Zwingern entlassen, doch andere Lager bestehen, wo unsere Nächsten geknechtet werden, und Lager bedrohen Menschen in vielen Ländern, und wo man die Menschen erniedrigt und zerschunden entließ, wurden sie oft nicht wirklich befreit, denn sie sind schon wieder in andere Zwinger gesperrt. Der mechanische Materialismus mit seinen ideologischen Fratzen wuchert fort. Theresienstadt ist möglich geblieben, Es kann in größtem Ausmaß verhängt werden, und nicht nur Juden, die in der allgemeinen Leidensgeschichte der Menschheit so oft als Vorboten und besonders Ausgelieferte auftreten müssen, dürften die künftigen Opfer sein. Nicht als Experiment, doch als Menetekel steht Theresienstadt da, und es verlockt viel mehr, als noch der Abscheu vor dem Grauen sich eingestehen wil1.« 

 – H. G. Adler in »Theresienstadt: das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft«, Seite 683f, ISBN: 9783892446941, Tübingen 1955. Mehr über Hans Günther Adler und das Buch schreibt Kurt Schilde von der Uni Siegen hier https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-9037 .

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