Die Geschichte beginnt – wenn ich zurückschweife – in der erinnerungsdunklen Vergangenheit. Da hatte ich schon einmal eine »minimalinvasive« doppelseitige Leistenbruchoperation, erfolg- und -lebnisreich. Außerdem einen anlässlich eines Überschlags mit dem Fahrrad schon einmal ausgekugelten rechten Ringfinger.
Seitdem dachte ich erstens, einmal netzversorgte Leistenbrüche könnten sich nicht wiederholen (falsch!), und zweitens: Meinen Ehering, den trug ich links, weil er damals gerade noch rechtzeitig dem rasch anschwellenden rechten Fingergelenk entkommen war. Nun ging er auch links nicht mehr ab, so eng war er, schon gar nicht hätte er wieder rechts gepasst. (Zur Eheringseite lese man etwa bei Elitepartner nach.)
Nun hatte meine Frau im Januar eine Leistenbruchoperation, was auch mir meine unguten Bauchgefühle entfachte, sympathetisch. So ward alsbald auch bei mir ein Leistenbruch diagnostiziert, sogar zwei, rechts einer und links unten im wohlbeleibten Bauch. Sowas sieht man nicht, außer unter Ultraschall, und da als herausdrückende Erhebung unter Pressen des Zwerchfells nach unten. Wurde mir sofort klar, da drückt was raus, das das besser nicht täte. Selbst ich sah’s, bei angehaltenem Atem. Das musste operiert werden, wieder nur über Sonden, wieder an denselben Stellen: eine rechts, eine links, und das dickste »Kabel« durch den Nabel. Denn der ist eh schon verknittert.
Zu diesem Behuf fand ich mich also am letzten Montag, 22. Februar 2016, in einem der für dergleichen gerühmten Krankenhäuser der ehemaligen Hauptstadt ein, in der Früh’ um zehn vor sieben. Spannend war nur noch der Gerinnungstest meines Blutes: Ich hatte zwar mein Markumar schon eine Woche lang nicht mehr eingenommen, die Wirkung ist allerdings verzögert. Und zum Operieren mag man’s Blut nicht zu dünn (Quick > 60%). Das wurde im Lauf des Vormittags positiv geklärt, sodass ich am Nachmittag »unters Messer« durfte, bezw. an die Schläuche. Man wacht auf, und es zwickt. Zusehen kann man nicht; Intubation des Patienten und die künstliche Gasbefüllung des Bauchraums wären zu unangenehm und -sehlich.
Das »Loch« im Nabel ist das größte. Schwarzweißbild vier Tage nach der OP. Perspektive von Fülle und Weitwinkel verzerrt. |
Dennoch ist meine Bilanz positiv. Der Ehering, den die geschickte Stationsschwester vor der OP heruntergedreht hatte, kann – nach Weiten – wieder an meine Rechte, und heben kann ich auch.
Sehr gut waren die Gespräche mit meinem sechsundsechzigjährigen Zimmergenossen Alexander. Wir sind richtige Freunde geworden. Die reizarme Krankenhausatmosphäre, die viele leere Zeit, die man hat, haben wir uns genommen, etwas aus dem Leben zu erzählen. Alexander ist Russlanddeutscher, in den Achtzigerjahren aus Kasachstan erst in die DDR, später nach Nordrhein-Westfalen ausgewandert. »Dort war ich ein Deutscher, hier bin ich ein Russe«, sagte er, in seinem stockenden, um Worte ringenden Deutsch. Viel spricht er nicht; seine Frau schon eher, sagt er. Wir aber hatten Zeit. Ich fühlte mich ein, kannte sein Geburtsland um Odessa aus Erzählungen (Link), wusste von Zwangsarbeit in Sibirien, die auch seine Eltern hatten leisten müssen, hatte dann das öde Kasachstan vor Augen. Alles Orte, in die ich nur in Gedanken komme – und mit Alexander, einem vormaligen Bordmechaniker der Aeroflot. Sie hatten im Sperrgebiet gelebt, sein Vater war verstrahlt worden und hatte eine Kur auf der Krim bekommen, die ihm sehr wohl getan hatte, dann waren sie dort weggezogen. Und in der DDR, in Delitzsch, da hatten sie im Pfarrhaus gegen Hausmeisterdienste (wenn ich das recht verstanden habe) auf einmal über hundert Quadratmeter für ihre große Familie. – Kurze Blicke in viel Unglück und etwas Glück.
Weitere Lektüre, etwa 2006 vom Deutschlandfunk »Wenn mit dem Wind die Angst kommt«.
Von mir: »Besuch bei einer frommen Frau«.
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