Krankenhaus und Kreditkrise
Gedanken am ersten Tag im Krankenhaus, in dieser anderen, sonst Gott sei Dank fernen Welt; nach der glücklichen Entlassung ergänzt.
Beim Empfang bekommt man eine Menge maschinenlesbarer Aufkleber. Dann Aufzug, Abteilungen, Gänge mit Handläufen, Linoleum. Schließlich im Zimmer. Der Schrank ist zu klein für den Koffer. Ich hätte nichts mitbringen sollen, alles wird gestellt: Handtücher, Schlafanzug – ein hinten offener Kittel –, sogar Einmalrasierer. Kurze Vorstellung bei den Mitbewohnern (zweien, natürlich nicht im Bild), nicht gerade ein heiteres Hallo.
Erst frage ich nach der Krankheit, dann dem Beruf. Der alte Mann mit kaputten Nieren und schlechtem Herz war Stellmacher in einer LPG gewesen, der etwas jüngere Tunesier ohne Blut im Bein, hochintelligent, Schachspieler, hatte vor der Wende ein kleines Hotel in Bonn bis zur Pleite geführt; tüchtige, ehrliche, fleißige Leute, hier, wie ich, reduziert, »pazient«. Dann höre ich auf; die ausführlicheren Geschichten erfahre ich erst mit der Zeit. Es ist warm, dreiundzwanzig Grad, vom Gang herein dringen Geräusche, Gespräche, Eisenbahnstimmung. (Später irritiert mich ein hohes Pip-Piep, wie aus einem gestörten Gerät; das ist die »Klingel« für die Schwestern am Gang, es piepst, bis die Anfragen in allen Zimmern gelöscht sind, und das kann, besonders Nachts, dauern.) Der müden Reisestimmung fehlt nur das monotone Brummen der Flugzeugdüsen oder das Schaukeln und Rattern der Räder, draußen vorbeiziehende Nacht, der Wechsel der Leute. Ich werde sofort schläfrig. Jedenfalls versiegt mir im Krankenhaus jeglicher Tatendrang, na ja, ich tippe das; ein anderer tät zur Beruhigung am Pullover weiterstricken. Nur Raucher mögen nervös werden, ich bin’s Gott sei Dank nicht. Die Ärztin kommt und legt für die Zeit hier einen »Zugang« in eine Vene am linken Handgelenk . Ab dann bekomme ich tröpfchenweise Salzwasser infundiert (»isotonische Kochsalzlösung«), gut für meine Nieren.
Die Infusionsflaschen sind inzwischen ganz aus Plastik, das sie mit der Zeit bei Unterdruck einfach zusammenschrumpeln lässt. Doch die größte Änderung seit meinem letzten Aufenthalt hier (einem TEP-Leistenbruch im Oktober 2005): Handys! Schon auf dem Dach des Krankenhauses stehen gut sichtbar große Mobilfunkantennen. Ärzte und Ärztinnen haben keine Piepser mehr, hasten zwischendurch nicht mehr ans nächste Wandtelefon. Es gibt ja Handys. Kommunikation schnell und wie nebenher aus der Kitteltasche mit den Bleistiften. Dabei hat noch vor ein paar Jahren alle Welt ein Trara um die Strahlung gemacht. So setzt sich Vernunft durch.
Leider scheint das in den administrativen Abläufen des Krankenkassensystems weniger der Fall zu sein. Ich musste eigens für diese Krankenhauseinweisung nacheinander zwei Ärzte abklappern, Hausarzt, Facharzt, obwohl mich beide kannten und bereits alles feststand, keiner mich neu untersucht hat. Man hätte das telefonisch, oder noch besser über E-Mail erledigen können. Die Chipkarte der Krankenkasse dient nur zum Beweis, dass einer wirklich beim Arzt war. Damit der nicht Phantasiepatienten abrechnet. Was er abrechnet, bleibt noch immer seine Sache, Geheimnis zwischen ihm und vielleicht einer Abrechnungsstelle. Nicht einmal die (zahlende) Krankenkasse darf das im Einzelnen erfahren. Und Patientendaten sind so gut geschützt, dass sie bei Bedarf keiner hat. Also gebe ich alles mündlich immer wieder an, fragmentarisch, so gut ich es verstanden habe, bis hin zur Telefonnummer meiner Frau. Und selbst diese unverfängliche Nummer muss ich hier im Krankenhaus zweimal eintragen, die Systeme sind ja autonom, Effizienz ein Fremdwort? Das wird so bleiben, schließlich bestimmt doch der Staat mit seinen immer wieder »reformierten« Gesetzen alle Details, Abläufe und Ausgaben: Medizinen zahlt er, blutverdünnendes Aspirin nicht, Plomben schon, Zahnersatz nicht usw. So könnte man keine Windschutzscheibe reparieren, obwohl auch das der TÜV im Einzelnen vorschreibt. Seit heuer, 2009, haben wir nun einen »Gesundheitsfond« – eine extra Krankheit für sich. Und wir glauben an den Staat als allgemeinen Retter!
Ich meine zur Krankheitspolitik: Es ist halt niemand wirklich an kostengünstigen Abläufen interessiert, warum auch? Keiner verdient daran. Komplexität bringt Arbeit. Konkurrenz gibt es nicht. Ständewirtschaft. Sollte sich denn ein »Gesundheitssystem« selbst rationalisieren? Es wäre schön blöd.
