15. März 2018

Nationalismus, Kontinentalismus, Lobbyismus

Heute, zufällig, sind »die Iden des März«. Na schön. Macht mich dieses Wissen zum Europäer? Eher zum Angeber, meine ich.
   Gibt es überhaupt Europa?
   »Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht im Zurückdrängen des neuen Nationalismus’ eine Aufgabe Deutschlands in Europa«, schreibt heute die NZZ (int. Ausgabe). Hier das Münkler-Interview online. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität.
   Vorneweg wird er gleich gefragt: »Was ist Europa?« – und antwortet vage mit wo. Dann geht es mit charmanten Rückblicken in die Geschichte zu einer meines bescheidenen Erachtens klugen Charakterisierung von Frau Merkels Politik, die in der richtigen Einschätzung gipfelt: »Indem die Kanzlerin das Territorium der Bundesrepublik als Überlaufbecken für die Balkanroute eingerichtet hat, hat sie Europa gerettet.«
   Ich erlaube mir zu erwidern: Sie hat tausende Flüchtlinge gerettet. Mit Europa hat das nichts zu tun.
   »Europa«, so wie wir es synonym für die EU nehmen, ist eine Missgeburt. Ein überheblicher Haufen. Ich lasse es einfach einmal weg.
   Dazu ein paar Gedanken:

Ayers Rock, heute »Uluru«.                                                                                                                               Foto Huntster
Wer würde am Grand Canyon oder am Ayers Rock auf die freundliche Frage, wo er herkomme, sagen, er sei Europäer? “I’m from Germany”, das passt, oder “I’m Swedish”, das auch.
   Und ist das: »neuer Nationalismus«? Oder alter? Müsste man neu sagen: “I am European”, wie man das vielleicht von Gemsen erwarten würde. Heimisch hier.
   Was ist bös an Nationalismus? Darf’s Europäismus sein (wohl eine Untermenge von Kontinentalismus), ist das besser?
   Würde ich als Bonner je sagen: Ich bin ein Nordrheinwestfale? Obwohl das Land größer ist als ganz Österreich? Mir ist Kalifornien näher als Rumänien, das mag aber noch vom Eisernen Vorhang herrühren.
   Nur wenn es um Sport geht, sind wir hemmungslos Chauvinisten. Allerdings kommt da Europa noch gar nicht vor. Und es meint auch keiner, die deutsche Fußballnationalmannschaft bestünde aus Deutschen, oder bei Bayern München würden nur Bayern kicken.

   Hört man populäre Radiosender, so haben sie die Zugehörigkeit ihrer Hörer schon längst gelöst: Eins-Live spricht immer nur vom »Sektor«, in dem wir leben. Die Besatzungszeit ist schon so lang her, dass sich daran keiner mehr stößt. Der Südwestfunk ist da schon selbstbewusster, wie man das im Süden gerne ist: Da heißt es einfach »SW-drei-Land«, und jeder mag sich denken, was er mag. 
   Die Frage ist doch: Als was fühlen wir uns? Und das ist in vielen Fällen kein geografisches Gebilde, ist nicht etwa Tirol für Tiroler oder Wien für Wiener, obwohl das noch die beste Übereinstimmung von Geografie und Empfinden ist. Denken Sie nur an Kennedys Spruch: »Ich bin ein Berliner!«.

Wem fühle ich mich zugehörig? Wer oder was bin ich, will ich sein? Erstens ist diese Frage eher akademisch, unwichtig. Überall ist man ein wenig ein anderer. Wenn ich morgens (süddeutsch: in der Früh’) beim Brötchenholen (klingt im Süden auch komisch) ein paar nette Worte übers Wetter wechseln kann, dann fühle ich mich zu Hause. Oder wenigstens zugehörig. Schon in Genf hat das nicht mehr geklappt, zu schlecht war mein Französisch.
   Lassen wir Europa. Wir brauchen ja nicht gerade daraus auszubrechen. Was Vertrag ist, ist Vertrag. Jetzt aber noch weitere Strukturen draufzusetzen, ohne dass die alten je funktioniert hätten, ist pure Verschwendung, ist Ärgernis. »Die EU-Kommission schlägt eine neue europäische Arbeitsbehörde vor«, lese ich gerade. Im November 2017 hat Europa »eine Militärunion gegründet«, hier. Dabei sind noch nicht einmal die Gründe für den Brexit – meines Erachtens die hemmungslose Niederlassungsfreiheit – angesprochen oder aufgegriffen worden. Arrogant wird uns nur ein Weiter-So, ein Mehr-So gepredigt. Deutschland wird nie in einer EU aufgehen können, dafür ist der Holocaust zu präsent.

Lassen wir einmal Europa (links) liegen, und beschäftigen uns mit der Frage: Was für eine Gemeinschaft wollen wir haben? Wer soll sich wie anpassen, wie werden, damit es klappt? Sind die Staaten nicht schon heute zu groß? Brauchen wir nicht nur dänische, sondern auch türkische Schulen in Deutschland? Und wenn nicht, warum nicht? Könnte man die Steuersysteme angleichen? Bayern und Österreich zu einer Europaregion zusammenfassen? Gesetze abbauen? Behörden zusammenlegen – etwa die zahlreichen Polizeien oder die 17 »Kultus«-Ministerien (16 Länder und ein Berlin)? Weniger Abgeordnete, weniger Parlamente effizienter arbeiten lassen. Arbeitsanreize schaffen im Süden Europas, besonders für Junge? Statt Lobbygruppen wie NGOs Parlamente und Bürger selbst debattieren und abstimmen lassen? Demokratie leben. Uns um Dinge kümmern, die wir ändern können, nicht nur um Apelle? Tausend Dinge.


PS. Inzwischen muss sogar der Neandertaler als »erster Europäer« herhalten, hier rechts, allerdings in recht amerikanischer Tracht finde ich. Ein blauer Schwabenkittel oder eine Tiroler Tracht mit Schürze hätte ihm besser gestanden; so sieht er aus wie ein Lumberjack aus dem Yellowstone oder ein Trucker aus Kentucky. Zum »Europa-Narrativ« taugt er gewiss nicht. Zumal er ausgestorben ist.

  

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