Meine Tridentinische Messe
Seit Jahr und Tag wollte ich wieder in eine Messe gehen, wie ich sie aus meiner Schulzeit in Erinnerung habe. Die »Tridentinische Messe« war weltweit katholischer Standard von 1570 bis Ende 1963, mein’ ich; dass sie »tridentinisch« war, seit dem Konzil von Trient, sagten wir damals freilich noch nicht. Mein Abitur habe ich 1961 im Internat gemacht. Danach ging es eine Zeit lang bergab mit meiner Frömmigkeit, war sie doch nicht mehr so angesagt und so gruppenüblich wie in der Schule; die Veränderungen habe ich also nicht genau verfolgt. (Die Wikipedia berichtet von zahlreichen Änderungen, Pius XII scheint 1960 mit einem Codex Rubricarum einer editio typica »Missale Pianum saec. XX« 1962 den Weg bereitet zu haben. Und 1965 soll auch etwas geändert worden sein.)
Hier in Bonn gibt es die Tridentinische Messe bei der Piusbruderschaft (nicht Brüderschaft) in der Christkönigskirche, Kaiser-Karl-Ring 32a, also fünf Minuten mit dem Fahrrad von hier. Dank Internet weiß man ja, wann’s wo Messen gibt. Und trotz dem Skandal um Williamson habe ich mit den Piusbrüdern keine »Berührungsängste«. (Wenn’s um Skandale geht, dürfte man in keine Kirche mehr gehen.) Ich gehe nicht in die Kirche der Meinung der Priester wegen, sondern um Gott nahe zu sein. Wobei mich dann schon gewisse Predigten zornig machen, mich eine Zeit lang abfallen lassen von der frommen Andacht.
Also habe ich mich heute früh ordentlich angezogen – auch das gehörte ja zum alten Ritus – und bin zeitig hingeradelt. In dem weitläufigen Park der Landeskliniken mit ihren einheitlich in Klinker gehaltenen Gebäuden steht die 1885 erbaute klassizistische Kirche. Man betritt sie durch die Hintertür im Norden, geht dann hinauf in den ersten Stock. Der Raum wirkt auf den ersten Blick wie eine Kapelle, und doch waren vielleicht sechzig Leute gekommen, junge auch. Mich hat’s an Gottesdienst in Amerika erinnert, wo sich scheinbar alle kennen, nur hier mit viel weniger Familien. Fast wie in einer Sekte ist man wohl besonders fromm, was bei uns bedeutet: ernst und besonnen. Wie generell bei den Katholiken heutzutage gehen fast alle zur Kommunion, trotz eindringlicher Warnungen, und sehen danach aber keineswegs strahlend aus sondern noch ernster als anderswo. Alte bis uralte Gebetbücher zeigen links das Lateinische, rechts deutsch, wie früher halt. Die Messe läuft allerdings total lateinisch ab – wir hatten das früher nicht so unerbittlich –, selbst das »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehest unter mein Dach« wird von der Gemeinde lateinisch gesprochen, was diesem Bekenntnis eher Glaubwürdigkeit nimmt. Wir haben dergleichen »Publikumsteile« der Messe deutsch gehört und gesprochen, das Glaubenbekenntnis etwa oder das Vaterunser. Doch hier: Lesung und Evangelium erst einmal unverständlich lateinisch (auch akustisch unklar) am Altar, später dann aber doch deutsch von der Kanzel herab. Die Folge: Die Messe dauert eineinhalb Stunden. Eine allgemein-moderne Unsitte. Dafür kommt der Priester am Anfang gleich zweimal, und nach dem eher beiläufigen Schlusssegen wird noch einmal kurz die Monstranz ausgesetzt.
Bis zur Predigt ausschließlich Latein und Gregorianik. Ich fand das eher langweilig. Mein geliebtes »Zum Altare Gottes will ich treten« bekam ich nicht mit. Die Wandlungsworte wurden nicht geflüstert, sie verschwanden ganz. Der »Ritus«lief eher ab wie hinter Glas, fand ich. Zugegeben: Ich hatte, romantisch, meinen alten, schönen »Schott« aus dem Jahr 1953 mitgenommen, ihn dann auch gegen Ende unauffällig aus dem Rucksack geholt, geholfen hat’s mir nicht: Ich fand mich nicht oder nicht mehr richtig zurecht, nur grob.
An diesem »achten Sonntag nach Trinitatis (Dreifaltigkeit)« oder »neunten nach Pfingsten« (in meinem Schott) oder modern-katholisch »17. im Jahreskreis« – was für ein Durcheinander! – stammte die Lesung aus Paulus’ erstem Korintherbrief 1 Kor. 10, 6—13 mit der Warnung, fromm zu leben (etwa: »Lasst uns auch nicht Unzucht treiben, wie einige von ihnen Unzucht getrieben haben, weshalb an einem Tage dreiundzwanzigtausend [wohl Juden in der Wüste] umkamen«). Im Evangelium (Luk. 19, 41—47) weint Jesus über die künftige Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Übrigens scheinen Lesung und Evangelium des heutigen standardkatholischen »17. Sonntags im Jahreskreis« andere zu sein: Gen 18, 20—32 bezw. Lk. 11, 1—13. Die Protestanten müssen heute wieder ein anderes Evangelium zu haben, Mt. 5, 13—16, »Ihr seid das Salz der Erde«.
Die (rhetorisch durchschnittliche) Predigt fand ich, dass ich’s nur zugebe, ansonsten nach meinem Sinn, bis auf eine kurze angedeutete Parallele zur gestrigen Massenpanik bei der Love-Parade in Duisburg mit 19 Toten. Anders als sonst im modernen Katholizismus wurde in der Predigt das letzte Gericht nicht tabuisiert, dieses Ende von Gottes Geduld.
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