29. Oktober 2007
Also klingelte eines Tages ein junger Geschäftsmann bei mir an der Tür. Er trug zwei Deutschlandfahnen bei sich, liebevoll zurechtgemacht zum Beflaggen des Hauses. Ich habe ein bisschen herumgedruckst, sei Österreicher, und überhaupt hätte ja Bonn-Oxford nicht direkt etwas mit Deutschland-Großbritannien zu tun.
Draußen wurden erst einmal die fehlenden Querseile über die Straße nachgespannt, die wir wegen den neuen, elegant im Weg stehenden Straßenlampen nicht vermisst hatten. Doch auch an den Laternen wurde wieder herumgearbeitet, wieder Hubwagen, Materialwagen, zwei Mann fast einen Tag lang, Bonn-amtlich, wie gehabt. Dann spannte ein privater Wagen mit Hebebühne Flaggen quer über die Straße, abwechselnd deutsch und britisch. Nur ich hatte mir Zeit gelassen mit dem Beflaggen. Fast wäre es darüber zum Streit gekommen mit dem Haus- und Ladenbesitzer (zugleich Vorsitzendem der »Immobilien- und Standortgemeinschaft Friedrichstraße«) . Wir einigten uns dann auf eine Flagge an einem Tag ... Ja, inzwischen sind Fahnen zu reinen Dekorationsartikeln verkommen, und das ist eigentlich ganz gut so!
Hier noch der Text des abgebildeten Briefes: Der Oberbürgermeister von Andernach-Land als Ortspolizeibehörde Abt. III – Andernach, den 21. April 1941 – An [handschriftlich:] Herrn Johann ... [den Familienamen habe ich weggelassen – fj] in [...], [...]str. – Wie festgestellt wurde, haben Sie am Geburtstage des Führers, einem hohen nationalen Feiertage, Ihr Haus nicht beflaggt. Dieses Verhalten ist eines deutschen Mannes oder einer deutschen Familie nicht nur nicht würdig, sondern stellt eine Mißachtung der Person unseres Führers dar. Ich will diesmal davon absehen, es zum Anlass für Weiterungen gegen Sie zu nehmen, erwarte aber von Ihnen, dass Sie in zukünftigen Fällen, in denen eine Beflaggung vorgeschrieben ist, diese pünktlich vornehmen werden. Dadurch können Sie unangenehme Folgen von sich abwenden. – Ich kann nicht annehmen, dass Sie nicht im Besitze einer Hakenkreuzfahne sein sollten, da Ihnen zu deren Anschaffung eine Reihe von Jahren zur Verfügung stand. – Möge Ihnen dieser Hinweis für die Folge als Warnung dienen.
P.S. Die Fahnen wurden am 12. November abgenommen, nach vier Wochen. Man hatte vergeblich gehofft, gleichzeitig die Adventsdekoration montieren zu können.
22. Oktober 2007
Gestern, am Sonntag, ging es um das Beten. Das Evangelium: »In jener Zeit sagte Jesus zu seinen Jüngern durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Feind! Lange wollte er nichts davon wissen. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Und der Herr fügte hinzu: Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt. Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden?« (Lk 18,1-8)
nahezubringen. Ich dachte bei mir: So gläubig sind wir hier doch auch nicht – und hätte mir Argumente für Nicht- oder Schwachgläubige gewünscht. Auch für die gibt es gute Gründe, zu beten, und mehr als bloß die Einstellung: »Schaden kann es nicht ...«
19. Oktober 2007
Bewertung ex post? Andreas Petzold, Stern-Chefredakteur, schreibt in seinem Leitartikel »Eva Herman und die Frage: Wie ahnungslos darf man sein?« im Stern 43/2007 vom 18. Oktober 2007:
»Es gibt offenbar Zeitgenossen, die so denken, wie es Eva Herman nachgesagt wird. Diese Zeitgenossen übersehen, dass sich das ›Dritte Reich‹ nur vom Ende her gesehen bewerten lässt …«
Jeder vierte Deutsche hatte dem Stern zufolge in einer Umfrage angegeben, der Nationalsozialismus habe auch gute Seiten aufzuweisen.
Ich will mich nicht an der eher despektierlichen Benennung dieser Mitbürger als »Zeitgenossen« stoßen. Ich meine auch nicht, alle »Errungenschaften« vor dem Krieg seien allein vom Nationalsozialismus zu verantworten. Wie stets wird da Politik überschätzt – was dann zu billigen Verallgemeinerungen führt: Die Nazis waren an allem schuld, und: Alles, was da passierte, war nazistisch.
Kann man eine Sache bloß von ihrem Ende her beurteilen? Ist das nicht sehr eingeschränkt? Gedanklich gefährlich? Polemisch gesagt: Wäre das Dritte Reich nicht untergegangen, wäre es dann besser gewesen? Die bürgerliche Einstellung zur Frau, war sie wirklich nur von der Politik bestimmt? Jemals? Um eine höhere Kinderzahl bemühen sich nun einmal alle modernen westlichen Staaten. Sind die verschiedenen Versuche nur aus dem jeweiligen politischen Menschenbild heraus zu sehen? Für einen bloß politischen Menschen vielleicht, der alle Mittel bloß von ihrem Zweck her beurteilt. Der Zweck heiligt die Mittel, und scheinbar nur der Zweck.
Wer allerdings ein etwas weiteres Bild von Gut und Böse hat, vielleicht ein religiös geprägtes, ein »absolutes«, wer an »das Gute« glaubt, der muss zugeben, dass auch ein Böser Gutes tun kann. Oder? Sola fide? Dabei geht es um den Menschen und sein ewiges Heil, nicht um die Sache. Hängt – für eine Sache – alles nur von der Einstellung des Handelnden ab? Oder gibt es Gut und Böse auch unabhängig von Guten und Bösen? Ich meine: Richtig wissen werden wir das nie, erst nach dem Jüngsten Gericht, und das kann noch dauern. Vielleicht nicht einmal dann werden wir sachlich Klarheit haben, denn Gottvater beurteilt Leute, nicht Sachen. Trotz dem eher unglücklichen Biss in den Apfel des Baums der Erkenntnis sind wir immer noch nicht scientes bonum et malum ...
Doch zurück zum Stern. Wenn wir schon eine Zeit »bewerten« – was ich eher unbescheiden finde, wir sollten uns bemühen, eine Zeit zu verstehen – dann bitte nicht bloß von ihrem Ende her.