1. November 2015

Scheitelpunkt und Normalparabel

Innenansicht des Fakultätsgebäudes für Mathematik und Informatik der Technischen Universität München in Garching. Die Parabelrutsche stammt von Brunner/Ritz. (Wikipedia)
Unlängst bei der Hausaufgabenhilfe. Es ging um quadratische Gleichungen (das sind die mit einem x²) und Parabeln (schönen Kurven). Morgen war Mathearbeit, Eile geboten, Hast herausgekommen.

Scheitelpunkt

»Bestimme den Scheitelpunkt« war gefordert. Ja, was ist denn der Scheitelpunkt? Zeig’ mir das bitte im Heft, Kind, oder im Buch. Ich dachte an den Lenkeinschlag beim Auffahren auf die Autobahn, der am Scheitelpunkt wieder weniger wird, zurückdreht, also die erste Ableitung der Kurve, die da durch Null geht, oder? Zu kompliziert, außerdem gewiss »noch nicht gehabt«.
   Im Buch (»Elemente der Mathematik«, 9. Schuljahr) gibt’s nicht wie früher irgendwo einen Kasten, in dem die Definition steht. Zuerst tritt der Scheitelpunkt auf Seite 52 bei den »Eigenschaften der Normalparabel« auf, versteckt in einer »Lösung: a) Von links nach rechts fällt die Normalparabel im 2. Quadranten (geht bergab). An der Stelle 0 hat sie ihren tiefsten Punkt (Scheitelpunkt), in dem sie die x-Achse berührt. … «
   Falsch ist das nicht, nur verwirrend. Gibt’s den Scheitelpunkt nur bei der Normalparabel (y = x²), und ist der Scheitelpunkt immer der tiefste, oder immer der Punkt auf der Symmetrieachse? Wer weiß?
   Auf der nächsten Seite geht’s so weiter. Der Scheitelpunkt kommt nur bei der Normalparabel vor, wieder als einziger Punkt, der auf der Symmetrieachse liegt. Man nennt ihn auch kurz »Scheitel«, das lernt man da dazu.
   Auf die Idee, dass es Scheitelpunkte auch in anderen Parabeln gibt, sogar recht allgemein in Kurven, kommt keiner. Eine saubere Definition findet man erst in der Wikipedia: »Die Scheitelpunkte eines Kegelschnitts (Ellipse, Parabel oder Hyperbel) sind die Schnittpunkte der Kurve mit den Symmetrieachsen. Sie sind gleichzeitig die Punkte, an denen die Krümmung maximal oder minimal ist.«
   (Die Geschichte mit der ersten Ableitung steht hier: y = x²; y' = 2x. Scheitel bei y' = 0.)

Lösung quadratischer Gleichungen

Es geht dann im Buch bis zu Seite 94 weiter mit Parabeln, sehr ausführlich und intensiv. Erst dann wird’s wirklich rechnerisch: »Lösen quadratischer Gleichungen«. Ich hatte meiner Schülerin – ohne ins Heft oder Buch zu gucken – einfach hingeschrieben:
5 x² + 3 x - 8 = 0
»Rechen mal aus!« Als sie zögerte, fragte ich nach ihrer Formelsammlung. Wir hatten damals eine dünne, zugelassene Formelsammlung (und natürlich keine Taschenrechner). Das gibt’s heute nicht. »Wie habt ihr denn das gelernt?«, fragte ich, und dachte an die »Lösungsformel für die allgemeine quadratische Gleichung (a-b-c-Formel)« für ax² + bx + c = 0:
Dazu schreibt die Wikipedia weiter: »Die Formel wird in Teilen Deutschlands umgangssprachlich als ›Mitternachtsformel‹ bezeichnet, weil Schüler sie auswendig kennen sollen, selbst wenn man sie um Mitternacht weckt. In Österreich ist der Ausdruck große Lösungsformel gebräuchlich.«
   So machen die das heutzutage nicht, sondern mit der quadratischen Ergänzung. So auch der Rechner von »Mathepower« im Internet:
Ob das einfacher ist als mit der »Mitternachtsformel«, schneller? Statt der Standardformel (aus Formelsammlung und oder Gedächtnis) muss man wissen, dass man die Hälfte des x-Multiplikators quadratisch ergänzen muss, hier ½·0,6.
   In der Lebenspraxis wird man weder die generelle Formel noch den Ergänzungsterm mehr wissen, und sich’s gleich über das Netz lösen lassen. Einen ähnlichen Gedankengang hatte ich schon einmal beim Cosinussatz: Wo man sich doch den Cosinus aus der Maschine holt, kann man sich das ganze Dreiecksrechnen »outsourcen«. Wie hier die quadratische Gleichung. Ein Wissens- oder gar Kompetenzverlust wär’s nicht.
   Oder man macht’s wir die Amerikaner. Die schwören auf ihren auswendig gelernten Unit Circle (Einheitskreis).
The unit circle, showing coordinates of certain pointshttps://de.wikipedia.org/wiki/Einheitskreis
Das war das Beste, was meine große Tochter vor Jahren aus Amerika zurückgebracht hatte: den auswendig gelernten Einheitskreis. Sogar später in ihrem Studium zum Wirtschaftsingenieur FH hat der gereicht, sagt sie. Aber in Amerika scheint Lernen anders zu sein. Hier lernt man, Sinus- und Cosinuskuren zu zeichnen:


Deutsch ist das viel ernster

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The essence of mathematics is not to make simple things complicated,
but to make complicated things simple.
” Stanley Gudder, z. B. hier

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   Drehschemelexperiment 
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   Mit dem Rechner würfeln
   Kosinussatz

 

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