17. Mai 2010

Ein langes Wochenende in London im Mai

Für Carla, 8, III, war’s der erste Flug und zum ersten Mal in London. Nach Paris fahren wir öfters, nach London machen das wohl nur Autobegeisterte oder Vulkanstaubverdrängte mim eigenen Wagen. Hoch war unsere Erregung (Bilder hier, Videos auf Youtube).

Mittwoch, 12. Mai 2010, Hinflug

Ich musste Carla ein paar Minuten vor Ende der letzten Schulstunde abholen. Nach Hause, Fahrrad und Schultasche dalassen, Eilmarsch zum Busbahnhof. So standen wir beide dann sehr rechtzeitig am Bonner Busbahnhof. Schon als wir über den Rhein fuhren, rief Gattin an, sie würde sich aus ihrem flughafennahen Porz jetzt auch aufmachen im Taxi. »German Wings« – erste Erklärung einer englischen Wortbedeutung an Carla – nahm uns die beiden großen Gepäckstücke ab, Sicherheitskontrolle, Duty Free, »wenigstens gucken«, und ab. Carla am Fenster, Mama am Gang, 3D, 3E, 3F, der Schreibende inmitten des Geschehens …

Carla ganz begeistert, fast so aufgeregt wie zur ersten Kommunion Anfang April (s.d.), das Wetter leider kalt und total bewölkt – bis kurz vor England, wo Wolkenlücken Landsitze zeigten und Autobahnen mit Linksverkehr und Rapsfelder und Seen. Uhr umstellen, Passkontrolle, und ein eher aufdringlicher Türke, charmant und überaus persönlich angetan von G. (»Kann ich Ihnen meine Handynummer geben!«). Dann die große Frage: Wie kommen wir von Stansted nach London? Normalerweise direkt mit dem Zug, wir wollten aber optimieren und haben uns dann doch nicht zu einem Taxi entschlossen (£ 106. Vorbestellte Mietwagen muss es ab etwa £58 geben.) oder zu einem Gruppenbus (£ 110). So zahlten wir £ 78 für den bequemen Zug hin und zurück zum Bahnhof London Liverpool Street Station. (1 £ = € 1,20)

Erster Eindruck von London: Alles modern, ungeheuer viele Leute, verwirrender Verkehr. Am Vorplatz das Denkmal für die jüdischen Kinder, die alleine aus Deutschland in »Kindertransporten« hatten fliehen können. Und dann sind wir mit einem streckenweise rasenden Taxi zur »Inverness Terrace« gefahren, gegenüber im Westen Londons, direkt an der Bayswater Road anschließend an die »Kensington Gardens« (»größer als Monaco«). Die Enttäuschung mit dem Apartment, auf die uns G. schon vorbereitet hatte, dank zu spät gelesener Internet-Kritiken, blieb nicht aus: An der überfüllten Rezeption waren die PCs down, keine Vergabe der Apartments möglich. Also haben wir die Koffer dort gelassen und sind spazieren gegangen in der parallelen »Queensway«. Tee und Kaffee in einem der Prêt-a-Manger-Restaurants mit rotem Stern, nett, bis die um sieben schlossen. Dann erfolgreiches Zimmer-Beziehen, hoher vierter Stock (»going up«, sagt der Fahrstuhl): Schlafzimmer, Wohnzimmerküche mit Schlafsofa, Bad, Blick in einen ruhigen Innenhof, voll ausreichend. Tolles arabisches Satellitenfernsehen, passend zum Ambiente*).
Dann noch ein erstes Abendessen bei einem gutem Italiener, Bella-Italia-Kette. Carla Carbonara, Papa Minestrone und Lasagne als Forno und eine Birra Moretti, Mama Funghi Spinacci. Gut geschlafen, trotz laut laufendem Kühlschrank.

Donnerstag, 13. Mai 2010, Christi Himmelfahrt, Stadtrundfahrt, Tower

Dank GMT früh aufgewacht. Erstes Frühstück wieder im Prêt a Manger: Papa Porridge, Mama Brötchen, Carla Croissants. Morgens ist die Stadt noch so schön leer, die Luft knackig rein, der Himmel ohne Wolken. Auf unserem Programm standen Stadtrundfahrt und der Tower of London, vielleicht etwas Shoppen?

Wir haben für die Rund­fahrt die sehr populäre »Big-Bus«-­Linie gewählt; man kann über­all aus­steigen und später wieder dazu, 24 Stun­den lang. Erst ein­mal wollten wir ein Stück fahren. Als dann aber hinter dem Piccadilly Circus (an allen Sehens­würdig­keiten Bau­stellen) kurz nach neun ein Pirat vom Geh­steig her unseren Bus zu kapern ver­suchte, mussten wir aus­steigen und bei Hamleys in diesem rie­si­gen Spiel­waren­geschäft ein­kaufen. Rosa von unten bis oben, über­all fleißige Vor­führer, Spass und Stimmung. Dann ein Blick in die Carnaby Street und hinein in den nächsten Laden, »Monsoon«, ohne mich. »The Gap« noch gemieden, getreu der Ansage in der U-Bahn: »mind the gap«, achten’S auf die Ritze.

