24. Juni 2015

Deutschland stellt sich dumm. Internet-Angst

Alexander Zick: Hänsel und Gretel (Wikip.)
Damals, als die Kinder statt über Hobbits (»Halblinge«) noch von Hänsel und Gretel lasen, hatten alle Angst vor dem Wald. Und vor Hexen. – Heute sind’s Hacker. Der tiefe Wald, in dem man sich verirrt, ist das Internet.
   Schon Schulkinder (mit »Informatik« als nach­mit­täg­li­ches Neben-Nebenfach) sind dagegen. »Das Internet ist eine riesige, undurchschaubare Macht«. »Ich versuche, dort möglichst wenig zu tun.« »Verstehen können das Internet nur Leute, die Informatik studiert haben, nur ganz wenige. Ich jedenfalls nicht.« »Das Internet weiß fast alles über mich, weiß, wo ich bin, kennt meine Gewohnheiten. Wenn ich vormittags mein Handy in der Schule abschalte, kennt es diese Gewohnheit, kann mich verfolgen, überall.«
   Wenn ich dann als alter Techniker sage: »Denk doch mal nach!«, so schlägt mir Desinteresse entgegen: »Das verstehe ich eh nicht, das verstehen nur Fachleute.« »Außerdem interessiert es mich nicht.« »Früher hatten die Leute ja auch kein Internet, ging doch auch.« Worauf ich polemisch antworte: »Früher gab’s auch keine Unterhosen!«, und an die armen Adam und Eva denke mit ihren Feigenblättern.
   Deutschland macht sich dumm. Bildet sich über alles eine Meinung, denkt aber über nichts nach, schon gar nicht, bevor es seine feste Meinung äußert. Vorurteile statt Verstehen. Angst aber steckt an. Nachdenken nicht. ’s heißt ja auch Nach-Denken, weil man’s meist erst nachher tut. »To think after«, das gibt’s im Englischen gar nicht. Unser Volk von »Dichtern und Denkern« lebt in Angst und Aberglauben, als hätte es eine Aufklärung nie gegeben. Irgendwann in den fortschrittlichen Zeiten nach 1968 stieg der denkende Deutsche auf die Bremse und ließ Meinungen und Lobbyisten überholen, die hinter ihm herdrängelten. Technik ist ja so undurchschaubar.
   Das stimmt sogar. Mechanik konnte man noch beobachten, wenn man den Deckel aufmachte. Seit es Strom gibt, bewegt ein Auslöser da einen Motor dort. Man muss schon dem Kabel nachgehen, um vielleicht zu verstehen, warum. Und gar Computer: Die tun, was sie wollen, oder irgendein Experte. Weiß ich, was meine App alles speichert und sammelt, überträgt, wem – mächtigen amerikanischen Konzernen im Hintergrund? Die wissen alles über mich. Und löschen lässt sich nichts in Internet …
   Konkret: Vor SMS oder E-Mail hat keiner Angst, höchstens eine kleine Minderheit. Vor Home­bank­ing schon eher. Fotos im Netz: »Das geht gar nicht!« Denn da kann jeder ’mit machen, was er will. Facebook – fürchterlich. Ich stelle da nichts rein, rein gar nichts.
   Und nun kleine, beispielhafte Anregungen:
• Das deutsche »Bundesamt für die Sicherheit in der Informationtechnik«, das BSI in Bonn, sollte sich mehr um die staatlichen Rechner im Bundestag kümmern, als medienwirksam alle Deutschen immer nur zu warnen.
• Der Informatikunterricht in den Schule müsste zeigen, wie man Phishing einfach erkennt und wo Nachrichten herkommen, wie man mit zehn Fingern tippt, und warum die Mobiltelefongesellschaft wissen muss, wo ein Handy »eingebucht« ist, u. z. nur sie.
• Im Ethikunterreicht sollte besprochen werden, warum anonyme Briefe inakzeptabel sind, und wie das mit »Nicknames« im Internet ist. Ist dort Anonymität akzeptabel, wenn ja, warum?
•  Vor allem sollte jeder entweder eine selbst verstandene Meinung haben und im Zweifelsfall sagen: »Das weiß ich nicht«. Technik lässt sich mit dem gesunden Menschenverstand sehr wohl durchschauen, jedefalls so weit, dass man Risiken und vor allem Chancen erkennen kann.
   »Atomkraft, nein danke!« – »Internet, nein danke!« – So, wie weltweit Atomkraft nicht verschwinden wird, weil wir hier (berechtigt oder nicht) davor Angst haben, wird auch das Internet nicht so bald abgeschaltet werden, trotz »German Angst«.

Links:
22. 6. 2015 FAZ: »Im Internet geht die Angst um.« (Eine unverständliche »Studie« von Hubert Spiegel)
21. 10. 2014 Huffington Post: »Die Angst der Deutschen vor dem Internet«

Link hierher: http://blogabissl.blogspot.com/2015/06/deutschland-stellt-sich-dumm-internet.html

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