Auch, und wo sollen denn die ganzen Leute hin? Keiner kann sich vorstellen, dass hier Unnötige wieder anderswo einen Job finden könnten. Festhalten, Klammern ist die Devise, bei Bergarbeitern, Bankern und Behörden, allüberall. So aber dreht sich die Welt nicht weiter, und wenn, dann bloß in Indien. – Achtung: Ich schwenke zur Politik.
Wir müssen wieder Mut finden, den Glauben an neue Arbeitsfelder, an neue Wünsche, die die alten Leute neu erfüllen. Nachfrage und Angebot. Beispiele aus der Vergangenheit gibt es genug: PCs und Mobilfunk, Döner und Kaffe-»Latte«, Starbucks und Car-Glass, W-Lan und Internet – nur halt noch keine Beispiele aus der Zukunft …
Ein weiterer Seitenhieb: zur Krise. Kredite. Faule Kredite hätten die Banken vergeben, heißt es, und das sei Auslöser der Krise. Sie haben’s doch getan, weil zuviel Liquidität im Umlauf war, (Konjunktur-)gefördert von den Staaten, von Welt- und Landesbanken, von künstlichen Renmimbi-Kursen. Warum müssten sonst deutsche »Landesbanken« Kredite amerikanischer Häuselbauer kaufen? Überall waren die Renditeerwartungen hoch, höher jedenfalls als die Vorsicht. Und sie sind es immer noch! Die Commerzbank hat 164 Milliarden Euro vom Staat bekommen. Sie muss dafür jährlich 1,5 Milliarden Zinsen zahlen. Ich habe einmal das eine durch das andere geteilt: Das ergibt über neun Prozent Zinsen! Unser Staat als Zockerstaat oder: Wie soll das erwirtschaftet werden? Inflation ist programmiert.
Wir können doch nicht Kredite als Krisenursache verteufeln und dann doch wieder nach Krediten rufen, für alle und jeden. Beispiel Autos. Die hat man sich früher geleistet nach eigenem Vermögen, hat sie bezahlt. Seit ein paar Jahren wird geleast, das heißt, man fährt auf Kredit, auch privat, auch hier. Ironisch gesagt: Firmen und Menschen besinnen sich auf ihre »Kernkompetenzen«, alles andere wird outgesourct, geleast, notfalls nach Amerika verkauft und zurückgeleast, wie die Straßenbahnhaltestellen in Dortmund oder die U-Bahn in Wien und die Zürcher Straßenbahn. Eine Schande.
Vorschlag: Statt von der Zukunft zu pumpen, erhöhe man die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich um zehn Prozent, dadurch höheres Nationalprodukt, bald mehr echtes Geld zum Ausgeben – ganz ohne Anleihen bei kommenden Generationen. Frischer Mut, heute (now!). Selbst bei einheimischen Dienstleistungen tiefere Preise; international erhöhte Wettbewerbsfähigkeit. So ungefähr müsste das aussehen – nur tun wird’s keiner.
Nun, ich verlasse die Politik, mit der Empfehlung den Artikel »Wie steht es mit dem Comeback des Keynesianismus?« aus der Neuen Zürcher Zeitung vom Freitag, 16. Januar 2009 (meinem Krankenhaustag) zu lesen, auf Anfrage bei mir, oder im Netz bei Oehen.
Zurück zum Krankenhaus. Nach zwei Nächten und einer Herzkatheteruntersuchung mit Stent-Einsatz in einem Herzkranzgefäß (Ramus intermedius) bin ich wieder wohlbehalten zu Hause. Auch der Tunesier ist längst glücklich entlassen, nur Opa R. (Porzellanmarke) muss noch bleiben, ist schlecht dran. Ich besuche ihn am Sonntag, selbst schon entlassen, lerne seine Frau kennen. Sie erzählen über ihre Zeit in der DDR, wie sie ihr Haus vor der »Familienzusammenführung« (»Ausreise« war Tabuwort) in den achtziger Jahren doch noch hatten verkaufen können, dem Pastor mit seinen vielen Kindern, da hatte er Anspruch – und hatte sich nachher doch als ihr Stasi-Spitzel herausgestellt. Gut zu reden über die alten Zeiten, ein Geheimkode von uns Gestrigen, aus einer bestimmten Zeit, aus einer bestimmten globalen Gegend. Heimatgedanken, obwohl ich nie in der DDR gelebt habe.
Mein Nachbar von der anderen Straßenseite kommt zu Besuch. Die Nachbarin von oben sogar zweimal, rührend. Sie kennt sich aus in Krankenhäusern, ist vom Fach. Der häufige Wunsch der Patienten nach Belebung der Decken (Plafonds): Wenn einer so gefahren wird, im Bett zum OP, nach oben starrt, Lampen, Rauchmelder und Deckenplatten ziehen vorbei wie Eisenbahnschwellen. Es bräuchte Schilder: »Noch 50 m bis zum OP«, »Noch 40 …« und so weiter.
Episode: Die EKG-Nehmerin, bei der ich gleich anfangs zur Aufnahme war, kommt hernach mit ihrer tragbaren Laptop-EKG-Maschine aufs Zimmer und besucht mich. Sie fährt ihr beziehungsweise mein EKS. »Ja hallo!«, sagt sie, dann erklärend: »Ich erkenne die Leute an ihrem EKG«. Vorhofflimmern.
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