Weiter wieder mit dem offenen Rundfahrbus durch das Bankenviertel, wo wir uns am Oberdeck bald bis ganz nach vorne vorgearbeitet hatten. An Nelson und dem Parlament vorbei – Big Ben heißt die Glocke, nicht der Clock Tower – über die Themse mit Blick auf das Riesenrad (»London Eye«), das ich noch nicht gekannt hatte. Eine tolle Fahrradkonstruktion, mit einer täuschend echten Radnabe und als Speichen Seilen.

Beim »Tower of London« ausgestiegen – kein Turm eigentlich, sondern eine befestigte Schlossanlage mitten in der Stadt an der Themse. Riesig viele Leute, und dann doch keine Wartezeiten, nicht einmal bei den Kronjuwelen (»Sie betreten den am besten gesicherten Raum Englands«), dank Laufband, das man dann aber beliebig oft befahren kann. Glitzern im Halbdunkel, feierlich-gedämpfte Stimmung, Fotografieren verboten. Wir gehen ein Stück die Mauer entlang, erlebnisreich (machen Sie sich hier mit den mittelalterlichen Waffen vertraut). Draußen danach ein anderer Wachsoldat, jetzt ein traditionell roter mit hoher Bärenfellmütze – Carla: »Der hat jetzt eine Wollmütze auf«. Beim Ausgang eine Führung mit Gruselgeschichten.

Am Pier Sandwiches in der Sonne – die uns die ganze Zeit treu geblieben ist. Dann, inbegriffen in der »Big«-Tour, eine Bootsfahrt im breiten Katamaran für 300 Passagiere mit heiterem Cockney-Vortrag bis zur Westminster-Brücke. Dort tageszeitgemäß viele Touristen, nach kurzer Wanderung – look right, look left – fanden wir die Kirche allerdings schon geschlossen, ab 15.30 Uhr. Also Entspannen: G. und Carla setzen sich vor das Parlament, etwa dort, wo die Fernsehcrews die neue Regierung verkünden wollen, Fritz rast zurück an die Bootsanlegestelle zum örtlichen »City Loo«. Übrigens: »Text toilet to 80097 to locate your nearest public toilet«.

Wir hören uns noch das Fünf-Uhr-Läuten an und wandern weiter zur nächsten Big-Bus-Station am St. James Park, nachdem die am Parlament verlegt worden war. Gemütlich mit dem Big-Bus nach Hause; man kann den Leuten von oben »in die Suppe« gucken, viel besser als mit Googles Street View … Wir haben die ganze blaue und rote Runde geschafft.

Heute wollten wir chinesisch essen, trotz leichtem Protest von Carla. Im ersten Restaurant bekamen wir nur einen ungemütlichen Tisch am Gang in der Mitte, Gisela kommandiert nach Rücksprache mit der unflexiblen Kellnerin den Auszug, im zweiten Restaurant dann war’s ganz gemütlich (Kam Tong Restaurant, 58–63 Queensway).

Freitag, 14. Mai 2010, Harry Potter, Harrods, V&A

Das Wetter immer noch schön. Carla und ich gehen aufs Dach unseres Hauses hinauf. Dann alle ein gemütliches Frühstück um die Ecke an der Bayswater Road. Wir nehmen den normalen Bus, zahlen aber erst einmal noch für drei. Dabei fahren Kinder bis elf kostenlos (Alte über sechzig auch, aber nur Einheimische. Sehr beliebt ist die auch für Touristen im Vorverkauf erhältliche elektronische »Oyster Card« als Gut­haben­karte). Im oberen Stock des roten Busses, wieder ganz vorne, kurven wir bis King’s Cross. Am Ende von Bahnsteig 8 hinter dem Fahrradstand ist Harry Potters Gleis 9¾ mit dem eingemauerten Gepäckwagen zu sehen. Eine kleine Fan-Attraktion.

Mit der U-Bahn fahren wir zurück zu Harrods, einer eigenen Station! Beeindruckend Reichtum und Vielfalt im Erdgeschoss, Parfüm, Schmuck, Essen, und wir ein gutes, teures Eis bei Morelli’s, eine Kugel für £ 2,20. Dann mit der Rolltreppe wie in einem Pharaograb hinauf, einen Harry-Potter-Zauberstab erstehen. Am Schluss probieren die Damen die neuesten modischen Sonnenbrillen.

