29. Mai 2013

Dienstagsfrühmesse

Morgenrot vom Albertinum. Foto Albertinum-Website
Gleich noch einmal zum Thema Messe. Carlas Gymnasium bietet dienstags in der ersten Stunde einerseits Chor­singen an – das (öffent­li­chen Schulen ent­spre­chend) seit Men­schen­ge­den­ken aus­ge­fallen ist – und andererseits eine Messe im nahen Albertinum. Die Re­li­gions­leh­re­rin aus der Schule macht das ganz geschickt: Die Kinder bekommen Aufgaben zugewiesen wie Mess­dienen oder das Verlesen einzelner Fürbitten, heute außerdem der Vortrag eines erdachten Dialogs römischer Ur­christen (allerdings deutsch). Dann kommen die Kinder auch! Vorige Woche waren’s nur wenige, zehn vielleicht, heute, dank römischem Drama, dreißig.
   Die Messe ist kurz, weil die Kinder zur zweiten Stunde um viertelneun zurecht kommen sollen. Der Priester ließ die Lesung weg, machte auch sonst keine allzulangen Umwege und Vrtiefungspausen, und vor allem: Er passte die Predigt dem kindlich-jugendlichen Publikum an, was für alle anderen, die etwa vier Erwachsenen außer ihm, ebenso gut und klar und kurz war. ›Wenn ihr nicht predigt wie den Kindlein (um Mt 18,3 abzuwandeln), wird euch keine Sau verstehen.‹ Als Evangelium hatte er Mt 16,24 gewählt:
   »Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: ›Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen? Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen.‹« Den letzten Satz hat er meiner Erinnung nach nicht mehr gelesen, ist der doch heute politisch nicht mehr korrekt; heutzutage ist Gott nur und immer nur lieb …
   In der Predigt sprach er davon, dass Christen heute wie damals eine Minderheit sind, dass sie sich ruhig unter die Mehrheit mischen sollen, ihren christlichen Glauben aber nicht verleugnen und daran festhalten sollen; dass es im alten Rom Zeiten der Christenverfolgung gegeben hat, zwischendurch auch wieder nicht. Alles gut gesagt, mit einer brauchbaren Aussage. So mag ich’s.

28. Mai 2013

Sonntagsmesse

Stiftskirche Bonn, Detail vom Giebel. Gottvater ΑΩ · Foto Jörn
Was für eine andere Welt! Jedes Mal, wenn ich in die Messe komme, immer wieder, wird mir bewusst, was das doch für eine andere, separate Welt ist. Wie ein Dorf in Südtirol, wie ein fremdes Land, ferne Sitten. Ein Flug mit dem Ballon, vielleicht, den ich noch nie gemacht habe. Und dann: Was es für eine Gnade ist, eine Messe zu erleben, zu kennen, dazuzugehören zu dieser fernen Welt. Inzwischen schon zivilisationsfremd – oder immer schon? Unter Messe verstehen Heutige nur das, was wir früher eine Mustermesse genannt haben.
   Jeder Gläubige wird mir natürlich widersprechen. Kirche, Messe, Religion gehören zum Leben, zum Alltag. Ja, für manche. Manche sind auch Lokführer oder Archivare oder Bergleute, und die, die’s nicht sind, können sich’s nicht vorstellen, sind außen vor, sind dazu fremd. Lassen wir’s, das Argument, lassen wir’s stehen. Es kommt darauf nicht an. Ich meine nur, die Welt der Geschäfte, der Bekanntschaften und Besuche, der Mode und der Smartphones ist weit weg von Kirche, die höchstens als Sehenswürdigkeit in anderen Städten erlebt wird, leer dann oder voller Fremder. Markusdom. Oder sonst höchstens als extra Teil eines Familienfestes, einer Hochzeit, Taufe, Konfirmation, Erstkommunion (weniger bei einem Begräbnis am Friedhof).
   Zurück also zum Sonntag. Carla als Messdienerin: eitles Glück des alten Vaters. Ein liebenswürdiger Pfarrer, der, wie sie alle, zu lange predigt. Der das Schaumbad göttlicher Liebe herbeiredet, wie eine Verschwörungsformel, wie im Rückzug, Motto: Und er hat mich doch geliebt! Je länger, desto intensiver. Doch Sprache wirkt nicht durch Länge – das sollte ich mal selbst beherzigen! »Nach einem Augenblick der Stille«, ist sein liebster Spruch. ’s ist aber unfair, sich lustig zu machen über anderer Leute ehrliche Gefühle. Und ich will’s auch gleich sein lassen, will ihn loben als gläubig, lieb, initiativ und freundlich. Ein guter Pfarrer.
   Nur insgesamt kommt mir die Kirche bei ihrer Anpassung an die heutige Welt vor wie dauernd im Rückzugsgefecht. Da sprach er in der Sonntagspredigt doch nebenher von »Jüngerinnen und Jüngern«, vielleicht hat er’s gar nicht gemerkt. So wie sich in Politikerreden die »Bürgerinnen und Bürger« bereits zu »Bürgern und Bürgern« abgeschliffen haben. Von einem »Ideologem der Political Correctness« schrieb jüngst die NZZ*). Ich lernte da ein neues Wort, Ideologem.
   Jede Messe ein Fest. Diese war angekündigt als »besonders meditativer gestalteter Gottesdient«, sic, grammatikalisch verquer, seufz. Wer’s mag, dem sei’s nicht benommen. Gottes Brünnlein hat Wasser die Fülle. Psalm 65,10.
   Nun denn, eine fremde Welt soll man nicht kritisieren. Viel Glück der Kirche!

• »Das Gott«: http://www.nzz.ch/aktuell/international/berlin-wirbel-um-das-liebe-gott-1.17904898 
*) Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Mai 2013, Feuilleton, Seite 19, »Der Preis der Enthemmung« von Andreas Breitenstein (im Internet nicht gefunden): » … noch gibt es ernstzunehmende Kritik, die sich … auch gegen die Ideologeme der Political Correctness stemmt.«