Danach Mittag wieder mit Sandwiches in einem »Pret«. Zu Fuß weiter zum Victoria-und-Albert-Museum, an der großen katholischen Kirche für Filippo Neri vorbei. Um zwei im »V&A« müssten wir bis 18.15 auf Grace Kelly warten, wir sehen aber das meiste schon durch boßes Herumgehen um die Ausstellung im Bereich Mode. Die Damen verkleiden sich mit Theaterkostümen. Das Museum verwirrt, so vielseitig ist es, Technik im Sinn von Herstellung, von Schmiedeeisen bis Schmuck. Unvergessen die Juwelen. Carla designt einen Ring am Terminal und schickt ihn uns als Mail.

Heim mit der U-Bahn. Bei einem Eis Ansichtskarten fertig schreiben, Fritz geht in den Park und entdeckt »The Diana, Princess of Wales’ Memorial Playground« in den Kensington Gardens, davor einen Baum mit Figurinen. Abend Wasser einkaufen und italienisch essen.

Samstag, 15. Mai 2010, Westminster, Wachwechsel, Diana-Spielplatz

Heute wollten wir endlich die Westminster Abbey und den berühmten Wachwechsel vor dem Buckinghampalast sehen.

Also los früh um viertel nach neun. Fritz wie immer vorher unten wartend, nimmt Autos und Straßenschilder auf. Frühstück neben Halal im Art Cafe mit nerviger arabischer Musik. Zwei mal Rechnungskorrektur, Mama erspart uns durch genaues Rechnen zwei Pfund.

Dann mit der U-Bahn zur Station Westminster. Das Münster kostet kräftig Eintritt, Erwachsene £ 15, Alte über 62 £ 12, Kinder bis 10 gratis. Carla bekommt eine Kladde mit einem deutschen Fragebogen für Kinder und am Ende einen großen goldenen Schokoladetaler (und die Klos sind bestens!). Fotografieren darf man nicht, ohnehin drängen sich die Leute. Carla wollte sehen, »wo Händel vergraben ist«; er liegt unter einer schwarzen Marmorplatte.

Zu Fuß wandern wir weiter zum Wachwechsel. Und sehen von der »Birdcage Walk« aus schon von weiten die Vorbereitungen auf dem Paradeplatz vor den Wellington Barracks. Dort sieht man alles viel besser als im Gedränge vor dem Buckingham-Palast. Die Blasmusik (sogar eine Frau ist dabei) spielt moderne Arrangements etwa von »New York, New York«, »Take the A train« und andere populäre Melodien, leicht kritisiert von einem konservativen Engländer mit Tochter neben uns. Nachdem die rote Truppe zum Palast marschiert und eine schwarze ablöst, schließen wir uns an und harren bis zum Ende aus. (Die Königin hat fünf Garderegimente.) Auf »The official website of The British Monarchy« finde ich dieses schöne 8-Minuten-Video (weitere, und hier unsere):


Wir gehen durch Hitze und Park zur U-Bahn-Station Green Park und machen erst einmal Pläne. Carla will unbedingt zu Madame Tussauds, nur zwei U-Bahn-Stationen weiter. Schon in der Bahn und dann in Massen an der Baker Streer Station laute blaue Fußballfans, von der Polizei vor dem »Globe« in der Marylebone Road in Schach gehalten.

Hoffnung haben wir wenig, und richtig: Wartezeit 2 ½ Stunden. Also mit dem Bus zum Piccadilly Circus und dort in einer Sei­ten­straße gut in »Piggy’s« Spiegel­res­tau­rant ein Sand­wich gegessen.

Danach Wanderung zum Trafalgar Square, wobei G. schon einen weit näheren Herren auf hoher Säule für Nelson hält – den Duke of York am Waterloo Place. Danach gemütliche Zeit mit Löwen und Menschen um die Nelson-Säule herum. Selbst Carlas Timmy darf auf den Löwen.

Dann mit dem Bus zurück zu Marble Arch (man achte auf die Aussprache). Und dann bald wieder heim mit der 148. Eis. Carla und ich gehen zum Diana-Spielplatz, Glück für beide; G. in die Shopping-Mall W (»Whiteleys«, 1911). Den letzten Abend zelebrieren wir mit einem Steak, das dann aber eher minder ausfällt. Das schmale Lokal ist durch Spiegel verunendlicht, rechts neben uns ein deutschschweizer Paar, links neun schwäbische Hausfrauen (Realschullehrerinnen?), schräg hinter und ein Trupp italienischer Fußballfrauen.

Abends spielt (am Fernsehen) Chelsea vs. Portsmouth. Knappes 1:0, Ballack geht verletzt vom Platz. Aus ist’s mit der Weltmeisterschaft für Deutschland für ihn.

Sonntag, 16. Mai 2010, Abreise

Geplant hatten wir einen Zug ab Liverpool Street Station um 13.10, hatten also gut Zeit. Das Zimmer war bis 11 Uhr zu räumen. Da konnten wir zuvor noch gemütlich frühstücken.

Es gelang uns endlich, zum Frühstück einen der vielleicht sechs Tischlein im klitzekleinen Café Roma im Inverness Place zu ergattern. Draußen ein bisschen Regen, der danach aber wieder aufhörte. Am Rückweg kamen wir an einer Bushaltestelle vorbei und entschlossen uns spontan, statt mit der U-Bahn (von Bayswater die Circle Line) einen ebenso direkten Bus zu nehmen, dessen örtliche Haltestelle wir dann, zwei schwere Koffer hinter uns herziehend, aber nicht fanden. Er muss westlich gewesen sein, während wir ewig gen Osten wanderten, nur um bei der nächsten Haltestelle festzustellen, dass es den dort nicht mehr gibt. Also Plan heraus, Buslinien verglichen, und uns zum Umsteigen in der »Tottenham Court Road« entschieden. So weit, so misslich. Jedenfalls hatten wir noch eine lange Fahrt mit der 390 durch die Oxford Street. Die Geschäfte machten um ½12 gerade auf. Die Stadt »gut besucht«. Das Umsteigen gestaltete sich mühsam, weil wir wieder in Nebenstraßen und um den ganzen Platz herum irrten auf der Suche nach einer Haltestelle. Gerade als wir aufgeben wollten, fand sie sich als letzte einer Reihe, und bald kam auch ein 242er. Bloß: Der nahm uns nicht mit, unser Ticket sei zum Umsteigen nicht zugelassen, und das Ticket muss man vorher kaufen oder so. Wir also wieder raus. Der nächste 242er stand Gottlob schon dahinter, der nahm uns dann regulär gegen Bares mit; die beiden Busse leisteten sich ein Wettrennen und überholten sich immer wieder, je nach Aussteigern auf der Strecke. Durchs Bankenviertel, zu Liverpool Street Station.

Dort erreichten wir sogar einen etwas früheren Zug, 12:55, und ab nach Stansted. Einchecken, Heavy-Aufkleber (23 kg) auf die rollende Reisetasche, Kontrollen und mit lauter Deutschen (wie eigentlich auf der ganzen Reise) zurück. Schöner Flug über den Rhein herein.

Sehr, sehr schöne Tage.
(Notizen s. LondonMai2010.doc)
*) Hyde Park Suites 32 Inverness Terrace 
Customer Service Team: www.central-london-apartments.com
Tel: +44 (0)845 644 2714, Fax: +44 (0)845 644 2715

5. Mai 2010

Sehnsucht nach Oregon

Bonn, Hofgarten
Erinnerungen treffen mich manch­mal ganz gegen­stands­los; Er­inner­ungen eben, un­grei­fbar wie alle Ver­gangen­heit. Oft ist es bloß ein Duft, un­be­wusst, un­er­kannt, oder gar nur die reine Luft. Heut’ früh im Bonner Hof­gar­ten, da war’s noch frisch, die Luft mor­gend­lich kühl, ro­bust, und doch weit und sonnig schon.

Sehnsucht nach Oregon. Frühe Fahr­ten nach Nor­den, der Küste entlang, durch Sequoien­wälder, oder ge­schwin­dig­keits­be­grenzt und damit ge­fühls­ver­stärkt über die High­way Five. Eigent­lich nichts Be­stimm­tes. Ein­fach: Oregon. Ge­rührt von Luft.

Dann weiter durch Bonn mit dem Fahrrad. Am Markt wird noch aufgebaut. Die Stadt beginnt sich zu füllen. Schon ist der bettelnde Zeitungsverkäufer unterwegs, der so erfolgreich Obdachlosenzeitung Nummer zwei anpreist. Fürs Betteln braucht man keinen Gewerbe­schein, das macht die Sache so attraktiv, und le­gi­ti­miert hat es die bequeme Stadt auch schon.

Vorher hatte ich mich in der Schule um die PCs gekümmert. Wieder einmal hat wer wo ein Admi­nis­trator­pass­wort gesetzt, das keiner kennt. Ich mag sie nicht, diese deutsche Welt gegen­seitigen Nicht-Vertrauens, angst­voller Über­alles­ver­schlüsselung. Man kann gute Sitten nicht durch Pass­wörter ersetzen, Moral nicht durch Ganz­körper­scanner. Mir ist lieber, mein Ver­trauen wird mir gelegent­lich ent­täuscht, denn ich hätte keines.

Link hierher http://blogabissl.blogspot.com/2010/05/sehnsucht-nach-oregon-erinnerungen.html

Siehe auch http://blogabissl.blogspot.com/2012/02/california-feeling-meine-frau-hort-swr3.html